Zahntechnik 28.02.2011

Chipping - und die Ursachen für Keramikfrakturen



Chipping - und die Ursachen für Keramikfrakturen

Vollkeramische Versorgungen erzielen mittlerweile einen stetig zunehmenden Marktanteil gegenüber der konventionellen Metallkeramik. Gerade die Diskussion um Biokompatibilität sowie die gestiegenen Ansprüche der Patienten für ästhetische Alternativen trieb die Entwicklung von hochfesten, vollkeramischen Gerüstmaterialien auf Zirkonoxidbasis (ZrO2) voran.

Entsprechend standardisierte Fertigungsmethoden mittels CAD/CAM-Technologie gingen mit der  eigentlichen Materialoptimierung einher. Das hochfeste Zirkonoxid bietet große mechanische Sicherheitsreserven mit weitem Indikationspotenzial und steht als Alternative zur Metallkeramik besonders im Fokus von Wissenschaft und Praxis. Es besitzt allerdings werkstoffspezifische  Eigenheiten und bedarf einer abgestimmten Verarbeitung in Labor und Praxis, um die hohen  Erwartungen und damit den klinischen Erfolg über Jahre zu gewährleisten.

Misserfolge hinsichtlich Ke­ramikfrakturen oder Chippings in der Verblendung können mithilfe der Methode der klinischen Fraktografie analysiert und Ursachen für das individuelle Versagen benannt werden. Die Erkenntnisse daraus tragen wiederum zum Verständnis der Zirkonoxid eigenen Materialcharakteristik bei. Dieser Artikel soll die Methode der klinischen Fraktografie erläutern und Empfehlungen zur keramikgerechten Verarbeitung aussprechen.


Metallkeramischer Zahnersatz stellt bei Betrachtung des Langzeiterfolges bis dato das Mittel der Wahl dar. So wird bei bewährten Systemen die jährliche Rate an Verblendfrakturen zwischen 0 und 4 Prozent nach zwei bis sieben Jahren beziffert. Vergleichbare Langzeitdaten sind für vollkeramische Restaurationen ebenfalls erhältlich, für zirkonoxidgetragenen Zahnersatz jedoch liegt die klinische Erfahrung erst bei maximal fünf Jahren. So werden in vergleichenden Studien an 3- bis 5-glied­rigen Seitenzahnbrücken über drei Jahre ähnliche Verlustraten wie bei  Verwendung von Metallkeramik be­obachtet.

Es wird aber über gehäuftes Auftreten von Chippingfrakturen in der Verblendung und eine noch immer de­fizitäre Passgenauigkeit geschrieben. Voraussetzung für den Erfolg von voll­keramischen Restaurationen ist die strikte Einhaltung von Präpa­rations- und Verarbeitungsrichtlinien, die zum Teil erheblich vom gewohnten Umgang mit Metallkeramik abweichen. Es werden zum Beispiel bei optimaler Fertigung, Randgestaltung und Einhaltung der Ver­binderdimensionen keine Frakturen der ZrO2-Gerüste verzeichnet. Abbildung 1 verdeutlicht einen unsachgemäßen Umgang mit Zirkonoxid, der zur Ge­rüstfraktur führte. Laborversuche zur Kantenfestigkeit von verblendeten Zirkonoxidgerüsten zeigen überdies, dass Chipping in der Verblendung das Problem darstellt und weniger die Delamination vom tragenden Gerüst.

Besonderheiten im Umgang mit Zirkonoxid

Zirkonoxid zeichnet sich neben den Punkten Ästhetik und Biokompatibi-lität für die prothetische Zahnheilkunde besonders durch seine extrem hohe Biegefestigkeit (> 1.000 MPa) und seine für eine spröde Keramik hohe Bruchzähigkeit (~10 MPam0,5) aus. Die Neigung zu geringer Plaqueanlagerung, die geringe Temperaturleitfähigkeit und die nied­rigen Materialkosten tragen überdies zum Erfolg von Zirkonoxid bei.

