Branchenmeldungen 19.11.2015
Auch Bären müssen mal zum Zahnarzt
Dr. Lose aus Hamburg hat ein außergewöhnliches Hobby: in seiner Freizeit behandelt er ehrenamtlich Bären. Denn diese leiden häufig unter Zahnproblemen, die allzu oft unentdeckt und unbehandelt bleiben. Hauptursachen sind eine schlechte Fütterung und fragwürdige Haltungsbedingungen.
Der Hamburger Zahnarzt Dr. Lose behandelt in seiner Freizeit ehrenamtlich Bären. Da er „nur“ gelernter Mediziner für Menschen ist, darf er die Bären nur unter Aufsicht von Tierärzten behandeln. Doch er und Tierärztin Johanna Painer vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung sind ein gut eingespieltes Team. Vor ihm behandelte ein italienischer Zahnarzt die Tiere, dieser musste leider krankheitsbedingt damit aufhören. Mittlerweile hat Marc Sven Loose ein besonderes Verhältnis zu den Tieren aufgebaut.
Die Bären werden zuerst mit einem Narkosepfeil betäubt und dann auf dem Behandlungstisch untersucht. Die Dauer der Narkose richtet sich nach dem gesundheitlichen Zustand der Tiere. Ähnlich wie beim Menschen wird zuerst die Bestandsaufnahme durchgeführt und die Behandlungsdauer festgelegt. Nun wird nach Dringlichkeit behandelt. Während das Tier beatmet wird, bleibt das Maul mit einer Maulsperre geöffnet. Dr. Loose arbeitet am Kopf des Tieres, die Tierärzte kümmern sich um den umfassenden Gesundheitscheck. Die Geräte, die der Zahnarzt nutzt, stammen alle aus der Veterinärmedizin. Das Gebiss von Bären ähnelt dem von Menschen. Der größte Unterschied sind die Canini: bei Bären können diese bis zu 7 cm lang werden – und häufig abbrechen.
Hanna aus dem Bärenwald Müritz
Dieses Jahr hat der Zahnarzt im Bärenwald Müritz eine Wurzelbehandlung an Bärendame Hanna durchgeführt. Bevor Hanna in das größte Bärenschutzzentrum Deutschlands zog, lebte sie in einem zu kleinen, feuchten und dunklen Gehege. Erst als „der Bär“ kastriert werden sollte, fiel auf, dass es ein Weibchen ist. Die Bärin hat durch mangelnde Reinigung des Geheges starke Schäden an Nasenschleimhaut und die Nasenscheidewand davongetragen. Außerdem leidet sie an Parodontitis und Zahnstein.
Zahnarzt Loose sagt, er habe „noch nie einen Bären gesehen, der so massiven Zahnstein hatte, wie Hanna. Zunächst konnte ich mir dies nicht erklären, doch als wir die Entzündung der Nasenscheidewand und Schleimhäute sahen, war mir klar, dass Hanna nur noch durch den Mund atmen kann. Nach der gründlichen Zahnreinigung, die ca. eine Stunde dauerte, haben wir dann das ganze Ausmaß ihrer Zahnschädigungen feststellen können: die Zahnhälse der Frontzähne liegen frei, das Zahnfleisch ist stark zurück gegangen, alle vier Eckzähne benötigen eine Wurzelkanalbehandlung.“ In den folgenden Jahren wird Dr. Loose noch weitere Zahnbehandlungen an Hanna durchführen müssen.
Bei schlechter Haltung entwickeln Bären Verhaltensstörungen
Gründe für den katastrophalen Zustand der Bärenzähne ist oft eine schlechte Haltung. Die Organisation VIER PFOTEN hat beispielsweise bulgarische Tanzbären, die hauptsächlich mit Zuckerwasser und Weißbrot gefüttert wurden, aus der Gefangenschaft befreit. Für die Tanzeinlagen wurde den Tieren zusätzlich noch Alkohol gegeben. Auch viele Bären aus Zirkussen und Tierparks werden häufig mit Essensresten gefüttert, die Käfige sind zu eng oder die Bären an kurzen Ketten angeleint. Das führt bei vielen Tieren zu Verhaltensstörungen, wie beispielsweise auf Gitterstäben und Eisenketten herumzukauen. Dadurch habe sie Zahnfrakturen und Absplitterungen, die Karies begünstigen.
Im Bärenschutzzentrum Müritz werden die Tiere mit frischem Obst, Gemüse und Fisch gefüttert. Außerdem werden sie einmal jährlich tierärztlich überprüft. Die Gehege sind weiträumig und die Bären können hier ihren natürlichen Instinkten weitestgehend nachgehen. Die Auswilderung von in Gefangenschaft gehaltenen Tieren ist nicht möglich, jedoch wird ihr natürlicher Lebensraum hier nachempfunden. Sie können Höhlen buddeln, Baden und sich ein Plätzchen für ihre Winterruhe suchen.
Situation der Tierzahnmedizin in Deutschland
Nach abgeschlossenem Tiermedizinstudium können Tierärzte direkt in die Berufswelt einsteigen oder sich zu einem Facharzt weiterbilden lassen. In Deutschland gibt es unter anderem Fachtierärzte für Kleintiere, Pferde und Tierernährung, jedoch keinen Fachtierarzt für Zahnmedizin. In einigen Bereichen kann nach Erwerb des Fachtitels noch eine Zusatzbezeichnung, wie für Zahnheilkunde beim Kleintier oder Zahnheilkunde beim Pferd, erworben werden. Nur die Gebiets- und Zusatzbezeichnungen werden von übergeordneten Institutionen geprüft. Titelergänzungen wie der „Tätigkeitsschwerpunkt“ können auch ohne Prüfung geführt werden. Jeder Tierarzt darf und kann mit dem nötigen Werkzeug auch die Zähne von Tieren behandeln. Die meisten von ihnen sind jedoch nicht speziell für den Dentalbereich ausgebildet. Bei der Deutschen Gesellschaft für Tierzahnheilkunde kann man sich über das Thema informieren. Wer sich für diesen außergewöhnlichen Karriereweg entscheidet, hat es nicht allzu einfach. Selbst in einschlägigen Karriereratgebern sind noch nicht allzu viele Informationen zu diesem Beruf zu finden. Um den Bereich der Tierzahnmedizin trotz mangelnder Fachkräfte abzudecken, dürfen Zahnärzte Tiere in Zusammenarbeit mit einem Tierarzt behandeln. Zum Glück für Dr. Lose, der in dieser Aufgabe eine erfüllende ehrenamtliche Tätigkeit gefunden hat – und natürlich zum Glück für die Bären.