Branchenmeldungen 12.11.2018
„Aligner sind bei offenen Bissen die Apparatur meiner Wahl“
Was muss bei der Korrektur frontal offener Bisse mit Alignern im Rahmen der Diagnostik beachtet werden? Kommen parallel auch TADs zum Einsatz? Wie verhält es sich mit der Langzeitretention? Die Redaktion der KN Kieferorthopädie Nachrichten traf Dr. Jonathan L. Nicozisis zum Interview.
Was sind die diagnostischen Hauptanforderungen für eine angemessene Behandlung frontal offener Bisse mithilfe von Alignern?
Dr. Jonathan L. Nicozisis: Wie bei jeder Behandlung ist eine korrekte Diagnose elementar, um eine erfolgreiche Therapie planen und designen zu können, unabhängig davon, welche Behandlungsart zur Anwendung kommt. Neben den grundlegenden skelettalen und dentalen Abweichungen sowie Angewohnheiten, die zur Ätiologie des offenen Bisses beigetragen haben, sollte ein Faktor auch das angestrebte kosmetische Endergebnis sein. Überdurchschnittliche Unterkieferebenenwinkel, stumpfe Gonionwinkel, antegoniale Einziehung und nach oben gedrehte Palatinalflächen sind einige der offensichtlichen Kriterien. Dann bewerte ich die Lachlinie und stelle mir die Frage, wo befinden sich die Inzisalkanten der anterioren Dentition im Verhältnis zur Kurvatur der Unterlippe? Dann richtet sich mein Fokus auf die Seitenzähne beim Lächeln und ich frage, ob hier eine Supraeruption erkennbar ist. Erscheint das Zahnfleisch im Seitenzahnbereich zu exzessiv? Falls ja, dann erwäge ich die Notwendigkeit, die Seitenzähne zu intrudieren, während ich eine angemessene Extrusion der Frontzähne plane, um ein besseres inzisales Erscheinungsbild mit einer stimmigen Lachlinie als ultimatives Ziel zu realisieren.
In gewisser Weise erfordert eine korrekte Diagnose die Einbeziehung von Bemessungsgrundlagen skelettaler sowie dentoalveolärer Strukturen. Ich schaue mir auch die Okklusionsebenen in beiden Kiefern an und sehe nach, welche Frontzähne hierbei die zu beanstandenden Zähne sind; manchmal ist dies sowohl im Ober- als auch Unterkiefer der Fall, während es ein anderes Mal nur den Ober- oder den Unterkiefer allein betrifft. Andere Male sind es die Seitenzähne, die eine Supraeruption aufweisen. Ein Beispiel wäre, wenn eine Nachtschiene so schlecht gefertigt wurde, dass die Seitenzähne nicht genügend eingefasst sind, sodass diese mit der Zeit allmählich eruptieren. Letztlich habe ich wirklich das Gefühl, dass eine Okklusionsebenenkorrektur der heimliche Held ist, der der Korrektur eines frontal offenen Bisses zum Erfolg verhilft.
Schaut man sich die Kapitel in der Geschichte der Kieferorthopädie an, konzentrieren sich erfolgreiche Mechaniken bei der Korrektur frontal offener Bisse auf die Korrektur der Okklusionsebene; denken Sie an den High-Pull-Headgear, die MEAW-Mecha nik, in Acrylplatten eingebettete Magneten, geklebte RPE-Apparaturen (Rapid Palatal Expansion) sowie TADs (Temporary Anchorage Devices), um hier nur ein paar Ansätze zu nennen. All diese Beispiele verändern erfolgreich die Okklusionsebenen, sowohl beim Heranwachsenden als auch beim nicht mehr wachsenden Patienten.
Letztlich dürfen wir nicht die parodontale Gesundheit des umgebenden Gewebes als eine wichtige Komponente bzgl. der diagnostischen Anforderungen vergessen. Wenn Alveolarknochen und Gewebebiotyp die beabsichtige Zahnbewegung nicht tolerieren können, um die Behandlungsziele zu erreichen, sollte im Rahmen des Behandlungsplans eine parodontale Augmentation in Betracht gezogen werden; entweder vor oder nach der kieferorthopädischen Therapie.
Nachdem all dies vorab Erwähnte berücksichtigt wurde, spielt der kluge Kieferorthopäde all seine Stärken aus und minimiert die Schwächen der gewählten Apparatur und Art der Behandlung, für welche sich der Patient entschieden hat. Um keine Chance verstreichen zu lassen, um etwas provokativ zu sein, würde ich sagen, dass sich kein frontal offener Biss jemals bei Anwendung von Alignern verschlimmert hat. Und dies kann ich hinsichtlich des Einsatzes herkömmlicher festsitzender Apparaturen nicht behaupten. Von daher sind Aligner die Apparatur meiner Wahl, um offene Bisse zu behandeln. Ich möchte für solche Fälle nie wieder Brackets einsetzen.
Kombinieren Sie Aligner und TADs bei der Behandlung offener Bisse?
Auch wenn ich den Patienten oft sage, dass ich TADs einsetzen könnte, sofern dies im Rahmen der Behandlung erforderlich sein sollte, habe ich diese noch nicht gebraucht. Ich lasse die Möglichkeit ihres Einsatzes als eine Option offen. Ob sie eingesetzt werden könnten und von Nutzen wären? Selbstverständlich! Ich glaube, dass dies einen tollen Behandlungsansatz darstellt. So denke ich, dass an dessen Einsatz von Anfang an nichts auszusetzen ist. Ich hatte einfach ohne sie großen Erfolg und konnte durch den alleinigen Einsatz von Alignern großartige, langfristig stabile Ergebnisse erzielen. Ich verwende TADs routinemäßig zusammen mit Alignern, jedoch ist dies meist für andere Zwecke. Sofern Ihre Frage sich auf frontal offene Bisse bezieht, lautet meine Antwort, dass ich nicht routinemäßig TADs mit Alignern kombiniere, um frontal offene Bisse zu behandeln.
Gibt es Unterschiede im Behandlungsprotokoll und bei den Erfolgsraten zwischen erwachsenen Patienten und heranwachsenden Teens?
Das Design der Zahnbewegung bei offenen Bissen ist bei Teenagern und Erwachsenen das gleiche. Nach einer korrekten Differenzialdiagnose, welche festlegt, welche Zähne intrudiert und welche extrudiert werden sollen, soweit es der Änderung der Okklusalebenen, der Lachlinie etc. entspricht, schaue ich mir den Biotyp und das Alter des Patienten an, mit dem ich es zu tun habe.
Grundsätzlich gilt, je jünger der Patient, desto leichter ist es, dessen Zähne zu bewegen; je älter der Patient, desto länger kann es dauern. Um fortzufahren, aus Proffits Handbuch „Contemporary Orthodontics“ wissen wir, dass die Intrusion eine Bewe- gung ist, die das höchste Maß an Kraft erfordert sowie eine längere Zeit, diese umzusetzen. Insofern scheint die Intrusion der Seitenzähne bei Erwachsenen die größere Herausforderung zu sein. Zu diesem Zweck habe ich in den letzten paar Jahren den Einsatz von Hochfrequenz-Vibration in das Erwachsenenprotokoll aufgenommen.
Vielen Dank für das Interview.
Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten 11/18 erschienen.