Branchenmeldungen 14.09.2023
Der lange Weg zum Fachzahnarzt Kieferorthopädie
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Dieser Artikel ist unter dem Titel „Es ist immer wieder die persönliche Ebene, die letztendlich ausschlaggebend ist“ im BDK.info 3/2023 erschienen.
Seit über 25 Jahren hat sich der Verband Österreichischer Kieferorthopäden (VÖK) lautstark und mit großem Engagement für die seit vielen Jahrzehnten europa- und weltweit übliche universitäre Ausbildung im Spezialgebiet Kieferorthopädie eingesetzt – und hatte jetzt Erfolg: Mit 1. September 2023 hat die 3-jährige volluniversitäre Ausbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie an den medizinischen Universitäten Graz, Innsbruck und Wien begonnen. Im Interview sprach Christin Hiller mit VÖK-Präsidentin DDr. Silvia M. Silli über den langen Weg zum Ziel und das Ausmaß der aktuellen Veränderungen für den Berufsstand.
Frau Dr. Silli, am 27. Februar 2023 wurde das Gesetz verkündet, das die Fachzahnarztausbildung für Kieferorthopäden in Österreich ab sofort regelt. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg! Wie geht es Ihnen mit diesem Sieg?
Der Ausspruch „himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt“ trifft es aktuell wohl am besten. Einerseits bin ich in großer Freude über den Erfolg, es war eine sehr intensive Zeit. Ich bin aber auch Bergsteigerin, und wenn man am Gipfel ankommt, dann ist da manchmal ein großes Loch – was nun? So ungefähr fühlt sich die Situation aktuell an. Man hat sehr lange auf ein Ziel hingearbeitet, hat es erreicht, und jetzt kommt erst mal eine Leere. Aber wir haben ja noch genug Aufgaben und sind mehr als glücklich, dies nun geschafft zu haben (lacht).
Impressionen der Verbandstätigkeit des VÖK
Wie sah die kieferorthopädische Qualifikation in Österreich bisher aus?
Das lässt sich mit einem Wort beschreiben: inhomogen. Es gab zwar schon immer kieferorthopädische Abteilungen an den Universitäten, an denen man sich nach dem Zahnmedizinstudium weiter ausbilden lassen konnte, aber weder Ablauf noch Dauer waren in irgendeiner Form geregelt. Es gab auch keinen Abschluss, kein Zeugnis oder irgendeine Form der Qualifikationsbestätigung. Dadurch waren selbst die Kollegen, die drei Jahre oder länger an der Universität waren, nicht migrationsfähig, weil die Ausbildung im EU-Raum ja auch nicht anerkannt wurde. Sie merken, die Kieferorthopädie universitär zu erlernen, war dadurch äußerst unattraktiv.
Viele Zahnärzte haben sich daher direkt nach dem universitären Abschluss für die Praxistätigkeit entschieden und KFO-Skills – mehr oder weniger – im Selbststudium anhand unterschiedlichster Kurse erworben. Von der Ärztekammer, später Zahnärztekammer, gab es bis vor einigen Jahren ein Fortbildungsinstitut, an dem ein modulartig aufgebautes KFO-Curriculum angeboten wurde. Privatuniversitäten bieten in Österreich auch seit einigen Jahren einen M.Sc. Kieferorthopädie an. Mein persönliches Problem damit für unseren Berufsstand: Es wurde sehr oft wirtschaftlicher Profit aus unserem Ausbildungsvakuum gezogen. Die Kolleginnen und Kollegen mussten sehr viel Geld investieren, um sich selbst fachlich auszubilden. Dies alles unterlag noch dazu keiner Kontrolle, und die Patienten konnten überhaupt nicht erkennen, welcher Zahnarzt eine vertiefte Ausbildung hatte und welcher nicht. Kurzum: Es war mühsam, es gab keine fundierte und strukturierte, im EU-Raum anerkannte Basisausbildung, und deshalb haben wir dafür gekämpft.
Was bedeuten die Neuerungen für den Berufsstand? Und wie ist die Resonanz unter den Kollegen?
