Branchenmeldungen 16.10.2025

97. Jahrestagung der DGKFO: Exzellenz durch Evidenz



Die 97. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V. (DGKFO) fand vom 10. bis 13. September in Leipzig statt und stand unter dem Motto „Exzellenz durch Evidenz“. Tagungspräsident Prof. Dr. Dr. Till Köhne erläuterte in einem Interview, das in der Ausgabe 9/25 der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen ist, dass Exzellenz und Evidenz für ihn untrennbar miteinander verbunden sind. Nur auf Grundlage fundierter Kenntnisse der kieferorthopädischen Studienlage ließen sich Fehler vermeiden und qualitativ hochwertige Ergebnisse erzielen.

97. Jahrestagung der DGKFO: Exzellenz durch Evidenz

Foto: MCI/Thomas Ecke

Für praktisch tätige Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden bedeute dies jedoch nicht allein die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur, sondern ebenso den Anspruch, durch handwerkliches Können bestmögliche Resultate für Patientinnen und Patienten zu erreichen, so Köhne im Interview.

Das Programm der diesjährigen Jahrestagung spiegelte genau diesen Anspruch wider, indem es wissenschaftliche Evidenz und praktische Anwendung eng miteinander verknüpfte.

Wissenschaftliches Programm

Traditionsgemäß begrüßte am Donnerstagmorgen zunächst der (ehemalige) Präsident der DGKFO Prof. Dr. Dr. Peter Proff die Kongressteilnehmenden. Er bedankte sich im Namen des Vorstandes bei dem Tagungspräsidenten für das gut kuratierte Tagungsprogramm.

Anschließend führte Prof. Till Köhne mit einer Begrüßungsrede in das erste Hauptthema „Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde – interdisziplinäre Therapiekonzepte“ des Kongresses ein. Er betonte dabei, dass die Fachbereiche Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde besonders enge Schnittmengen innerhalb der interdisziplinären Zahnmedizin aufweisen. Als Beispiele nannte er kieferorthopädische Behandlungen in Verbindung mit Prothetik oder Parodontologie sowie Fälle von Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), die interdisziplinärer nicht sein könnten, weil sie nur interdisziplinär gelöst werden können. Laut Prof. Köhne hat die enge Verzahnung von Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde insbesondere im Osten Deutschlands eine lange Tradition. Die inhaltliche Verbindung der beiden Fachdisziplinen sei sinnvoll, da beide den Zahnwechsel begleiten und bei Bedarf therapeutisch intervenieren. Dafür sei es wichtig, die verschiedenen Therapieoptionen zu kennen, so Prof. Köhne.  

Eröffnet wurde das erste Hauptthema von Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke und ihrem Vortrag „Mundgesundheit durch kieferorthopädische Frühbehandlung – Update 2025“. Prof. Kahl-Nieke gab ein umfassendes Update zur kieferorthopädischen Frühbehandlung und deren Bedeutung für die Mundgesundheit. Der Vortrag beleuchtete unter anderem den aktuellen wissenschaftlichen Stand sowie gesundheitspolitische Entwicklungen und mündete in einer klaren Empfehlung zur gezielten Frühintervention bei Risikopatienten. Mit der scherzhaften Bemerkung direkt zu Beginn des Vortrages, dass sie sich wie eine Influencerin fühle, weil sie für die Frühbehandlung in der KFO werbe, unterstrich sie ihre Leidenschaft und ihr Engagement für das Thema. Bereits 1996 zeigte sie mit ihrem Team auf, dass die kieferorthopädische Frühbehandlung insbesondere bei skelettalen und dentoalveolären Entwicklungs- und Funktionsstörungen indiziert ist, wenn die Gefahr einer Progredienz oder funktionellen Verschlechterung besteht. In ihrem Vortrag verwies sie auf eine aktuelle Studie, die 2024 im Journal of Pharmacy and BioAllied Sciences veröffentlicht wurde und bestätigt, dass diese Einschätzung auch heute noch Gültigkeit hat. Prof. Kahl-Nieke betonte zudem die Relevanz der im Dezember 2021 veröffentlichten „S2k-Leitlinie Ideale Zeitpunkte und Maßnahmen der kieferorthopädischen Diagnostik“, die erstmals konsensbasiert Empfehlungen zum Timing kieferorthopädischer Maßnahmen formulierte. Im Juni 2025 folgte eine weitere Aktualisierung dieser Leitlinie, die sich insbesondere mit den „idealen Zeitpunkten“ der Therapie und der Nutzenbewertung der Frühbehandlung befasst.

Diese Leitlinie, entstanden in Kooperation der DGKFO und weiterer medizinischer Fachgesellschaften, soll eine Orientierung geben, wann eine Frühbehandlung medizinisch sinnvoll ist. Die Referentin hob hervor, dass die Indikation zur Frühbehandlung auf einer individuellen Risikobewertung beruhen muss. Entscheidend seien die Parameter Schweregrad und Progredienzrisiko der Anomalie, potenzieller Schaden bei ausbleibender Intervention, psychosoziale und funktionelle Beeinträchtigung sowie Compliance des Kindes und der Eltern. Regelmäßige Kontrollen ab dem Milchgebiss bis zum späten Wechselgebiss seien notwendig, um Risikopatienten frühzeitig zu erkennen. Anhand klinischer Beispiele und aktueller Studien erläuterte Prof. Kahl-Nieke die Evidenzlage für verschiedene Indikationen. Für den Fall eines einseitigen Kreuzbisses stellte sie eine Studie von Lippold et al. (2008) vor. Diese zeigte, dass eine Kreuzbisskorrektur im Milch- und frühen Wechselgebiss zu einer signifikanten funktionellen Verbesserung sowie zu einer signifikanten Verbesserung der kondylären Position in zentrischer und habitueller Okklusion führt. Die Evidenz gilt als hoch: Eine frühzeitige Behandlung kann funktionelle und morphologische Kiefergelenkanomalien verhindern. Die aktuelle klinische Bedeutung des Themas untermauerte Prof. Kahl-Nieke mit den Ergebnissen der DMS 6 (2020). Rund 16 Prozent der untersuchten acht- bis neunjährigen Kinder wiesen eine Indikation zur Frühbehandlung auf. Zudem korrelierten kieferorthopädische Fehlstellungen mit eingeschränkter mundgesundheitsbezogener Lebensqualität, funktionellen Problemen und erhöhter Kariesprävalenz. Prof. Kahl-Nieke schloss ihren Vortrag mit einem klaren Plädoyer für die individuell indizierte kieferorthopädische Frühbehandlung als Beitrag zur Mundgesundheit.

Die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit betonte Priv.-Doz. Dr. Anja Quast in ihrem anschließenden Kurzvortrag zur „Schnittstelle Kieferorthopädie und Logopädie“. Im Rahmen einer Studie wurden 40 Kinder und Jugendliche mit Angle-Klasse II/1 im Alter von acht bis 14 Jahren untersucht und in Gruppen mit inkompetentem bzw. kompetentem Lippenschluss eingeteilt. Es zeigte sich, dass Patientinnen und Patienten mit inkompetentem Lippenschluss eine signifikant geringere Druckkraft aufwiesen und sich auch in den Bewegungsmustern deutlich von der Vergleichsgruppe unterschieden. Die Ergebnisse unterstreichen, dass kieferorthopädische Maßnahmen allein muskulär bedingte Einschränkungen nur begrenzt korrigieren können. Eine enge Kooperation mit der Logopädie und die Einleitung myofunktioneller Therapien erscheinen daher sinnvoll, um die orofaziale Muskulatur gezielt zu trainieren, so die Referentin.

Priv.-Doz. Dr. Christoph Reichert feierte auf der diesjährigen Jahrestagung sein 20-jähriges Jubiläum. Im Jahr 2005 besuchte er zum ersten Mal eine DGKFO-Jahrestagung – damals in Berlin. Er referierte zu dem Thema „Jeder Millimeter zählt – die Stützzone im Wechselgebiss“. Dr. Reichert führte in das Thema ein, indem er zunächst auf zwei kritische Phasen im Wechselgebiss aufmerksam machte, in denen Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden besonders wachsam sein sollten. Zum einen wies er auf fehlende Lücken beim frühen Zahnwechsel hin. Laut Dr. Reichert sollten in einer solchen Ausgangslage bei allen Behandelnden die Alarmglocken klingeln, da es sich um ein mögliches Warnsignal etwa für individuelle Resorptionen oder einen frontalen Kreuzbiss handeln könnte. In diesem Fall empfiehlt Dr. Reichert, die Patientinnen und Patienten engmaschig zu begleiten und diese kritische Phase des primären Zahndurchbruchs sorgfältig zu überwachen. Außerdem betonte er, dass bei vorhandener Stützzone mit mechanischen Durchbruchsbehinderungen zu rechnen sei. Zudem könne es zu Retentionen und veränderten Durchbruchszeiten kommen. Bei neutralem Schädelwachstum führe ein Versäumnis in dieser Phase seiner Erfahrung nach häufig zu einer notwendigen Extraktion. Schwerpunkt des Vortrags war das Thema Platzmangel und Platzverlust im Wechselgebiss. Anhand von Studien und anschaulichen Fallbeispielen zeigte Dr. Reichert, wie sich der Kiefer im Falle eines Platzmangels oder Platzverlusts entwickelt, je nachdem, ob keine Intervention erfolgt, ob der vorhandene Platz gehalten, genutzt oder neu geschaffen wird. Für den Fall, dass keine Intervention erfolgt, stellte Dr. Reichert eine Übersichtsarbeit von Los Santos et al. vor, die im Jahr 2023 in Progress in Orthodontics publiziert wurde. Das Fazit dieser Arbeit lautete, dass sich Engstände umso stärker spontan korrigieren, je ausgeprägter sie zu Beginn waren. Die Autorinnen und Autoren nannten drei wesentliche Faktoren, die diese Verbesserung beeinflussen: die Zunahme der intercaninen Distanz um etwa 3 mm, den Raumgewinn durch den Nance’s Leeway Space von rund 4,3 mm sowie eine stärkere Protrusion der permanenten unteren Inzisiven im Vergleich zur ersten Dentition. Auf Basis dieser Daten empfahlen die Forschenden, Patientinnen und Patienten mit leichtem bis mittlerem Engstand zunächst nicht zu behandeln, sondern longitudinal zu beobachten, um eine mögliche Übertherapie zu vermeiden. Dr. Reichert berichtete, dass er dieser Empfehlung in seiner Praxis bereits gefolgt sei und damit gute Erfahrungen gemacht habe.

Er wandte sich anschließend der Frage zu, wie der Platz, insbesondere die Stützzone, erhalten werden kann, und thematisierte dabei die Wirkung von Lückenhaltern in der Wechselgebissphase. Er verwies auf ein aktuelles Review der Arbeitsgruppe um Tabatabai und Kjellberg, das untersucht, wie sich Lückenhalter auswirken, wenn der zweite Milchmolar vorzeitig verloren geht. Einschlusskriterien der analysierten Studien waren Patienten im Alter von vier bis 15 Jahren, ein Verlust des zweiten Milchmolaren, der Einsatz verschiedener Lückenhalter sowie das Vorhandensein einer Vergleichsgruppe ohne Lückenhalter. Die in den Studien eingesetzten Geräte waren herausnehmbare Lückenhalter, festsitzende Lückenhalter und Lingualbögen. Erwartete Effekte zeigten sich vor allem in der Erhaltung der Zahnbogenlänge. Die unteren Inzisiven wiesen eine verstärkte linguale Inklination auf, die Molaren eine mesiale Inklination. Dieser Effekt war in den Kontrollgruppen ohne Intervention deutlich stärker ausgeprägt, was auf einen erhöhten Platzmangel hinweist. Hinsichtlich parodontaler Probleme zeigte sich bei den festsitzenden Geräten eine verstärkte Plaqueakkumulation sowie ein Anstieg von BoP- und Gingival Index.

