Branchenmeldungen 10.06.2024
17. wissenschaftliche Jahrestagung der DGLO: Lingual and beyond
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Zwei Tage geballtes Wissen zum Thema Lingualtechnik: Das bot die diesjährige 17. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Linguale Orthodontie (DGLO), die am 23. und 24. Februar 2024 in Düsseldorf stattfand. Im Rahmen eines Vorkongresses, eines Kurses für Zahnmedizinische Fachangestellte sowie in 13 Vorträgen teilten international renommierte Referenten aus Wissenschaft und Praxis ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit den Teilnehmern. Im Mittelpunkt der durch die Tagungspräsidenten Dr. Martina Bräutigam und Dr. Jean-Philippe Becker eröffneten Veranstaltung stand der Einsatz vollständig individualisierbarer lingualer Apparaturen zur Korrektur unterschiedlichster Fehlstellungen.
Hohe Effizienz und Behandlungsqualität
Im Vorkongress erläuterte Prof. Dr. Dr. Dirk Wiechmann, wie bestimmte Fehlstellungen mit einer vollständig individualisierbaren lingualen Apparatur effektiv und effizient behandelt werden können, bei denen die Aligner-Therapie zuvor an ihre Grenzen gestoßen ist. Dies liegt vornehmlich daran, dass sich die Rotation von Eckzähnen, Torque-Kontrolle und körperliche Bewegungen mit einer lingualen Apparatur viel besser realisieren lassen. Auch in seinem Vortrag ging der Referent darauf ein, dass sich vollständig individualisierbare linguale Apparaturen hinsichtlich Effizienz und Qualität deutlich von anderen Apparaturen unterscheiden. Seine Aussagen unterstrich er mithilfe einer Übersicht von Behandlungsergebnissen.
Separat betrachtet wurde das Thema Torque-Kontrolle durch Dr. Ons Alouini. Sie zeigte anhand zahlreicher Fallbeispiele, dass bei korrekter Vorgehensweise die am Setup geplanten Ergebnisse tatsächlich erreicht werden. Dr. Michele Gales beschrieb die Behandlung verschiedener Malokklusionen in der Lingualtechnik anhand von Fallbeispielen. Das Thema der korrekten Vorgehensweise bei der Freilegung und Einordnung retinierter Eckzähne behandelte Prof. Dr. Ariane Hohoff. Ihre Empfehlungen orientierten sich an der Einteilung von Sektoren nach Ericson und Kurol1.
Impressionen
Kreuzbiss / Klasse II-Korrektur mittels dentoalveolärer Kompensation
Im zweiten Teil des Vorkongresses sowie in einem separaten Vortrag im Rahmen des Hauptprogramms präsentierten Dr. Yann Janssens und Dr. Jonas Schmid die Ergebnisse einer 2023 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie2. Sie besagt, dass die dentoalveoläre Kompensation mit vollständig individualisierbaren lingualen Apparaturen im Rahmen der Kreuzbiss- und Klasse II-Korrektur in vielen Fällen eine Alternative zur chirurgischen Gaumennahterweiterung darstellt. Den Ergebnissen zufolge ist die dentoalveoläre Kompensation ähnlich effektiv wie die Gaumennahterweiterung sowie ähnlich stark rezidiv behaftet. Eine Entscheidungsanalyse mit klaren Richtlinien, wann welche Behandlungsmethode zu wählen ist, lieferte Prof. Dr. Thomas Stamm in seinem Vortrag.
Lingualtechnik und Kieferchirurgie
Wie Patienten mit ausgeprägten Dysgnathien mittels lingualer Apparatur zu behandeln sind, beleuchtete Prof. Dr. Benedict Wilmes ging in seinem Vortrag mit dem Titel „Lingualtechnik bei ausgeprägten Dysgnathien, OP oder Kompensation?“. Er lieferte Kriterien für die korrekte Therapiewahl und beschrieb, wie sich bei OP-Fällen die Verankerung während der kieferorthopädischen Vorbehandlung optimal in die linguale Apparatur einbauen lässt. Prof. Dr. Michael Wolf präsentierte zahlreiche gut dokumentierte Fallbeispiele zum Einsatz einer vollständig individualisierbaren lingualen Apparatur nach Dysgnathie-OP.
Lingualtechnik bei Verschleiß, CMD und multiplen Restaurationen
Auch für ältere Patienten mit multiplen Restaurationen, Parodontitis, Verschleiß sowie Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion ist die Lingualtechnik hervorragend geeignet. Das ging aus den Vorträgen von Dr. Emmanuel Frerejouand, Dr. Volker Breidenbach und Dr. Magali Mujagic hervor. Dr. Frerejouand vermittelte das notwendige Wissen rund um die Ursachen und optischen Merkmale verschiedener Arten von Verschleiß – inklusive Empfehlungen zur Korrektur in Fällen, in denen eine Fehlstellung (z. B. Abrasion durch Vorkontakt) ursächlich ist. Dr. Mujagic warb für den Einsatz der Lingualtechnik bei Patienten im Alter von mehr als 60 Jahren. Abrasionsgebiss, multiple prothetische Versorgungen und Parodontopathien erfordern zwar häufig eine interdisziplinäre Herangehensweise, aufgrund digitaler Planung und gezielter Steuerbarkeit der Krafteinwirkung lassen sich aber ausgezeichnete Ergebnisse erzielen – mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität. Bei Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion liegen die Vorteile individualisierbarer lingualer Apparaturen laut Dr. Breidenbach in der Möglichkeit der gelenkschonenden Durchführung. Dank präziser Torque-Kontrolle können zudem Zwangsbisshaltungen vermieden werden.