Bislang ist die Resonanz eher verhalten, ich hatte mit mehr Zuspruch und Neugier gerechnet, aber vielleicht ist dies auch eine typisch österreichische Charaktereigenschaft: Veränderungen werden erst einmal mit Skepsis und Sorge betrachtet. Die Vorteile dieser Veränderungen aufzuzeigen – sowohl bei den älteren als auch bei den jüngeren Kollegen – darin besteht nun eine unserer ersten Aufgaben.
Wie schaut die Fachzahnarztausbildung konkret aus? Wo kann ich mich anmelden, wie sind Ablauf und grundsätzliche Regularien? Dies fragen die jungen Kollegen. Die Älteren hingegen sorgen sich, dass sie möglicherweise eine Prüfung ablegen müssen, damit sie als Spezialist anerkannt werden, oder haben Angst, dass sie ohne Spezialisierung nicht mehr kieferorthopädisch arbeiten dürfen.
An den Lehrstühlen erhoffe ich mir durch das neue Gesetz Veränderungen, denn bisher waren Berufungen nur innerhalb Österreichs möglich. Durch die nun geregelte Fachzahnarztausbildung wird in Konsequenz auch die Ausbildungsqualität erhöht werden – ich bin gespannt und in großer Freude für unseren Berufsstand!
Ergeben sich daraus auch Vorteile für die Patienten?
Alle zukünftigen Kieferorthopäden werden durch die neuen Strukturen sehr viel besser ausgebildet sein. Ich erwarte mir eine fundierte, strukturierte, wissenschaftlich orientierte Grundausbildung. Für ein qualitätsgesichertes Grundwissen muss es Struktur und Kontrolle geben – anders gelingt das nicht. Durch den Berufstitel Fachzahnarzt für Kieferorthopädie werden die Patienten endlich erkennen, wer eine vertiefte Ausbildung hat und wer nicht.
Ihrem Erfolg liegt ein harter politischer Kampf zugrunde. Bitte geben Sie uns relevante chronologische Einblicke in die zurückliegenden fast 25 Jahre sowie in die Zusammenarbeit des VÖK mit den Universitäten.
Der größte Stolperstein war die Ärztekammer. Wir Zahnärzte waren bis 2005 noch Bestandteil der Ärztekammer und unsere Standesvertretung hat uns vehement bekämpft. Die Zahnärzte wollten sich die Leistung der Kieferorthopädie nicht wegnehmen lassen, Spezialisierungen waren nicht gern gesehen – man fürchtete die Abwanderung der eigenen Patienten. Hier hat der Zeitgeist positiv mitgespielt, denn die zahnärztlichen Spezialisierungen haben sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund des Wissenszuwachses ganz von alleine herausgebildet.
Letztlich auf Wunsch der Universitäten, die keine Lust mehr hatten, sich mit standespolitischen Dingen auseinanderzusetzen, kam es dann 1997 dazu, dass wir den VÖK ins Leben riefen. Wir suchten uns eine professionelle Kommunikationsagentur und starteten eine groß angelegte, laute Öffentlichkeitskampagne, um bei Kammer und Politik Druck über die Patienten aufzubauen. Wir haben außerdem immer wieder das Gespräch mit und das Gehör der Politik und der verschiedenen Ministerien gesucht. Und dann kam endlich 2015 die Einladung zu einer ersten Sitzung ins Ministerium und der Stein kam ins Rollen.
Ein letzter Stolperstein war 2022 das überraschende Veto gegen das neue KFO-Gesetz durch die Länder. Der Gesetzesentwurf stand zu diesem Zeitpunkt bereits, wir waren kurz vor dem Ziel. Grund für das Veto waren Kompetenzunklarheiten zwischen Ländern und Zahnärztekammer im Zusammenhang mit Lehrpraxen. Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf erneut angepasst, mit dem entsprechenden zeitlichen und organisatorischen Werdegang.
Wer hat Sie auf diesem Weg begleitet und zum Erfolg beigetragen?