Dr. Reichert ging anschließend der Frage nach, wann ein Lückenhalter eingesetzt werden sollte. Der Evidenzlage zufolge gebe es eine relativ starke Grundlage dafür, dass der zweite Milchmolar im Unterkiefer platzhaltend sei. Gehe dieser Zahn verloren, komme es häufig zu einer erheblichen Einengung der Stützzone, weshalb hier klar ein Lückenhalter empfohlen werde. Für andere Milchzähne liegen weniger eindeutige Daten vor, so Reichert. Der Referent stellte Ergebnisse einer chinesischen Arbeitsgruppe vor, die zeigen, dass beim Verlust des ersten Milchmolaren die Lücke meist stabil bleibt, sodass zunächst eine abwartende Beobachtung ausreichend sei. Eine Abweichung von dieser Haltung sei jedoch angezeigt, wenn sich eine dentale Mittellinienverschiebung einstellt, gegebenenfalls seien Ausgleichsextraktionen zu erwägen. Dr. Reichert wies zudem darauf hin, die Seitenzahnentwicklung in der Vertikalen zu berücksichtigen. Insbesondere bei einer Übereruption in die Lücke müsse schnell gehandelt werden, auch wenn die Evidenz hierzu begrenzt, aber die Plausibilität hoch sei. Wird ein Milchzahn verloren, führt dies häufig zu einer Kippung der Nachbarzähne und einer reaktiven Übereruption der Zähne im antagonistischen Kiefer. In der Folge können Patienten trotz neutralem Schädelaufbau und skelettaler Klasse I eine dentale Klasse III, Platzmangel, Tiefbiss oder eine verstärkte Spee-Kurve entwickeln. Beim grundsätzlichen Kassenmodell des Lückenhalters sieht Dr. Reichert persönlich einige Probleme. Bei sehr frühem Platzbedarf sei die Tragezeit lang, was die Compliance verringere, zudem könne die Entwicklung von Maxilla und Mandibula gehemmt werden, und in der Zahnwechselphase müsse das Gerät häufig angepasst werden. Aus diesem Grund setzt er den Lückenhalter nur bei zwingender Indikation ein. Als bewährte Alternative habe sich in seiner Praxis in den letzten Jahren insbesondere der Lingualbogen etabliert. Der Lingualbogen sei für ihn mittlerweile ein unverzichtbares Gerät. Dennoch betonte er, dass der Einsatz nicht unkritisch erfolgen solle. Es gebe Hinweise mit niedrigem Evidenzniveau, dass Strategien zur Konservierung der Zahnbogenlänge ein Risiko für die Eruption der zweiten Molaren darstellen könnten. Dies solle unbedingt berücksichtigt werden, wenn ein passives Gerät als Platzhalter eingesetzt werde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Dr. Reichert gelang, die aktuelle Evidenzlage mit praktischen Erfahrungen zu verknüpfen. Er zeigte, dass erfolgreiche Kieferorthopädie auf einer Kombination aus wissenschaftlich fundierter Entscheidungsfindung, klinischem Gespür und sorgfältiger Planung beruht.

Prof. Dr. Kathrin Bekes widmete sich in ihrem Vortrag einem Thema, das in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat: die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). In ihrem Vortrag mit dem Titel „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation – was muss ich seitens der KFO wissen?“ erläuterte sie den aktuellen Wissensstand zu dieser noch jungen, aber klinisch hochrelevanten Erkrankung und zeigte auf, welche diagnostischen und therapeutischen Aspekte insbesondere für die Kieferorthopädie von Bedeutung sind. Prof. Bekes betonte, dass der Begriff erst im Jahr 2001 offiziell in die Literatur und Fachpresse eingeführt wurde und die knapp 25 Jahre bisheriger Forschung nicht ausreichen, um die Komplexität dieser Krankheit umfassend zu erforschen. Bis dato werden jährlich neue Erkenntnisse über MIH bekannt, so die Referentin. Auch Prof. Bekes zitierte in ihrem Vortrag die Ergebnisse der DMS 6. Laut der Studie liegt die Prävalenz der Erkrankung bei etwa 15 Prozent. Jedes siebte Kind ist im Minimum betroffen, so Prof. Bekes. Weiter unterstrich die Referentin, dass die Ursachen noch nicht abschließend geklärt, aber sicherlich multifaktoriell seien. Diskutiert würden unter anderem Faktoren wie Vitamin-D-Mangel oder Umweltbelastungen. Sicher lasse sich aber sagen, dass mangelnde Mundhygiene oder schlechte Ernährung nicht zu den Faktoren zählen. Für die Diagnostik verwies Prof. Bekes auf die Kriterien der Europäischen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (EAPD). Charakteristisch seien klar abgegrenzte Verfärbungen, die sekundär einbrechen könnten. Wichtig sei die Abgrenzung zur Hypoplasie. Zu Beginn der MIH, also während der Schmelzbildung, werde im Gegensatz zur Hypoplasie zwar ausreichend Schmelz gebildet, die Mineralisation sei jedoch an bestimmten Stellen gestört, was zu den charakteristischen Farbveränderungen führe. Prof. Bekes betonte, dass es sich bei der MIH um eine Hypomineralisation in einem begrenzten Bereich handele. Per definitionem müsse mindestens ein erster bleibender Molar betroffen sein. Daher solle der Blick der Kieferorthopädin oder des Kieferorthopäden immer zunächst auf die Molaren gerichtet werden, um dort mögliche Auffälligkeiten zu erkennen. Zeigten sich lediglich Verfärbungen an den Frontzähnen, liege mit hoher Wahrscheinlichkeit keine MIH vor.

Die Variabilität der Erkrankung verdeutlichte Prof. Bekes anhand von drei sehr unterschiedlichen Patientenbeispielen. Im ersten Fall zeigte sich bei einem Patienten im Rahmen eines routinemäßigen Check-ups an den Zähnen 26 und 36 jeweils im distovestibulären Bereich eine kleine Opazität. Eine leichte MIH trotz guten Mundhygienestatus. In diesem Fall werde die Erkrankung den Patienten vermutlich lebenslang nicht beeinträchtigen, so Prof. Bekes. Der nächste Fall hingegen mache dem Begriff der „Kreidezähne“ alle Ehre. Es handelte sich um eine junge Patientin im frühen Wechselgebiss, bei der drei der vier ersten bleibenden Molaren gelblich-bräunliche Verfärbungen sowie erste Schmelzeinbrüche zeigten und bereits zu zerbröseln begannen. Im dritten Fall wies eine Patientin an allen vier ersten bleibenden Molaren einen ausgeprägten Zahnschmelzverlust und eine erhebliche Schmerzsymptomatik auf. Aufgrund der hohen Variabilität der Erkrankung gebe es keine „One-fits-all“-Therapie, so Prof. Bekes. Wichtig für die Therapieplanung sei die vorherige Bestimmung des Schweregrades, die mithilfe des Würzburger Konzepts erfolgen könne. Nach Diagnosestellung könne mit dem Konzept eine Einstufung der betroffenen Zähne anhand von Schmelzeinbrüchen und Hypersensibilität erfolgen, woraus sich der Schweregrad ableiten lasse, der von mild bis schwer reiche. Auf Grundlage dieser Einstufung könne dann mithilfe des Würzburger Konzepts der Behandlungsplan in einem Stufenprotokoll festgelegt werden. Dieses umfasse zunächst nichtinvasive Maßnahmen wie Prophylaxe, Fluoridierung und Desensibilisierung und steigere sich je nach Schweregrad zu restaurativen Maßnahmen oder, bei sehr stark betroffenen Zähnen, zu Extraktionen. Prof. Bekes unterstreicht, dass die Umsetzung stark von der Compliance des Kindes abhänge und die Entscheidung über aufwendige Maßnahmen oder Extraktionen eng mit einer Kieferorthopädin bzw. einem Kieferorthopäden abgestimmt werden müsse. Einen näheren Einblick in die interdisziplinäre Behandlung von MIH gibt der Beitrag „Gesteuerte Extraktion und kieferorthopädischer Lückenschluss – eine Behandlungsoption bei MIH“ von Dr. Karsten Junghanns und Dr. Heiko Goldbecher, auf Seite 8 der KN Kieferorthopädie Nachrichten 10/2025.

Das zweite große Hauptthema der Jahrestagung lautete „Klasse II-Therapie“. Prof. Köhne erläuterte im Vorfeld, dass Klasse II-Dysgnathien nach wie vor zu den häufigsten Anomalien in der kieferorthopädischen Praxis zählen. Entsprechend vielfältig seien die heutigen Behandlungsansätze wie FKO, Extraktion, Dysgnathie-OP, festsitzende Klasse-II-Mechaniken, skelettale Verankerung, Lingualtechnik und Aligner. Ziel der Tagung war es, die jeweiligen Vor- und Nachteile dieser Methoden anhand zahlreicher Patientenbeispiele und Studien zu beleuchten und kritisch zu diskutieren. So, betonte Prof. Köhne, könnten die Teilnehmenden die vorgestellten Ansätze vergleichen, bewerten und die besten Impulse für ihre eigene Praxis mitnehmen.