Digitale Kieferorthopädie ist die Zukunft
Wie sehr digitale Technologien wie Intraoralscanner, Software für Setup und Apparatur-Design sowie 3D-Drucker seinen Arbeitsalltag erleichtern, demonstrierte Prof. Dr. Collin Jacobs. Für ihn ist die digitale Kieferorthopädie aus der Praxis nicht mehr wegzudenken. Dr. Asif Chatoo präsentierte anhand zahlreicher Fallbeispiele aus seiner exklusiven Lingual-Praxis in London einen digitalen Workflow mit individuellen Bögen und Verlaufskontrolle mittels Intraoralscanner. Letztere wird genutzt, um bei Bedarf ein Optimierungs-Setup zu erstellen und das Finishing zu optimieren.
Ehrungen und Zertifizierungen
Als bester Vortrag aus der Wissenschaft wurde der Vortrag mit dem Titel Aktuelle Ergebnisse zur Kreuzbiss- und Klasse II- Korrektur mit vollständig individuellen lingualen Apparaturen“ von Dr. Yann Janssens und Dr. Jonas Schmid geehrt. Die Auszeichnung für den besten Vortrag aus der Praxis erhielt Dr. Magali Mujagic („Orthodontic beyond the Age of 60: Clinical Aspects in Senior Patients”). Die Zertifizierung als aktive Mitglieder erhielten in diesem Jahr Dr. Sinan Hamadeh, Dr. Dirk Kujat, Dr. Rebecca Jungbauer, Dr. Isabelle Figel, Dr. Raphael Kläger, Prof. Dr. Stephan Möhlhenrich und Dr. Irina Mayer.
Neuer Vorstand und Jahrestagung 2025
In der Mitgliederversammlung wurde ein neuer Vorstand gewählt. Dieser setzt sich aus Dr. Martina Bräutigam (Erster Vorsitz), Dr. Volker Breidenbach (Zweiter Vorsitz) und Dr. Sinan Hamadeh (Kassenführer) zusammen. Schriftführer bleibt Dr. Christian Thaller, Kassenprüferin wird Dr. Ines Graf.
Den wissenschaftlichen Beirat für 2025 bilden Dr. Stefan Pies und Dr. Volker Breidenbach. Sie organisieren damit die 18. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGLO, die am 7. und 8. Februar 2025 erneut in Düsseldorf stattfindet. Wissenschaftlicher Beirat und Organisator für die Jahrestagung 2026 ist Dr. Sinan Hamadeh.
Fazit
Das Fazit zum Abschluss einer gelungenen 17. Wissenschaftlichen Jahrestagung ist eindeutig: Einmal mehr wurde deutlich, dass vollständig individualisierbare linguale Apparaturen eine hochwertige Behandlungsoption darstellen, mit der sich praktisch alle Fehlstellungen ästhetisch, effizient und präzise korrigieren lassen. In einigen Fällen ist dafür eine interdisziplinäre Herangehensweise erforderlich, die sich dank digitaler Behandlungsplanung hervorragend koordinieren lässt – ganz gleich, ob im Team mit Chirurgen, Prothetikern oder anderen Spezialisten. Die Teilnehmer der Tagung lobten die hervorragende Organisation und die angenehme, familiäre Atmosphäre, die den Austausch unter Kollegen förderte und Lust machte auf ein erneutes Zusammentreffen in 2025.
Danksagung
Ein ganz besonderer Dank geht an den diesjährigen wissenschaftlichen Beirat, Dr. Martina Bräutigam und Dr. Jean-Philippe Becker, für die gelungene Organisation und Durchführung der Tagung, sowie an die bisherigen Vorstandsmitglieder Dr. Andreas Bartelt, Dr. Claudia Obijou-Kohlhas, Dr. Christian Thaller und Dr. Peter Kohlhas für ihr unermüdliches Engagement im Jahr 2023. Nicht zuletzt seien die zahlreichen Sponsoren und Aussteller aus der Industrie genannt, deren Innovationen stets ein Teilnehmermagnet sind und die einen wichtigen Beitrag zum fachlichen Austausch geleistet haben.
Die Literaturliste können Sie sich hier herunterladen.
Dieser Beitrag ist unter dem Originaltitel „DGLO-Jahrestagung: Lingual and beyond“ in den KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.