Branchenmeldungen 28.02.2011
Defizit im Gesundheitsfonds entzweit Union und FDP
Das Milliardenloch bei den Krankenkassen verschärft
die Meinungsunterschiede zwischen Union und FDP über die angestrebte
Gesundheitsreform. Die FDP machte den Gesundheitsfonds am Mittwoch in
Berlin mitverantwortlich für das erwartete Defizit von 7,5 Milliarden
Euro bei den gesetzlichen Kassen im kommenden Jahr. Dem widersprach
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Eine Lösung zeichnete sich zum Start der schwierigen
Gesundheitsverhandlungen von Schwarz-Gelb nicht ab. Kassen und
Sozialverbände warnten vor einseitigen Belastungen für die
Versicherten durch flächendeckende Zusatzbeiträge. Ab diesem
Donnerstag wollen beide Seiten die Finanzprobleme diskutieren.
Die Leiterin der Arbeitsgruppe Gesundheit, Familienministerin
Ursula von der Leyen (CDU), räumte Schwierigkeiten ein. «In der Tat,
es gibt ein Finanzierungsproblem», sagte sie. «Das setzt sich aber
nicht aus der Frage des Fonds zusammen.» Auch Merkel sieht keinen
Zusammenhang zwischen Fonds und Defizit. «Der Gesundheitsfonds ist
kein Ausgabentreiber», sagte ihr Sprecher Ulrich Wilhelm.
FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr hielt dem entgegen: «Der
Gesundheitsfonds hat dazu beigetragen, dass die Finanzlast so groß
geworden ist, dass sich Schulden aufgehäuft haben.» Ohne Fonds hätten
die Kassen mehr Anreize, Einnahmen und Ausgaben deckungsgleich zu
halten. Das Finanzdebakel sei eine schwere Erblast der scheidenden
SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. «Wir müssen vorbehaltlos über
den Gesundheitsfonds und alle anderen Fragen diskutieren.» Bahr
stimmte auf zähe Gespräche ein. «Ich glaube, dass die Arbeitsgruppe
Gesundheit eine der arbeitsintensivsten Verhandlungsgruppen sein
wird.» Von der Leyen und der FDP-Verhandlungsführer Philipp Rösler
betonten, es gebe keine Vorfestlegungen.
CDU-Expertin Annette Widmann-Mauz warf der FDP vor: «Sie will eine
Privatisierung des Gesundheitswesens.» Das komme für die Union nicht
infrage, sagte sie im Deutschlandfunk. Bayerns Gesundheitsminister
Markus Söder (CSU) kritisierte enorme Fehlverteilungen durch den
Fonds: «Wenn man den Fonds erhalten will, muss man sehr intelligent
überlegen, wie man das ausgestalten kann.»
Laut offizieller Schätzung werden die Ausgaben der Kassen 2010
wegen teils satter Zuwächse für Arzneimittel, Ärzte und Kliniken von
167 Milliarden Euro auf 174,2 Milliarden steigen. Die Einnahmen
liegen um 7,45 Milliarden darunter. Wachsende Arbeitslosigkeit dürfte
ein von steigenden Löhne rührendes Beitragsplus zunichtemachen.
Rechnet man regionale Ausgleichszahlungen heraus, beträgt das Defizit
sogar 7,8 Milliarden Euro.
Ungeachtet der Finanzprobleme sind die Koalitionäre in spe um eine
grundlegende Reform bemüht. Union und FDP wollten «große Schritte»
und gute Medizin langfristig auf hohem Niveau sichern, sagte von der
Leyen. Es gebe «Lösungsschritte, die noch innovativ sind».
Unklar blieb, wie das Milliardenloch gestopft werden soll. Ulla
Schmidt wandte sich unter Verweis auf Kassen-Reserven von mehr als
fünf Milliarden Euro gegen eine Anhebung des 14,9-prozentigen
Einheitssatzes. «Die Krankenkassen sind keine Sparkassen.» Auch
Widmann-Mauz sagte: «Es wäre sicherlich nicht das beste Signal für
die deutsche Wirtschaft.» Höhere Steuerzuschüsse schloss Widmann-Mauz
nicht aus, sagte aber, der Spielraum sei wegen der krisenbedingten
Belastung der Haushalte begrenzt. Sie kündigte Verhandlungen über die
geltende Ein-Prozent-Grenze bei den Zusatzbeiträgen an.
Zu einem zentralen Punkt der Verhandlungen dürfte die Suche nach
Einsparmöglichkeiten bei Pharmaindustrie, Ärzten oder Kliniken
werden. «In der gesamten Gesundheitsbürokratie versickert unglaublich
viel Geld», sagte der CSU-Politiker Söder. Wenn Einsparungen möglich
seien, dann bei der Pharmaindustrie. Widmann-Mauz sprach sich für
mehr Preisverhandlungen zwischen Arzneiherstellern und Kassen aus.
«Auf die Patienten darf auf keinen Fall eine Leistungskürzung
zukommen», forderte Söder. «Leistungen zu kürzen, ist nicht die
richtige Antwort», sagte auch Widmann-Mauz.
Kassen, Gewerkschaften und Sozialverbände machten Front gegen
Mehrbelastungen der Versicherten. «Wir fordern, dass die
Zusatzbeiträge abgeschafft und stattdessen der Steueranteil an der
GKV erhöht wird», sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Der Vizechef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, forderte,
die Beitragszahler nicht zu überfordern. «Wenn am Gesetz nichts
geändert wird, dann können die Kassen diese 7,5 Milliarden Euro nur
über Zusatzbeiträge decken, die von den Versicherten allein zu
finanzieren wären», sagte der Chef des Ersatzkassenverbands vdek,
Thomas Ballast, im WDR.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte: «Es kann nicht sein,
dass jetzt einmal mehr die Schwachen einseitig über Gebühr belastet
werden.» Die staatlichen Zuschüsse müssten stattdessen erhöht werden,
sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, derter Rundschau».
Quelle: dpa, 07.10.2009