Branchenmeldungen 28.02.2011
2. Niedersächsischer Zahntechniker-Stammtisch: "Tatort CAD/CAM"
Digitale Verfahren im Bereich von Medizinprodukten: Segen oder Fluch?
Ein Laptop, ein Computerprogramm, das nötige Know-How und zwei Hände. Mehr war nicht nötig um beim „Tatort CAD/CAM“ vor den Augen von 110 staunenden Teilnehmern und Fachleuten aus dem ganzen Bundesgebiet virtuell einen fast perfekten Zahnersatz herzustellen. Der Referent selbst ist kein Zahntechniker. Er ist Modellbauermeister. Natürlich hätte ein Zahntechnikermeister den Zahnersatz an der einen oder anderen Stelle etwas feiner modellieren können. Dennoch ist innerhalb kürzester Zeit ein Zahnersatz entstanden, dessen Erstellung einen ausgebildeten Techniker ohne die Verwendung eines CAD/CAM - Systems unter Umständen einen ganzen Tag gekostet hätte.
Die Schnelligkeit und Präzision des Arbeitsablaufes hat überrascht. Den einen im positiven, den anderen im negativen Sinne. „CAD/CAM ist heute kein umstrittener Bereich mehr“, so stellte Lutz Wolf, Obermeister der Niedersächsischen Zahntechniker-Innung, gleich zu Beginn der Veranstaltung fest. „Die Resonanz auf diese Systeme reicht von großer Begeisterung über Zurückhaltung bis hin zu Sorge. Trotzdem wird über kurz oder lang kein Betrieb um das Thema Digitalisierung herum kommen. Die Zukunft in der Zahntechnik wird vom Kampf um die Datensätze geprägt sein. Wer über die Datensätze verfügt, steht im Mittelpunkt der zahntechnischen Produktion. Deshalb wird die NZI die Herausforderungen dieser weitreichenden Technologie annehmen. Das bedeutet, CAD/ CAM zu einem Teil unseres Berufsbildes werden zu lassen sowie mit der Beobachtung der Marktentwicklung zu individuellen betrieblichen Lösungen für unsere Innungsbetriebe beizutragen.“
Was genau ist aber eigentlich CAD/CAM? Grundsätzlich bezeichnet der Ausdruck „Computer Aided Design“ (CAD) das Erstellen von Konstruktionsunterlagen mit Hilfe spezieller Programme. „CAD“ wird nicht unbedingt nur für den zahntechnischen Bereich, sondern für die Erstellung von mechanischen oder elektrischen Erzeugnissen jeder Art genutzt. Mit Hilfe von Computerprogrammen werden dreidimensionale Modelle eines Produktes erstellt.
„Computer Aided Manufacturing“ (CAM) unterstützt die computerintegrierte Produktion. Alle für ein Produkt relevanten Daten werden hierbei so aufbereitet, dass sie direkt an eine Maschine weitergegeben werden, die die Fertigung ohne weiteren Zwischenschritt übernimmt. Gleichzeitig archivieren CAM-Systeme Daten und standardisieren sie. Damit sorgt CAD/CAM dafür, dass die Qualität von Zahnersatz immer gleich bleibt.
Aufgekommen ist das erste System dieser Art im Jahre 1971. Die Entwicklung der CAD/CAM-Systeme hat sich in den letzten Jahren extrem beschleunigt. Im Jahre 2005 gab es bereits neun Anbieter. Die Zahl hat sich bis zum heutigen Tag beinahe verdreifacht. „Den CAD/CAM Systemen kommt eine immer größere wirtschaftliche Bedeutung zu. Deswegen ist es so wichtig, mögliche Szenarien für die zukünftige Zusammenarbeit der Zahntechniker mit den Zahnärzten unter der Verwendung dieser Technologien zu diskutieren,“ sagte Dr. Sebastian Quaas von der Uniklinik Ulm. In seinem Vortrag stellte er grundlegende Möglichkeiten der Digitalisierung, deren Vor-, Nachteile, Fehlerquellen, sowie Möglichkeiten der Datenaufbereitung vor. „Problematisch ist an den CAD/CAM-Systemen, dass die Industrie mit ihrer Hilfe viele Bereiche abdecken kann, die normalerweise dem Dentallabor zukommen,“ schloss Quaas seinen Vortrag.
Wie so ein Zahnersatz industriell hergestellt werden kann, zeigte Modellbauermeister Antonius Köster eindrucksvoll in seinem „Crashkurs Modellguss“ und warf damit die Frage auf, wo eigentlich Industrie anfängt und Handwerk aufhört.
