Zahntechnik 15.03.2011
Ästhetik im Wechselbad der Technik
„Denken Sie daran, dass Personalchefs auch Ihr Äußeres bewerten, und dazu gehören auch Ihre Zähne. Schöne, gepflegte Zähne machen sympathisch und stärken Ihr Selbstbewusstsein.“ Dieser Ratschlag eines Headhunters auf einem Bewerberseminar ist prinzipiell nicht neu, hat aber trotzdem nichts an Aktualität eingebüßt. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht oftmals eine große Lücke.
Eine Fahrt mit der U-Bahn durch Berlin, Frankfurt am Main, Paris oder London – sie zeigt eine andere Realität: Zahnlücken, freiliegende Kronenränder, grau-devitale Zähne, Klammern – und im besten Fall aufblitzendes Gold von Inlays oder unverblendete Seitenzahnkronen. Dass es sich hierbei nicht ausschließlich um ein soziales Problem handelt, lässt sich bei genauerem Hinsehen in Talkshows und in Interviews unserer Politiker erkennen. Auch hier wären etwas mehr Pflege und ein geringfügig höheres Maß an Zahnbewusstsein schon eine dramatische Verbesserung. Der Leiter einer regionalen Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit, nach dem Einfluss des Zahnbildes auf die Vermittlungschancen befragt, bestätigte, dass stellensuchende Bewerber mit gepflegten Zähnen schneller vermittelbar sind, besonders in Berufen mit Leitungsaufgaben und Repräsentationspflichten.
Eigentlich besitzt jeder Zahnarzt und Zahntechniker heute die Möglichkeit, auch seinen Durchschnittspatienten ästhetische Lösungen anzubieten – mit klinisch guten, dauerhaften Ergebnissen und zu differenzierten Preisen. Die moderne Zahnheilkunde erlaubt es, nicht nur jeden Patienten klinisch hochwertig, sondern auch ästhetisch gut zu versorgen. Patienten erwarten, und das mit Recht, die klinisch beste Lösung für ihr individuelles Problem. Damit stehen die Therapiekonzepte im Fokus, die sich in den letzten Jahren verändert haben. Wurden noch um die Jahrhundertwende in hohem Maße metallgestützte Restaurationen eingegliedert, so ist deren Anteil in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen zugunsten vollkeramischer Werkstoffe. Diese können unter Einsatz unterschiedlicher Verfahren ästhetisch differenziert gestaltet werden und haben sich klinisch bewährt. Mit maschineller Unterstützung können Keramikrestaurationen im ZT-Labor oder direkt an der Behandlungseinheit in einem wirtschaftlichen Kostenrahmen hergestellt werden. Wenn im vergangenen Jahr in deutschen Praxen 5,9 Millionen vollkeramische Inlays, On-lays, Teilkronen, Kronen und Brücken eingegliedert worden sind (Quelle: AG Keramik), so belegt dies, dass viele Zahnärzte und Patienten sich bewusst für eine metallfreie, ästhetische sowie biologisch sehr verträgliche Versorgung entschieden haben. Die Fertigung erfolgte über eine Dekade mithilfe der formgebenden Pressmethode (Empress). Heute wird die Rekonstruktion weitgehend von der CAD/CAM-Technik mit den subtraktiven Schleifverfahren dominiert. Dadurch wurde die Herstellung vollkeramischer Restaurationen deutlich vereinfacht und zusätzlich die Verarbeitung polykristalliner Oxidkeramiken (Aluminiumoxid Al2O3, Zirkoniumdioxid ZrO2) ermöglicht.
Unterstützung durch Adhäsivtechnik
Ein wichtiger Wegbereiter der vollkeramischen Restaurationsverfahren war die Adhäsivtechnik. Damit wurde es möglich, die Festigkeit von Inlays, Onlays, Teilkronen aus industriell vorgefertigter Silikatkeramik auf die Zahnhartsubstanz zu übertragen. Die Vorbereitung der Zahnseite durch Schmelzätzung und Dentinadhäsiv sowie die Ätzung und Silanisierung der Keramik und die Nutzung von dualhärtendem Befestigungskomposit führte dazu, dass durch den kraftschlüssigen Verbund mit der Restzahnsubstanz die Restauration keine mechanische Grenz-fläche mehr bot, an der rissauslösende Zugspannungen wirksam werden konnten. Die Kombination von CAD/CAM-gefräster Keramik und Adhäsivtechnik ermöglichte die dauerhafte Stabilisierung selbst stark geschwächter Höcker (Abb. 1) unter Berücksichtigung hoher ästhetischer Ansprüche. Auf die mechanische Retention konnte in der Kavitätengeometrie verzichtet werden, weil die adhäsive Befestigung einen innigen Verbund mit dem Restzahn gewährleistet. Dies ermöglichte eine relativ substanzschonende Präparationsform. In diesem Zusammenhang kann seitdem defektorientiert präpariert werden – das bedeutet, dass z.B. mit der Keramikteilkrone vielfach eine metallgestützte Krone vermieden werden kann, die vergleichsweise zur Erzielung einer mechanischen Retention den zirkulären Abtrag und oftmals den Verlust selbst gesunder Zahnhartsubstanz erfordert. Der erheblich reduzierte Abtrag für die Keramikteilkrone hat wichtige Vorteile: Die Behandlung verläuft weniger traumatisch und die Risiken postoperativer Komplikationen werden verringert. Zudem wird die Lebenserwartung der restaurierten Zähne erhöht.
Vertrauen und Nachfrage gestiegen
Wenn nun der Anteil der Vollkeramik am Behandlungsvolumen, das für Langzeitversorgungen indiziert ist, bis dato auf über 20 Prozent gestiegen ist, erhebt sich die Frage, was diesen Umschwung – weg vom Metall, hin zur Keramik – ausgelöst hat. Auf der einen Seite erkannte die Fachwelt den Nutzen der pressfähigen und maschinenfräsbaren Silikatkeramiken, die in klinischen Langzeitstudien deutlich höhere Überlebensraten auswiesen als geschichtete, laborgefertigte Restaurationen aus Sinterkeramik (Hickel, Manhart 2001, Arnetzl 2006).
Besonders die computergestützt ausschleifbaren, industriell unter optimalen Bedingungen hergestellten Blanks zeigten bessere Materialeigenschaften nach der maschinellen Bearbeitung. Ferner war es erstmalig möglich, Kronen- und Brückenversorgungen für den Seitenzahnbereich aus polykristallinen Oxidkeramiken herzustellen, die sich nur mithilfe der CAD/CAM-Technik sinnvoll verarbeiten lassen. Auf der anderen Seite hatte sich auch die digitale Technologie deutlich verbessert. Davon ausgehend, dass in den 1990er-Jahren Computer leistungsfähiger und Messverfahren effektiver wurden, konnte dadurch besonders die Leistung der 3-D-Aufnahmesysteme an die Bedürfnisse der Zahnmedizin angepasst und die Bedienung vereinfacht werden. Durch die Weiterentwicklung der CAD-Software konnten vielfältige Konstruktionsmöglichkeiten geschaffen und auch die Qualität der Schleif- und Fräseinheiten verbessert werden. Wirtschaftlichkeit bei gleichzeitig hoher Ästhetik der gefertigten Restaurationen sind aktuell die „Markenzeichen“ der CAD/CAM-Technik.
Auf dem Keramik-Symposium der Arbeitsgemeinschaft für Keramik in der Zahnheilkunde (AG Keramik) konnte die Auswirkung dieser Entwicklungen in Praxis und Labor festgestellt werden, indem die Teilnehmer im TED-Verfahren (Tele-Dialog) ihre Entscheidungsgrundlagen für Keramik und CAD/CAM preisgaben. So ist die Verwendung von Vollkeramik im mittelfristigen Vergleich kontinuierlich angestiegen (Abb. 2). Ausschlaggebendes Argument hierfür waren besonders die ästhetischen Möglichkeiten des Werkstoffs, gefolgt vom klinischen Langzeiterfolg und vom zunehmenden Wunsch des Patienten nach Keramik anstatt Metall (Abb. 3). Unübersehbar ist im Zeitvergleich das gestiegene Vertrauen in die polykristallinen Oxidkeramiken (Abb. 4), die mit CAD/CAM-Hilfe verarbeitet werden und klinisch eine gute Performance zeigen.
Al2O3 für die bessere K+B-Ästhetik
Die verschiedenen Keramikwerkstoffe gruppieren sich in einem Ordnungssystem, deren Nukleonen von der Ästhetik und von der physikalischen Festigkeit dominiert werden. Durch den Mix unterschiedlicher Eigenschaften steht dadurch für jede Indikation im Kieferbogen eine passende Keramik zur Verfügung. Silikatkeramik, bekannt durch ihre lichttransmittierende „Chamäleonwirkung“, schuf sich ihre Kompetenz für Einlagefüllungen, Teilkronen, Veneers, Kronen, vornehmlich im ästhetisch sensiblen Frontzahn- und Prämolarenbereich. Für Veneers ist es gelungen, besonders dünne, substanzschonende Keramikschalen zu pressen (Abb. 5). Damit können mit sehr geringem Präparationsaufwand Zahnverfärbungen und unschöne Zahnformen korrigiert werden. Für erweiterte Ästhetikansprüche in der Prothetik, so für Kronen und dreigliedrige Brücken bis zum zweiten Prämolar, wurde Lithiumdisilikatkeramik (LS2) in abgestuften Opazitäten entwickelt, die sowohl im Pressverfahren als auch mit CAD/CAM-Technik verarbeitet werden können. Wahlweise können die Kronen computerunterstützt vollanatomisch ausgeschliffen werden – brauchen dann keine zusätzliche Verblendung – oder anatomisch reduziert gefertigt werden (Abb. 6, 7). Gerüste für den kaulasttragenden Bereich, die aus Gründen der Festigkeit eine opake Struktur haben und deshalb verblen-det werden müssen, werden aus Al2O3 oder ZrO2 gefertigt. Aufgrund der semi-lichtleitenden Eigenschaft ist Al2O3 besonders für verblendete Kronen- und Brückengerüste im Frontzahn- und Prämolarenbereich geeignet. Die im Vergleich zu ZrO2 geringere Opazität erleichtert das Ästhetikdesign beim Verblenden. Deshalb ist es nicht immer erforderlich, Einzelkronen aus ZrO2 herzustellen; Eigenfarbe und Opazität erfordern hier eine Gerüstkolorierung (dentinfarben) und beim Verblenden unter Umständen einen mehrschichtigen Aufbau, um ästhetisch mithalten zu können.
