Branchenmeldungen 21.02.2011
Als Zahnärztin unterwegs mit der "Rolling Clinic" auf Mindanao
Ein Erfahrungsbericht von einem Hilfsprojekt auf den Philippinen
Das Komitee Ärzte für die Dritte Welt e.V. unterhält derzeit in fünf Ländern neun Projekte. Eine der zahnärztlichen Hilfsmaßnahmen ist auf der Insel Mindanao im Süden der Philippinen verortet.
Ich hatte mich schon länger für die Arbeit des Komitees interessiert und nach einem Informationstag in Frankfurt am Main im Jahre 2002 entschloss ich mich zur aktiven Mitarbeit. Inzwischen habe ich bereits vier Mal einen sechswöchigen Einsatz mit der „Rolling Clinic“, einer mobilen Ambulanz, auf Mindanao gemacht.
Da sich die Aufgaben dort sehr stark von den hiesigen Bedingungen unterscheiden, ist eine gründliche Vorbereitung unerlässlich. Hilfreich im Vorfeld sind die Einsatzberichte anderer Zahnärztinnen und Zahnärzte, spezielle Ausrüstungstipps und Impfempfehlungen für das jeweilige Einsatzgebiet. So gehören Moskitonetz, Isomatte und Schlafsack dazu, da wir an den Einsatzorten unter einfachsten Bedingungen übernachten. Für die Arbeit vor Ort besorgte ich passende Handschuhe, resorbierbares Nahtmaterial, Gelastypt und eine Stirnlampe. Alles Dinge, die ich sehr gut gebrauchen konnte.
Meine erste Reise begann am 9. Januar 2003. Bei zwölf Grad minus startete ich von Hamburg aus und nach zwölf Stunden Flug kam ich in Manila bei plus 31 Grad an. Die Hitze, der enorme Verkehr, hektisches Treiben und der Lärm waren gewöhnungsbedürftig. Nach einer Übernachtung in einer kleinen Pension flog ich am nächsten Tag zum eigentlichen Ziel: der Hafen- und Universitätsstadt Cagayan de Oro auf der Insel Mindanao. Im „Doctor House“ in der Stadt beziehen alle Ärzte Quartier, von hier aus starten jeweils für zehn Tage die Autos der „Rolling Clinics“ zu den ausgewiesenen Einsatzgebieten. Zur Anpassung an die örtlichen Bedingungen – man bedenke die Zeitdifferenz von sieben Stunden – bleibt oft wenig Zeit, denn bald startet der Jeep mit dem kompletten Team: ein Fahrer – während der Behandlung assistiert und übersetzt er – und drei Schwestern, Philipinos, sowie eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt sowie eine Ärztin oder ein Arzt einer weiteren Fachrichtung.
Ein Einsatz in der "rolling clinic"
Nach einem festen Einsatzplan, der in über 20 Jahren entwickelt wurde, fahren wir in regelmäßigen Abständen Dörfer im Bukidnon-Gebirge (bis 3.000 Meter Höhe) an. Mit dem Einsatz wird eine kontinuierliche basismedizinische Versorgung der Ureinwohner gewährleistet und er ist für sie der einzige Zugang zu einer medizinischen Betreuung. Nur jede vierte Tour der „Rolling Clinic“ bringt einen Zahnarzt mit, so ist der Behandlungsbedarf riesig und besteht ausschließlich aus Extraktionen. Anfangs kam ich damit nur schwer klar, dass ich Zähne extrahieren musste, die man bei uns problemlos erhalten kann. Füllungen zu legen habe ich nach einigen Versuchen aufgegeben. Dafür waren die Materialien und die Möglichkeiten zu schlecht (Handaufbereitung). Die Patienten wünschen ohnehin die Extraktion, da es aus ihrer Sicht die beste Lösung für Schmerzfreiheit ist.
Die Fahrten zu den Dörfern sind lang, beschwerlich und mitunter mit großen Überraschungen. Die Landschaft ist faszinierend, hohe Berge, leider oft total abgeholzt, und umgeben von einer üppigen Natur. So geht es durch Flussläufe, über klapprige Holzbrücken und Wege voller Schlamm nach heftigen Regenfällen. Oft geht es nur mithilfe von Dorfbewohnern weiter. Werden die Wege über Nacht unpassierbar, helfen uns die Karabau-Gespanne oder die Eingeborenen tragen die schweren Kisten auf die Berge.
Oft kommen die Menschen von weit her, zu Fuß oder zu Pferde – meist Mütter mit ihren vielen Kindern. Männern im arbeitsfähigen Alter sind selten, denn wer Glück hat, wird von den Plantagenbesitzern (Zuckerrohr, Ananas, Palmöl) angefordert. Feste Arbeit haben die wenigsten.
Bei Ankunft in einem Dorf warten schon die künftigen Patienten.
Mit Hilfe der örtlichen Healthworker werden die verschiedenen Arbeitsplätze aufgebaut: Bei der Anmeldung erhält jeder Patient seine ‚Blue Card‘, die ihm eine kostenlose Behandlung ermöglicht. Nun wird die Anamnese eingetragen, Blutdruck wie Gewicht gemessen und in der Karte notiert. Es folgt die Behandlung beim Arzt. Daraufhin erhält der Patient notwendige Medikamente. Anschließend kommen die Patienten zum Zahnarzt. Der idealer Standort für dessen Arbeitsplatz ist aufgrund der Lichtverhältnisse – elektrisches Licht gibt es nicht – im Freien mit einer Überdachung.
Meine Hilfe für die Patienten ist ausschließlich die Zahnextraktion. Die Anzahl der Patienten für die tägliche Behandlung schwankt zwischen 20 bis 90, so werden es manchmal bis 170 Extraktionen pro Tag. Schluss ist erst, wenn auch der letzte Patient behandelt wurde, möglichst bis 18 Uhr, dann wird es dunkel. Pro Einsatz habe ich übrigens durchschnittlich 1.000 Patienten behandelt und dabei circa 1.700 Zähne extrahiert. Jeder Patient erhält nach der Extraktion Paracetamol, wenn notwendig auch Amoxicillin, denn der nächste Zahnarzt kommt frühestens in vier Monaten.
Wichtig ist ein guter Start, denn alle schauen zu. Philippinos kennen keine Diskretion und so sind wir von Anfang bis Ende dicht umlagert. Das Wort „sakit“ (Schmerz) geistert die ganze Zeit um uns herum und jeder Behandelte wird schon nach der Injektion gefragt: Sakit?
Die Gebiss-Situation der Kinder und Jugendlichen ist oft sehr schlecht: kariös zerstörte Milch- und Wechselgebisse. Viele Kinder haben als Folge vorzeitigen Milchzahnverlustes erhebliche Stellungsanomalien. Oft hatte ich Schulklassen der Elementarstufe zu behandeln, das bedeutet, den ganzen Vormittag extrahierte ich Sechsjahrmolaren. Ganz wichtig ist es, dass man sein Können unter diesen Umständen nicht überschätzt, denn man steht für alles allein da, ohne Röntgen und Klinik im Hintergrund. Mitunter kann das eine Gratwanderung werden, da oft auch Extraktionen von Weisheitszähnen bei Erwachsenen notwendig werden.
Die Ursachen der schlechten Mundgesundheit sind die fehlende Zahnpflege und der hohe Zuckerkonsum. Die tägliche Hauptnahrung ist Reis zu jeder Mahlzeit. Doch auch in den entlegensten Bergregionen gibt es kleine Lädchen mit Süßigkeiten und Rum. Sicher sind viele Kinder auch hungrig und kaufen für wenige Pesos Süßigkeiten. Die hohe Kinderzahl der Familien (sechs bis zehn), die Armut und Unwissenheit der Eltern sowie andere existenzielle Schwierigkeiten und Krankheiten (Wurmbefall, Skabies, Läuse und Infekte) lassen die Notwendigkeit der Zahngesundheit weit hinten rangieren. Es gibt aber Ansätze zur Hoffnung. So werden neuerdings in der „Rolling Clinic“ Zahnpasta und Zahnbürsten preisgünstig verkauft. Es liegt an uns und den örtlichen Healthworkern, die richtige Anwendung zu vermitteln.
Nach zehn anstrengenden Tagen fahren wir ins „Doctor House“ nach Cagayan de Oro zurück. Nach jeder Rückkehr an diesen Ort fühle ich mich wie im Paradies: ein eigenes Zimmerchen mit Bett, fließendes Wasser und eine „normale“ Toilette. Nun liegen vier freie Tage vor mir, nette Gespräche mit den Kollegen, einen Besuch im Internet-Café für die Rund-Mail nach Hause und eine Fahrt auf die Insel Camiguen. Danach folgen zwei weitere jeweils zehntägige Touren mit neuem Team und neuem Ziel. Bei meinen vier Einsätzen habe ich viele Kollegen kennengelernt, meist ältere, aber zunehmend auch jüngere. Die Motivation zur Mitarbeit im Komitee ist unterschiedlich, aber jede Person möchte von seinem Können etwas an Menschen weitergeben, denen es nicht so gut geht wie uns.
Autorin: Dr. Hannelore Seyfarth, Deutschland
Quelle: DT Austria