Eine mögliche Antwort auf die Frage gab Zahntechnikermeister Wolfgang Sokalla, der in seinem Vortrag über die Erfahrungen eines Anwenders berichtete. Er selbst hat in den letzten Jahren etwa 1900 Kronen digital erstellt. „Der Unterschied zwischen analogem und digitalem Arbeiten ist gar nicht so groß. Früher hatte ich in der linken Hand das Modell und rechts das Wachsmesser. Heute habe ich in der linken Hand die Maus und rechts das digitale Schneidwerkzeug,“ sagte Sokalla. Die Zahntechnik ist und bleibt seiner Ansicht nach ein Handwerk. Der Computer kann den Zahntechniker nicht ersetzen. Die Vorteile der neuen Technologie sind dabei trotzdem nicht zu Unterschätzen. „Wir haben es mit sauberem Material zu tun. Das Arbeiten ist wesentlich sicherer und präziser. Obendrein kommt es zu nicht unerheblicher Materialeinsparung. Stumpflacke zum Beispiel kann man sich komplett sparen,“ so Sokalla. Nachteile hat CAD/CAM natürlich auch: „Der Mensch macht sich abhängig vom PC. Zusätzlich sind die Systeme extrem teuer.“
Seiner Ansicht nach geht der Trend klar in Richtung „individualisierte Massenanfertigung“.
Gerade hier sieht Andreas Hoffmann von der Arbeitsgruppe CAD/CAM ein großes Problem und fragt daher von der rechtlichen Seite: „Wo bleibt die Verantwortung des Zahntechnikers gegenüber dem MPG? Was wäre, wenn jemand einfach beschließt eine Fräßbude aufzumachen und dort Dentalprodukte herzustellen.“ Der Zahnersatz ist grundsätzlich ein Medizinprodukt, dessen rechtlicher Rahmen durch das MPG vorgegeben ist. Wer wird zur Verantwortung gezogen, wenn ein ungelernter Arbeiter durch ‚CAM’ einen Zahn herstellt? Die Quintessenz des Vortrages von Hoffmann war klar: Nur der zahntechnische Sachverstand zählt. Ein Laie kann auch mit Hilfe der neuen Systeme keinen passenden Zahnersatz anfertigen. Auch wird die Verantwortlichkeit für ein Medizinprodukt immer in der letzten Konsequenz bei einem Labor liegen, dass gezwungen ist, sein Produkt zu überprüfen. Eine solide Ausbildung ist und bleibt demnach die Absicherung des Zahntechnikers in einer digitalen Zukunft des Handwerks.
Axel Schneemann, ebenfalls Teil der Arbeitsgruppe CAD/CAM, machte daran anknüpfend darauf aufmerksam, dass die digitalen Verfahren in die Ausbildung integriert werden müssen. „Wenn das Handwerk nicht auf die neuen Gegebenheiten reagiert, erschafft womöglich die Industrie einen ‚Dentiker’. Die Lehrlinge müssen in den Prozess integriert werden. Dabei kann es sich das Labor zu Nutze machen, dass gerade die jungen Leute weniger Berührungsängste mit dem Computer haben.“ Hier treffen nach Schneemanns Meinung zwei Komponenten für ein zukunftsweisendes Dentallabor aufeinander: „Auf der einen Seite steht das technische Know-How der Jugend, auf der anderen Seite die Erfahrung des zahntechnischen Betriebes. Beides zusammen ergibt das Labor der Zukunft.“
Wie weit der Prozess der Industrialisierung und Standardisierung von Zahnersatz bereits fortgeschritten ist, zeigte der stellvertretende Obermeister der NZI, Frank Schollmeier, anhand der Industriefräszentren Bego, Etkon und Nobel BioCare.
Ob es dem zahntechnischen Handwerk gefällt oder nicht. Die digitale Zukunft lässt sich nicht aufhalten. Fraglich ist nur, wie das Handwerk darauf reagiert und auf welche Art und Weise der einzelne Zahntechniker die neuen Technologien willkommen heißt.
Im Anschluss an die Vorträge ließen die Teilnehmer den Abend gemeinsam festlich ausklingen. Reichlich Stoff für angeregte Diskussionen zwischen den Kollegen hatten die Referenten den Teilnehmern mit auf den Weg gegeben. Beendet wurde die Veranstaltung erst morgens um 03.30 Uhr, als die Polizei mal nachschauen kam, wer denn da immer noch so ausgelassen feiert.
Quelle: Niedersächsische Zahntechniker-Innung, 28.09.2009