Das Prinzip der hohen Bruchzähigkeit von polykristallinem ZrO2 beruht auf einer martensitischen Phasenum­wandlung der Einzelkristallite unter Einwirkung von mechanischer Belastung (Yttrium stabilized Tetragonal Zirconia Poycrystal, sog. Y-TZP). Diese Phasenumwandlung wird durch Oberflächenschädigung (Schleifen, Abstrahlen) oder durch Rissausbreitung unter kritischer Belastung hervorgerufen und ist mit einer Volumenausdehnung von 2 bis 3 Prozent verbunden. Während im ersten Fall die Umwandlung unerwünscht ist (führt zu einer Reduzierung der mechanischen Eigenschaften um bis zu 20 Prozent), dient die Ausdehnung der Kris­tallite bei Phasenumwandlung zur Vermeidung weiteren Risswachstums und zur Gewährleistung der hohen Bruchzähigkeit. Mit richtig verarbeitetem Zirkonoxid können deshalb auch geringere Wandstärken und filigranere Verbinderquerschnitte realisiert werden.

Zirkonoxid besitzt einen geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten (WAK) von ca. 9–10ppm. Damit unterscheidet es sich deutlich von den gewohnten Edelmetallen mit einem WAK von ca. 13–15ppm und bedarf der Wahl von eigens auf Zirkonoxid abgestimmten Verblendmaterialien. Diese Eigenschaft macht sich gerade beim Abkühlen nach der Verblendung bemerkbar und kann hohe innere Spannungen bis hin zur Rissbildung verursachen, falls der WAK der Verblendmasse nicht auf das Gerüstmaterial abgestimmt ist.

Zirkonoxid besitzt weiterhin im Vergleich zu Metallen, Aluminiumoxid oder auch zu Verblendmassen eine deutlich schlechtere Wärmeleitfähigkeit. Dadurch kann es beim Abkühlen vom Sinterbrand bis unterhalb der Transformationstemperatur (z.B. 600°C) der Verblendkeramik zu ungleicher Wärmeableitung und damit ebenfalls zu Spannungen in der Verblendkeramik kommen. Insbesondere bei massiven Restaurationen kann man diesen thermischen Spannungen durch ein lang­sames Abkühlen im letzten Brenn­vorgang entgegenwirken. Der Aufbau von inneren Spannungen in der Verblendung sollte grundsätzlich vermieden werden, da diese das Eintreten von Chippingfrak­turen forcieren.

Methode der klinischen Fraktografie

Keramische Materialien eignen sich aufgrund ihrer ausgeprägten Sprödigkeit besonders gut für die fraktografische Analyse. Dabei findet man auf den Bruchflächen charakteristische Merkmale, die Rückschlüsse auf den eigentlichen Bruchvorgang zulassen. Im Allgemeinen üben intraorale Kaukräfte Zugbelastungen auf die Keramikoberfläche aus, die mit der Öffnung und Verlängerung von mikroskopischen Oberflächenfehlern bis hin zum Bruch reagiert. Die Methode der klinischen Fraktografie erlaubt es den Bruchvorgang zu rekonstruieren, den Ursprung des bruchauslösenden Fehlers zu bestimmen oder die Höhe der dazu notwendigen Spannung abzuschätzen.

Charakteristische Elemente der Analyse sind die „Fußabdrücke“ auf den Bruchflächen, die sich radial vom Ursprung ausbreiten. Der Bruch kann dabei durch lokale Spannungskonzentration (z.B. „Kirschkerneffekt“, Trauma) oder durch Fehlstellen im Material selbst (z.B. Verunreinigung, Pore, Riss) verursacht werden (Abb. 2). Ein Riss breitet sich typischerweise radial aus und bildet idealerweise charakteristische Zonen aus, die den Rissfortschritt dokumentieren. Der Bruchspiegel, eine diffuse, relativ homogene Region, wird gefolgt von einer eher inhomogenen Corona und schließlich von sich radial aus­breitenden Linien. Trifft die Rissfront auf ein Hindernis, sucht sich der Riss den „leichtesten“ Weg und wird abgelenkt oder umgeht die Fehlstelle. Als Resultat bleibt ein „Schweif“ zurück. An gewissen Stellen kann es schließlich auch zum „Abbremsen“ eines Risses kommen, was dann typische, halbmondförmige Linienmuster hinterlässt, die wiederum auf ihrer konkaven Seite auf den Bruchursprung deuten (Abb. 1). Kurz vor dem Abplatzen des Fragments von der Restauration kommen dann meist hohe Druckspannungen mit ins Spiel und die Rissfront wird deutlich abgelenkt. Neben dieser qualitativen Analyse können auch quantitative Aussagen zur Höhe der für den Bruch notwendigen Kräfte getroffen werden. Dazu werden die Bruchmerkmale vermessen, in einen bruchmechanischen Zusammenhang gebracht, um daraus die Spannung zu berechnen.