In jüngster Zeit werden in der Fachwelt Verblendfrakturen auf ZrO2-Gerüsten diskutiert (Abb. 8) (Sailer 2007, Wolfart 2009), obwohl die TED-Befragung der AG Keramik ergab, dass 66 Prozent der Symposiums-Teilnehmer Chippings nur selten beobachten und 1,5 Prozent dies öfters erkennen (Abb. 9). Dahinter verbirgt sich, dass noch vor wenigen Jahren ZrO2-Kronenkappen im Vertrauen auf die hohe Bruchbiegefestigkeit sehr grazil mit dünnen Wandstärken hergestellt und dicke Verblendschichten aufgetragen wurden, die unter Kaubelastung Zugspannungen und somit Frakturrisiken ausgeliefert waren. Ferner waren die Wärmeausdehnungskoeffizienten (WAK) zwischen Gerüst- und Verblendwerkstoff seinerzeit nicht immer optimal abgeglichen worden. Prof. Matthias Kern, Universität Kiel, empfahl auf dem Keramiksymposium, das Kronen-Design anatoform, d.h. höckerunterstützend zu gestalten, um die Verblendung zu stabilisieren. Ebenso benötigt die Keramikschulter am Kronenrand eine Gerüstunterstützung.
Ästhetik mit neuen Mitteln
Letztendlich für die Ästhetik und die Individualisierung der Restauration verantwortlich, hat sich die Verblendtechnik inzwischen weiterentwickelt. Einerseits wurden die WAK der Verblendmassen auf die ZrO2-Gerüste abgestimmt, ferner wurden neue Verblendverfahren mit Computerunterstützung entwickelt. Eine neue Methode ist, dass die Verblendung mit CAD/CAM-Software auf dem Bildschirm modelliert wird. Dann wird die Verblendhülle aus einem rückstandslos verbrennbaren Kunststoff im CAD/CAM-Verfahren hergestellt und aus transluzenter Fluorapatit-Presskeramik im konventionellen Verfahren gepresst. Danach wird die Verblendung auf das ZrO2-Gerüst aufgesintert (Abb. 10–12). Mit dem Verzicht auf das klassische Wax-up ist eine kostengünstigere Fertigung möglich. Alternativ wird die Verblendung, ebenfalls CAD-konstruiert, solitär aus Lithiumdisilikat (LS2) ausgeschliffen und mit dem Gerüst im Sinterverbundbrand unter Nutzung einer niedrig schmelzenden Konnektor-Keramikmasse zusammengefügt und anschließend glasiert (Abb. 13, 14). Hierbei entspricht die Innenkontur der Verblendung der Außenkontur des Gerüsts; eine spaltlose Passung ist möglich. Zusammen mit einem anatoform gestalteten Gerüst kann für die Verblendhülle eine gleichmäßige Schichtdicke erzielt und somit innere Gefügespannungen unterbunden werden. Diese neuen Verblendtechniken sollen gemäß deren Anwender geringere Risiken für Verblendfrakturen bieten, weil es zu einem innigen Verbund am Interface Gerüst vs. Verblendhülle kommt. Diese Verfahren seien auch geeignet, größere Restaurationen auf ZrO2-Gerüsten wirtschaftlicher herzustellen.
Als wichtigste Botschaft bleibt: Mit Vollkeramik ist ein ästhetisch wirkendes Zahnbild sicher erzielbar. Wenn nun neue Verblendtechniken ermöglichen, dass ästhetische Lösungen zu wirtschaftlichen Bedingungen ohne klinische Komplikationen realisierbar sind, ist das eine hochaktuelle Botschaft für Zahnarzt, Zahntechniker und Patient und passt exakt in unsere Zeit.
Bildquellen:
1 Kunzelmann, 2 bis 4, 8 AG Keramik, 5 Ivoclar Vivadent, 6 bis 7 Seger, 8 Lohbauer, 10 bis 12 Brosch, 13 bis 14 Schweiger.