Prophylaxe 28.02.2011
Aufklärung über "richtige" Zahnpflege - Pflicht oder Kür?
share
Vorbeugen ist besser als heilen, weiß der Volksmund. Diese Einsicht hat in den letzten Jahren auch Eingang in die Gesetzgebung gefunden: Leistungen zur primären Prävention sind Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch durch die Schaffung von Kostenanreizen wird Prävention betrieben. Kann die für Patienten so wichtige Prävention aber zugleich zum Einfallstor haftungsrechtlicher Forderungen gegenüber dem Zahnarzt werden?
In Zeiten zunehmender Leistungskürzungen nimmt mancherorts die Bereitschaft zu, Deckungslücken bei der eigenen Versorgung durch die Verfolgung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Zahnarzt zu schließen. Soweit sich Patienten dabei auf den Vorwurf einer unterlassenen Beratung über richtige Zahnpflege stützen, geht diese Strategie vor Gericht bislang nicht auf. Für eine „Entwarnung“ besteht allerdings kein Anlass: In allen bisher entschiedenen Fällen scheiterten Klagen allein an der sorgfältigen Dokumentation erteilter Zahnpflegehinweise durch die betroffenen Zahnärzte. Ob und in welchem Rahmen derlei Hinweise aber überhaupt geschuldet waren, bleibt demgegenüber unsicher.
Zahnpflegehinweise im Normalfall: „Eher Kür als Pflicht?“
Nur aus Gründen der Beweislastverteilung hat unlängst etwa das OLG Stuttgart1 die Klage eines Patienten gegen seinen Kieferorthopäden abgewiesen. Im Verlauf einer einjährigen Behandlung mit einer festen Zahnspange hatten sich beim Patienten so genannte Entkalkungsflecken gebildet. Der Kieferorthopäde habe ihn nicht ausreichend auf das Risiko eines erhöhten Kariesrisikos bei der Verwendung fester Spangen bzw. auf die insoweit erforderlichen Zahnpflegemaßnahmen hingewiesen, argumentierte der Patient. Das Gericht mochte dem Kläger in seinem Vortrag nicht folgen, weil dieser die angeblich unterbliebene Aufklärung nicht nachgewiesen habe. Die Aufklärung über ein erhöhtes Kariesrisiko sei Teil der so genannten therapeutischen bzw. Sicherungsaufklärung, befand das Gericht. Einen Verstoß gegen diese Art der Aufklärungspflicht hat der Patient, nicht der Behandler, zu beweisen.2 Gelingt das nicht, verliert er den Prozess. Glück für den Zahnarzt.
Ein ähnlicher Sachverhalt lag einer älteren Entscheidung des OLG Koblenz3 zugrunde: Der Patient hatte seine behandelnde Kieferorthopädin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt. Nach der Entfernung aufgebrachter Zahnspangenhalterungen (Brackets) war Kariesbefall an vier Backenzähnen sichtbar geworden. Der klägerische Vortrag lautete auch hier: Der Behandler habe es unterlassen, auf die Notwendigkeit geeigneter zahnhygienischer Maßnahmen hinzuweisen. Auch diese Klage blieb erfolglos: Das erstinstanzlich befasste LG Mainz4 führte in der Klageabweisung aus, dass eine gründliche Zahnreinigung eine „Selbstverständlichkeit“ sei. Belehrungen hierzu seien „weithin entbehrlich“. Das Berufungsgericht stimmte dieser Argumentation im Prinzip zu, merkte aber einschränkend an, dass diese Feststellung auf sich beruhen könne, weil die Beklagte jedenfalls Merkblätter überreicht habe, in denen auf die Bedeutung einer intensiven Zahnpflege bei kieferorthopädischer Behandlung hingewiesen worden sei.
Während der „gute“ Zahnarzt seine Patienten stets auch über Maßnahmen zur Zahnpflege und Mundhygiene aufklären wird, war dies jedenfalls dem erwachsenen Patienten gegenüber von Rechts wegen bisher eher Kür als Pflicht. Im Normalfall durfte der Zahnarzt auf diesbezügliche Kenntnisse und Fähigkeiten seines Patienten vertrauen.5 Für Zahnärzte, die zur vertragsärztlichen Versorgung gesetzlich Versicherter zugelassen sind, sind die Anforderungen inzwischen jedoch präzisiert worden. In den sie betreffenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinien) heißt es ausdrücklich, dass die vertragszahnärztliche Versorgung auch Maßnahmen umfasse, „die geeignet sind, Krankheiten der Zähne zu verhüten“ und dass der Zahnarzt den Patienten „auf die Notwendigkeit einer ausreichenden Mundhygiene hinweisen" solle (Nr. 2). Mit den Richtlinien über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen (Individualprophylaxe) hat der Gesetzgeber zudem die gesetzlich vorgesehene Individualprophylaxe für Heranwachsende zwischen sechs und achtzehn Jahren näher ausgestaltet.6
Ein Kernpunkt dabei ist die Förderung der Pflegemotivation dieser Patienten.7 Anders als die Richt- und Leitlinien einzelner Berufsverbände8 sind die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für den Vertragszahnarzt prinzipiell bindend.9 Auch über den „Umweg“ vertragsarztrechtlicher Normen finden Aufklärungspflichten daher Eingang ins allgemeine Haftungsrecht. Einem findigen Patientenanwalt wird diese Argumentation schnell einleuchten.
Sonderfälle: „Zwischen Pflicht und Kür!“
Komplizierter stellt sich die Lage bei minderjährigen, hoch betagten bzw. körperlich oder geistig in ihren Fähigkeiten eingeschränkten Patienten dar, die in Deutschland traditionell verstärkt unter Zahnproblemen leiden.10 Während der Adressat einer Aufklärung auch in diesen Fällen zunächst der Patient selbst ist, kann es sinnvoll und im Einzelfall zwingend sein,11 Dritte – etwa Eltern oder einen Betreuer – insoweit einzubeziehen. Auch diese Personen sind dann, obwohl nicht selbst Patienten, über das therapiekonforme Verhalten ihres Schützlings, beispielsweise die richtige Zahnpflege nach einem chirurgischen Eingriff, aufzuklären, was seitens des Zahnarztes unbedingt dokumentiert werden sollte.
In Anbetracht der besonderen Schutzwürdigkeit erkennbar hilfsbedürftiger Patienten wird die Aufklärung in Art und Umfang von der Regelaufklärung abweichen müssen. Jeder Zahnarzt wird bemüht sein, gegenüber seinem etwa minderjährigen Patienten eine angemessene Sprache zu finden, um diesen zu einer optimalen Mundpflege zu motivieren; Hilfestellungen bieten hierbei etwa die unter wissenschaftlicher Begleitung gemeinsam mit Zahnärzten durchgeführten Modellprojekte zur Verbesserung der Zahngesundheit an Berliner Schulen.12 Bei behandlungsbedingt erschwerter Zahnpflege: „Pflicht, nicht Kür!“
Ebenso streng dürfte die Rechtslage sein, wenn die dem Patienten obliegende Zahnpflege infolge zahnärztlicher Behandlungen wesentlich erschwert wird oder ihrerseits mit Risiken verbunden ist, die eine „richtige“ Zahnpflege „unmöglich“ machen. Bei einigen festsitzenden prothetischen Versorgungsvarianten kann eine gründliche Zahnreinigung zunächst die Entfernung der Prothese durch den Zahnarzt erfordern. In diesen Fällen ergeben sich also durch die technische Umsetzung eines dem Patienten empfohlenen Planungskonzeptes absehbare Nachteile für dessen Mundhygiene. Gegebenenfalls wirkt sich eine konventionelle Zahnpflege dann auch schädigend auf die eingegliederte prothetische Versorgung aus. So ist etwa bekannt, dass der aus hygienischen Gründen notwendige gründliche Einsatz der Zahnbürste zur Lockerung so genannter Miniaturschrauben führen kann, was aus prothetischen Gründen wiederum zu vermeiden ist. „Kollidieren“ also die Obliegenheiten des Patienten zur Sicherung eines Behandlungserfolges dergestalt, dass dieser zwar eine gründliche Zahnpflege zu betreiben hat, gerade diese aber das Behandlungsergebnis gefährden kann, ist der Patient hierüber vor Durchführung der Behandlung aufzuklären.
Da für einen etwaigen Schaden dann nicht primär das Verhalten des Patienten, sondern die empfohlene Behandlung selbst ursächlich sein wird, gehört die Aufklärung hierüber in den Bereich der sog. Risiko- bzw. Selbstbestimmungsaufklärung. Deren Vorliegen hat der Zahnarzt, nicht der Patient zu beweisen hat.13 Stellt die ins Auge gefasste Versorgungsvariante nur eine von mehreren Möglichkeiten dar, ist die Aufklärung über Alternativen daher ein „Muss“. Legt der Patient im Prozess dar, dass er über eine Behandlung mit gleichwertigen Chancen, aber geringeren Risiken für seine Mundhygiene nicht aufgeklärt worden ist, hat der beklagte Zahnarzt unter Umständen die schlechteren Karten, wenn er die Aufklärung nicht zuvor sorgfältig dokumentiert hat.14 Ein Anwalt auf Arztseite wird in einem solchen Fall zwar vortragen, dass eine Aufklärung über Behandlungsvarianten nicht erforderlich gewesen ist, weil wegen der Umstände des Einzelfalles überhaupt nur eine Versorgungsvariante in Betracht gekommen sei. Ob das überzeugt, weiß ein gutachterlich beratenes Gericht am Ende im Zweifel aber besser.
Auch in Fällen erschwerter oder gar „unmöglicher“ konventioneller Zahnpflege ist der Behandler jedoch keineswegs schutzlos gestellt. Vielmehr hat es der Zahnarzt mit der Führung einer sorgfältigen Dokumentation auch hier in der Hand, jederzeit den Nachweis rechtzeitig erteilter Hinweise an den Patienten zu erbringen. Unter dem Gesichtspunkt der Haftungsvermeidung ist es dabei besonders effektiv, wenn der Zahnarzt bei der Aufklärung über die richtige Zahnpflege einem zuvor definierten, immer gleichen Handlungsrahmen folgt (z.B. Verwendung von personalisierten, also im Aufklärungsgespräch mit handschriftlichen Hinweisen an den Patienten versehenen Merkblättern).15 Ein solches Vorgehen erleichtert im Praxisalltag nicht nur die eigene Arbeit, sondern schließt „auch Nachweislücken weitgehend aus. Diesem Umstand kommt dann auch vor Gericht Beweiswert zu. Im Streitfall freut das nicht allein den beklagten Zahnarzt, sondern auch seinen Rechtsanwalt.
Literatur
- OLG Stuttgart, Urt. v. 20.05.2008, 1 U 122/07 = VersR 2008, 927
- OLG Oldenburg, Urt. v. 3.11.1998, 5 U 67/98 = NJW-RR 2000, Rehborn, MDR 2000, 1101; Müller, MedR 2001, 487
- OLG Koblenz, Urt. v. 2.10.2003, 5 U 23/03 = ArztR 2004, 324
- LG Mainz, Urt. v. 10.12.2002, 1 O 164/00 (nicht veröffentlicht)
- OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.4.2007, I – 8 U 120/06 = MedR 2007, 433
- § 22 SGB V
- Vgl. A.2 der Richtlinien (Individualprophylaxe)
- Näher: OLG Hamm, Urt. v. 27.1.1999, 3 U 26/98 = NJW 2000; 1801; Rehborn (Fn. 2), 1101
- Zum Ganzen: Bergmann, GesR 2006, 337, 338
- Rinn, Wenzel, Zahnärztl Z. 40 (1985), 58-62; Vigild, Community Dent. Oral. Epidemiol. 13 (1985), 180-182
- Beispiel: Der geschäftsunfähige, d.h. unter sieben Jahre alte Patient
- Pastille, DAJ Spezial 1 (2000), 52–57; Bruhn, Jurkat, Pastille, DAJ Spezial 1 (2004), 36–50
- Zur Selbstbestimmungsaufklärung: BGH, Urt. v. 28.02.1984, VI ZR 70/82 = NJW 1984, 1807
- So beispielweise BGH, Urt. v. 22.02.2000, VI ZR 100/99 = NJW 2000, 1788; BGH, Urt. v. 24.11.1987, VI ZR 65/87 = NJW 1988, 765
- Ähnlich: Stegers, Quintessenz 2008, 757
Autor: RA, FA MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille
Seitenanfang