Die Methode wird klinische Fraktografie genannt, da man versucht, reale Gegebenheiten in der Mundhöhle nach­zuvollziehen. Dies geschieht an den gewonnenen Bruchfragmenten (Abb. 3c) oder aber durch sehr fein zeichnende, intraorale Silikonabrücke der entsprechenden Region und anschließender Replikatechnik (Abb. 3d). Der Vorteil dieser Methode besteht darin, nicht mittels Laborexperimenten zu versuchen, das Geschehen in der Mundhöhle zu simulieren, sondern die reale kli­nische Situation zu analysieren und Empfehlungen zur Vermeidung solcher Frakturen auszusprechen (Proof-Test).

Ursachen für Keramikfrakturen

Aufgrund der beschriebenen Besonderheiten von spröden Keramiken und Zir-konoxid und aufgrund der bis dato gesammelten klinischen Erfahrungen im Umgang mit dem Werkstoff konnten Empfehlungen für den keramikgerechten Umgang definiert werden (weiterführende Informationen werden auch unter ag-keramik.eu bereitgestellt). Keramikfrakturen oder Chippings in der Verblendung können dadurch minimiert werden, dass über die komplette Fertigungskette einer Restauration (Hersteller–Labor–Praxis) folgende Kriterien Beachtung finden:

•  Kontraindikationen für Vollkeramik beachten: Bruxismus, Parafunktion, fehlende

   Front-Eckzahnführung, Deck- bzw. Tiefbiss, Kiefergelenk­beschwerden, gelockerte Zähne,

   un­zureichende Mundhygiene etc. (Pra-xis, Abb. 3)

•  Wahl einwandfreier Ausgangsmate­rialien zertifizierter Hersteller sowohl als Gerüst-

   wie auch als Verblendmaterialien. (Hersteller/Labor)

•  Abstimmung von Gerüst- und Verblendmaterialien hinsichtlich ähnlicher

   Wärmeausdehnung, um Spannungen im Herstellprozess zu vermeiden

   (Empfehlung: Im System bleiben). (Labor)

•  Keramikgerechte Präparation hinsichtlich Mindestschichtstärken, Übergangswinkeln

   (Innenwinkel und koronare Stumpfkanten sind abzurunden, Gestaltung möglichst

   rechter Winkel) und Verbinderdimensionen. Die anatomische Formgestaltung einer

   Kronenkappe oder eines Brückengerüstes ist empfohlen, um eine gleichmäßige

   Verblendschicht zu erzielen. (Praxis)

•  Präparation von Stufen und Hohlkehlen, keine flachen Hohlkehlen,

   Tangentialpräparationen und Abschrägungen. (Praxis)

•  Vermeidung extensiven Beschleifens des Gerüstes und des Innen­lumens ohne

   Wasserkühlung (besonders mit grobkörnigen Diamantschleifern) oder Abstrahlen

   der Keramikoberflächen mit zu hohem Strahldruck oder zu grobem Strahlmittel.

   (Labor/Praxis)

•  Entspannungsabkühlung (langsame Abkühlung nach dem Sinterbrand der

   Verblendkeramik) besonders bei Verwendung von Zirkonoxid zur Vermeidung

   von inneren Spannungen

   in der Verblendkeramik (Chippinggefahr). (Labor)

•  Einprobe ist vor der Verblendung bzw. vor dem Glanzbrand empfohlen. (Praxis)

•  Endvergütung durch Polieren oder durch zusätzlichen Glanzbrand, um die Lebensdauer

   einer Restauration im Mund zu steigern. Der Glanzbrand ist einer Abschlusspolitur

   vorzuziehen. Abbildung 4 verdeutlicht den Einfluss einer perfekten Politur auf die

   Materialfestigkeit der Restauration. (Praxis)

•  Nach Möglichkeit ist eine stoffschlüssige, adhäsive Befestigung einer konventionellen

   Zementierung vorzuziehen. (Praxis)

•  Beachtung funktioneller Gegebenheiten, verbunden mit mehrmaliger Nachkontrolle

   der Okklusion nach der Eingliederung. (Praxis)


Autoren: Priv.-Doz. Dr.-Ing. Ulrich Lohbauer, Priv.-Doz. Dr. Sven Reich


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