Prof. Dr. Benedict Wilmes beschäftigte sich im Rahmen einer retrospektiven Pilotstudie mit der nonoperativen Therapie ausgeprägter skelettaler Klasse II-Dysgnathien bei Erwachsenen. In der Pilotstudie wurden vier Patienten im Alter von 37 bis 55 Jahren behandelt. Bei allen Patienten lag eine deutlich ausgeprägte skelettale Klasse II vor. Zur Korrektur kombinierten die Behandler miniimplantatgetragene Distalisierungsapparaturen im Oberkiefer mit Klasse II-Gummizügen zur Neupositionierung des Unterkiefers. Durch diese Maßnahmen konnte bei allen Patienten eine stabile Klasse I-Okklusion erreicht werden. Der WITS-Wert verbesserte sich im Mittel um 5,8 mm, und auch nach einer Retentionsphase von mindestens zwei Jahren blieb das Behandlungsergebnis stabil. Auffällig war zudem, dass keiner der Patienten über CMD-Symptome berichtete. Prof. Wilmes schloss daraus, dass diese Kombination aus miniimplantatgestützter Distalisierung und Unterkieferneupositionierung die Kompensationsmöglichkeiten einer skelettalen Klasse II erweitert und die Notwendigkeit einer orthognathen Operation reduzieren kann. Prof. Wilmes betonte, dass dieser Ansatz nun in größeren Studien weiter untersucht werden sollte.

Prof. Dr. Kathrin Becker beschäftigte sich in ihrem Vortrag ebenfalls mit der Anwendung von Alignern. Sie stellte in ihrem Vortrag die Ergebnisse einer multizentrischen, randomisierten Studie zur Effektivität verschiedener Aligner-Staging-Protokolle vor. Untersucht wurde, ob ein wöchentlicher oder zweiwöchentlicher Aligner-Wechsel Einfluss auf die tatsächlich erzielten Zahnbewegungen und die Veränderung des PAR-Scores hat. In die Studie wurden 83 parodontal gesunde Patient/-innen eingeschlossen, die Clear-Aligner trugen. Prof. Becker berichtete, dass sich zwischen den beiden Gruppen weder bei der Reduktion des PAR-Scores noch bei der Abweichung der geplanten zur tatsächlich erzielten translationalen oder rotatorischen Bewegung signifikante Unterschiede zeigten. Nur vereinzelt traten kleinere Probleme wie Attachmentverluste oder Defekte der Aligner auf. Die Ergebnisse legen nahe, dass für das verwendete Aligner-System sowohl wöchentliche als auch zweiwöchentliche Wechsel vergleichbare Behandlungsergebnisse liefern und damit beide Protokolle klinisch praktikabel sind, so Prof. Becker.

Das wissenschaftliche Programm der Jahrestagung war auch in diesem Jahr wieder besonders umfangreich, sodass im Rahmen dieses Nachberichts lediglich ein Ausschnitt der zahlreichen Vorträge vorgestellt werden kann.

Fachausstellung

Neben dem wissenschaftlichen Programm ist die Fachmesse ein wichtiger Teil der Jahrestagung. Wie in jedem Jahr stellten auch in diesem Jahr zahlreiche Aussteller die neuesten Innovationen aus der KFO-Welt vor.

Die Kongressteilnehmenden konnten sich am Stand von Dentaurum von den Vorteilen der discovery smart® SL-Bracketlinie überzeugen. Das Dentaurum-Team präsentierte ein System, das durch hohe Sicherheit, präzise Rotationskontrolle und ein ästhetisches Design mit abgerundeten Oberflächen überzeugen soll. Eine Besonderheit ist das Click & Go-System: Durch einfaches Schieben des Deckels in inzisaler oder okklusaler Richtung lasse sich dieser intuitiv schließen. Das hörbare Einrasten („Click“) sorge für Sicherheit im Handling, während der anschließende „Go“-Effekt verspreche, durch den schnelleren Bogenwechsel die Behandlungszeit am Stuhl deutlich zu verkürzen.

Am Stand von Ortho Organizers stand das selbstligierende Micro One® Bracket im Mittelpunkt. Laut Anbieter zeichnet es sich durch hohen Tragekomfort aus. Der patentierte Drop-in-Hook ermögliche eine flexible klinische Anwendung, während die Lasermarkierung auf der Rückseite eine klare Orientierung biete. Der leicht zu öffnende Clip sorge außerdem dafür, dass beim Einsetzen keine unnötigen Kräfte auf den Zahn wirken.

Eine moderne Lösung für die digitale Fertigung von Gaumennahterweiterungsapparaturen präsentierte dentalline. Der teleskopische Expander CAD/CAM von LEONE eigne sich durch das günstige Verhältnis zwischen Gerätegröße und erreichbarem Dehnweg besonders gut für die Gaumennahterweiterung, auch bei Patientinnen und Patienten mit engen transversalen Platzverhältnissen. Mithilfe von Minischrauben zur palatinalen skelettalen Verankerung (TADs) könne die stabile Doppelschraube zudem bei Erwachsenen eingesetzt werden. Die Expansionskapazität liege wahlweise bei 10, 14 oder 18 mm. Dentalline erklärte, dass der teleskopische Expander mit einem Drehschlüssel geliefert wird, der eine intraorale Aktivierung mit nur einer Bewegung ermögliche.

Am Stand von SCHEU hatten die Kongressbesucher die Möglichkeit, eine Apple Watch zu gewinnen. Interessierte konnten über einen QR-Code Fragen zu den Produkten stellen, die von den SCHEU-Experten über die Social-Media-Kanäle des Unternehmens beantwortet wurden. Für SCHEU war dies eine tolle Gelegenheit, direkten Kontakt zu den Anwendern zu pflegen und die Produkte durch den Austausch zu optimieren – eine Win-win-Situation, erklärte Simone Westhoff von SCHEU. Selbstverständlich konnten sich die Besucher auch direkt am Stand von SCHEU über die Produkte informieren. Simone Westhoff stellte unter anderem den MEMOTAIN® vor. Das Besondere sei die minimale Bruchgefahr (1 Prozent) sowie die maximale Passgenauigkeit. Außerdem sei das aus Memory-Metall NITINOL gefertigte Material dünner als herkömmliche Retainer und bleibe nach der Formgebung dauerhaft stabil.

Mike Schuhmann von Al dente präsentierte den neuen MultiSplint, ein Tiefziehgerät, das mit Folien bis zu 428 mm Durchmesser bis zu 20 Modelle gleichzeitig verarbeiten kann. Ein automatisches Nivellierungssystem sorge für verzugsfreie Ergebnisse, während individualisierbare Materialprofile maximale Flexibilität in der Anwendung ermöglichen sollen. Dank des integrierten Kompressors ist kein externer Druckluftanschluss erforderlich, sodass der MultiSplint nahezu überall einsatzbereit ist, sagt Schuhmann. Mit diesen Funktionen trägt das Gerät maßgeblich dazu bei, die Produktivität bei der Herstellung von Zahnschienen aller Art nachhaltig zu steigern, so Schuhmann. 

Auch am Stand von DW Lingual Systems hatten die Kongressteilnehmenden ebenfalls die Möglichkeit, Preise zu gewinnen. Beim Einligier-Wettbewerb kam es darauf an, wer am schnellsten Lingualbögen einligieren konnte. Täglich wurden die Gewinner bekannt gegeben und ausgezeichnet. Darüber hinaus informierte das Team von DW Lingual Systems über die WIN-Lingualtechnik und bot den Besuchern die Möglichkeit, sich direkt vor Ort für die Zertifizierungskurse anzumelden.

Neben innovativen Lösungen für die Aligner-Therapie setzte Angel Aligner in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Weiterbildung. Ab 2026 sollen Anwenderinnen und Anwender über die Angel Case Library von den Praxisbeispielen und Behandlungsmethoden ihrer Kolleginnen und Kollegen lernen können, um ihre eigene Expertise gezielt zu erweitern. Darüber hinaus biete die Plattform die Möglichkeit, eigene Behandlungsergebnisse zu dokumentieren und mit der Fachgemeinschaft zu teilen. Ein interaktives Konzept, das den fachlichen Austausch und die kontinuierliche Fortentwicklung in der Praxis fördern soll.

Ausblick

Die Tagungspräsidentin der 98. Jahrestagung, Prof. Dr. Angelika Stellzig-Eisenhauer, lädt vom 30. September bis 3. Oktober 2026 nach Baden-Baden ein. Das Motto der Tagung lautet „Aesthetics Follow Function“.

Mehr News aus Branchenmeldungen

ePaper