Hier muss ganz klar der gesamte VÖK-Vorstand erwähnt werden. Insbesondere Martin Brock und Doris Haberler haben mit mir gemeinsam viele Jahre mit Herzblut und Leidenschaft für den Fachzahnarzt gekämpft. Viele meiner Mitstreiter sind mittlerweile im Ruhestand, das macht mir die Tragweite des Projekts immer wieder bewusst. Ein Engagement in diesem Umfang wäre meinerseits ohne familiäre Unterstützung auch nicht möglich gewesen. Hier möchte ich meinen Mann und meinen Neffen erwähnen, die den Verband von Anfang an mitaufgebaut und durch sehr viel Eigeninitiative unterstützt haben. Auch die bereits erwähnte Kommunikationsagentur hat zum Erfolg beigetragen. Wir hatten ja in den Anfängen keine Ahnung, wie man der Presse richtig begegnet, ein Interview professionell führt, sich inhaltlich am besten beim Ministerium präsentiert, eine Rede hält und Ähnliches. Juristisch hatten wir mit Prof. Walter Obwexer ein Riesenglück. Er war das Zünglein an der Waage, denn aufgrund seiner umfassenden EU-Expertise konnte er alle Scheinargumente der Kammerfunktionäre und des Kammerjuristen, welche diese immer wieder gegen die Spezialisierung vorbrachten, entkräften.
Wie wird die Fachzahnarztausbildung konkret aussehen?
Wir als VÖK sind wie der BDK eine freiwillige Interessenvertretung, in alles Weitere sind wir jetzt leider nicht involviert, dies obliegt nun den Universitäten. Mein Wissensstand ist jedoch, dass die Fachzahnarztausbildung mit klaren Vorgaben für Inhalt und Ablauf des Curriculums NEBEOP-bezogen sein wird.
Nun ist Spanien das letzte EU-Land, in dem es bislang keine Fachzahnarztausbildung gibt. Was raten Sie den spanischen Kollegen?
Meines Wissens sind die spanischen Kollegen sehr verzweifelt, sie kämpfen noch länger als wir. In Spanien ist es kein fachliches Problem, sondern wie bei uns – ein politisches. In Oslo erzählte ich im Juni von meiner Hartnäckigkeit, dass ich mit allen Gesundheitssprechern und Ministern immer wieder das persönliche Gespräch gesucht habe, um unsere Gründe für die Notwendigkeit der KFO-Spezialisierung darzulegen und die Vorteile für die Patientenversorgung herausstellen zu können. Natürlich ging es uns auch darum, dass österreichische KFO-Spezialisten im EU-Raum migrationsfähig werden sollten. Es ist immer wieder die persönliche Ebene, die letztendlich ausschlaggebend ist – im Großen wie im Kleinen. Mein Rat: Dranbleiben. Man muss sich trauen, das Gespräch mit dem Schmied zu suchen und nicht mit dem Schmiedl.
Zu guter Letzt: Bitte geben Sie uns einen Einblick, welche Themen in Österreich aktuell besonders relevant sind, was beschäftigt Sie und Ihre Kollegen?
Gern. Das ist einerseits der Kieferorthopädie-Vertrag, den es erst seit 2015 gibt. Hier gibt es seit Jahren viel Kritik seitens der Kollegen und unserer Meinung nach Anpassungsbedarf. Wir wünschen uns eine Evaluierung und hoffen, dass wir als Experten und Interessensvertretung zu Gesprächen mit den Sozialversicherungen und der Zahnärztekammer hinzugezogen werden. Die immer noch sehr inhomogene und komplizierte Kommunikation mit den Kassen beschäftigt uns ebenfalls sehr. Wir Zahnärzte sind seit einiger Zeit gesetzlich verpflichtet, alle Unterlagen digital an die Kassen zu übermitteln. Auf Praxisseite funktioniert das zumeist, auf der Gegenseite leider nicht. Sie sehen – eine Vielzahl operativer Dinge. Auch im Bereich Kommunikationsarbeit in Bezug auf den Fachzahnarzt für KFO ist in den nächsten Jahren noch einiges zu tun. Sobald das Ministerium die Verordnungen bezüglich Übergangsbestimmungen für die schon jetzt freiwillig spezialisierten Kollegen fertiggestellt hat, werden wir die Kollegen bestmöglich betreuen und begleiten. Zudem wartet umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit auf uns, damit unsere Patienten weiterhin bestmöglich informiert und aufgeklärt werden.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit!