Branchenmeldungen 21.02.2011
Jahreskongress der Endodontologen SSE mit internationalen Impulsen
Zur diesjährigen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Endodontologie konnten renommierte Experten aus der Schweiz, England und Dänemark gewonnen werden. Knapp 300 Teilnehmer wurden rund um den Wurzelkanal auf den neuesten Stand gebracht. Von der Bekämpfung von Stress, über Tipps und Tricks beim Spülen, bis zur Finanzberechnung wurde das ganze Spektrum der Wurzelkanalbehandlung abgedeckt.
Der Patient versteht nur Bahnhof
Laut einer von Prof. Lucas Bachmann, Epidemiologe an der Universität Zürich, präsentierten Untersuchung, fehlt der Allgemeinbevölkerung elementares medizinisches Wissen und sie hat Mühe mit dem Zahlenverständnis. Aber auch Ärzte haben Mühe Zahlen umzugehen und interpretieren Studienergebnisse oftmals falsch. Die Patientenkommunikation muss darauf Rücksicht nehmen, Wahrscheinlichkeiten sollen statt in Prozentangaben besser mit einfachen Diagrammen oder mit Erläuterungen wie "eine Person aus 100 ist betroffen" dargestellt werden. Seit einigen Jahren gibt es viele medizinische TV-Sendungen wie Dr. House, Sprechstunde Gesundheit oder Puls, das durchschnittliche Medizinwissen der Bevölkerung ist aber trotzdem immer noch sehr gering. Medikamente werden oft mit Angaben von über 50% Wirkungssteigerung im Vergleich zu Kontrollgruppen angepriesen. Diese Präparate nicht zu verschreiben käme einem Kunstfehler gleich, doch bei der Interpretation von solchen Angaben ist grösste Vorsicht geboten. Eine weitere Studie befragte Gesundheitsämter, ob bei einer HIV-negativen Person der HIV-Test auch positiv ausfallen könne. Antworten wie "in Frankreich ja, aber nicht bei uns", oder "absolut unmöglich, wir haben eine Spezifität von 99,3 %" sorgten für grosse Lacher im Publikum.
Unvorhersehbar + unkontrollierbar = Stress
Psychologe Prof. Tim Newton aus London erläuterte was Stress ist und was dagegen gemacht werden kann: Es handelt sich um ein Ungleichgewicht zwischen Können und Anforderung. Sowohl ein voll gebuchter Tag mit noch hinzukommenden Notfällen kann stressig sein, als auch eine Unterbelastung durch nicht fordernde Routinearbeit. Spezialisten sind weniger gestresst als Allgemeinpraktiker, weil sie etwas machen dass ihnen gefällt. Stress zeigt sich durch drei Auswirkungen: Physiologisch durch z.B. erhöhten Blutdruck, Verhaltensänderungen wie z.B. Müdigkeit und Schlaflosigkeit sowie Kognitiv durch z.B. Angst und Nachlassen der Konzentration. Zahnärzte haben im Vergleich zu anderen Berufsgruppen eine erhöhte Rate von kardiovaskulären Erkrankungen, Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Scheidungen und Selbstmorde.
Tipps zur Verminderung von Stress:
· Entspannungsübungen (z.B. Yoga)
· Ernährungs-Coach
· Koffein reduzieren
· Sich durch einen voraussichtlich mühsamen Tag (z.B. wegen eines mühsamen Patienten) nicht schon den Vorabend ruinieren lassen
· Ferien planen
· Abschätzen der eigenen Fähigkeiten und Ziele (Was kann ich, wohin will ich?)
· Delegate: Kann ich diese Arbeit delegieren?
· Divide: Problem in mehrere kleinere Teile aufteilen
· Divert: Gibt es einen anderen Weg um das Problem herumzukommen?
· Discuss: Austausch mit Berufskollegen
· Develop: Erlernen neuer Fähigkeiten (Abrechnungswesen, Entspannungsübungen,..)
Ursachen für Leitungsanästhesie-Versager
Mittels durchleuchteten Schädelaufnahmen und vielen Präparate-Bildern erläuterte Prof. Klaus Brenner von der "Anatomischen Anstalt" der Ludwig-Maximilians-Universität in München gefährdete Strukturen im Ober- und Unterkiefer. Eine Ursache für Misserfolge bei einer Leitungsanästhesie im Unterkiefer kann sein, wenn das Ligamentum sphenomandibulare verknöchert ist (nicht korrekte Resorption vom Meckel Knorpel in der Embryonalphase) und die Spitze der Kanüle somit nicht bis zum Foramen mandibulae vorgeschoben werden kann. Prof. Brenner zeigte sehr spannende Präparatebilder von seltenen anatomischen Sonderfällen, wie z.B. einer Arteria carotis welche eine Schlaufe zieht und bei einer Leitungsanästhesie zur temporären kompletten Erblindung des Patienten führt.
Lokalanästhetika sind sehr sicher
Prof. John Meechan vom Royal College of Surgeons in Edinburg referierte in charmantem schottischen Akzent über Lokalanästhetika. Gemäss dem "Textbook of Pain", der Bibel was Schmerzen anbelangt, gelten Lokalanästhetika als sehr sicher. Kommt es zu einem seltenen Zwischenfall, so wurde meist zu viel injiziert oder an falscher Stelle. Bei einer Leitungsanästhesie im Unterkiefer verspüren 1-8% aller Patienten einen elektrischen Schock (das Berühren des Nerves mit der Kanüle), aber nur ca. die Hälfte welche eine bleibende Nervschädigung davontragen verspürten diesen elektrischen Schock! Muss bei der Injektion des Anästhetikums ungewöhnlich viel Druck appliziert werden, ist die Nadel möglicherweise im Nerv drin – ein Verschieben der Nadel ist nötig. Damit beim Einstechen und Auftreffen der Nadelspitze auf den Knochen keine Wiederhakenbildung nach aussen entstehen kann, empfiehlt Prof. Meechan die Kanülenöffnung zum Knochen hin auszurichten. Eine bleibende Schädigung des Nervus lingualis tritt in ca. 1:500'000 Fällen auf, das Risiko vom Blitz getroffen zu werden ist mit 1:250'000 doppelt so häufig. Prof. Meechan äusserte sich kritisch über den Nutzen von computergestützter Anästhesie. Der grosse Vorteil liegt aber darin, dass normalerweise schmerzhafte Anästhesie-Techniken wie die der PASA, AMSA oder PDL einfach realisiert werden können. Bei der PASA-Anästhesie wird die Nadel neben der Schneidezahnpapille in das Foramen incisivum eingeführt und ergibt eine Anästhesie von etwa Eckzahn bis Eckzahn ohne die Lippe zu involvieren. Häufigste Fälle einer Überdosierung von Lokalanästhetika geschehen bei der Narkose von Kindern. Im Zuge der zügigen Behandlung ist man oft verleitet noch einen Quadranten mehr zu sanieren, die maximale Dosis von zwei Ampullen soll aber nicht überschritten werden.
Finanzberechnungen in der Zahnmedizin
Prof. Urs Brägger, ZMK Bern präsentierte verschiedene Metaanalysen und stellte verschiedene Papers kritisch betrachtet vor. Trotz grosser Schwankungen einzelner Studien kann insgesamt eine Erfolgsrate ziemlich genau abgelesen werden. Vom Kosten/Nutzen lohnt es sich für Patienten, erst eine Wurzelkanalrevision zu machen, bevor ein Implantat gesetzt wird. Prof. Brägger zeigte viele Berechnungen und Grafiken über Profitabilität, Preisberechnungen und Preisreduktionen und zeigte damit seinen Zuhörern klar, dass Finanzberechnungen ein ganz neues Thema ist welches in Zukunft einen wichtigen Stellenwert haben wird. An denZMK Bern werden seit neuestem Vorlesungen über Finanzberechnung angeboten.
Der Blickwinkel machts aus
Den Abschluss des ersten Tages machte die extravagante Referentin Frau Dr. Frances Andreasen, Universität Kopenhagen mit ihrem Referat über Traumatologie. Bevor Sie bei einem Unfallpatient mit irgendeiner Behandlung startet, reinigt sie die betroffene Stelle erst und überlegt sich die Strategie. Wann?, Wo? und Was ist passiert? sind die Kardinalsfragen der Traumatologie. 80% von im Kindsalter wurzelkanalbehandelten Zähne in der Front werden später frakturieren, eine korrekte Aufklärung ist deshalb unabdingbar. Die Versorgung wird als Langzeitprovisorium bezeichnet und muss bereits bei dessen Herstellung mit Hinblick auf eine spätere Versorgung angefertigt werden. Dr. Andreasen zeigte spannende Röntgenbilder auf denen nichts Spezielles zu sehen war, auf einer zweiten Aufnahme mit leicht verändertem Winkel wurde plötzlich eine riesige Resorption sichtbar!
Wie beurteile ich eine klinische Studie richtig?
Prof. Martin Tramèr, Anästesist an der Universität Genf, referierte über das richtige Beurteilen von klinischen Studien und was man aus solchen Untersuchungen lernen kann. Das Problem bei gefälschten Arbeiten ist, dass nur die schlecht gefälschten Studien aus dem Umlauf gezogen werden, die Guten aber nicht. Wird eine Studie nicht richtig randomisiert, weiss der Behandler bereits im Voraus was kommt und ist somit beeinflusst, bis zu 30% kann so das Resultat abweichen. Wird der Versuch nicht korrekt verblindet, kann das Resultat bis zu 20% überbewertet werden. Oft ist es so, dass je klinischer eine Studie durchgeführt wird, desto schlechter fallen die Resultate aus. Nicht alle Arbeiten werden in Medline indexiert, in Prof. Tramèrs Fachgebiet der Anästhesie sind Beispielsweise nur 12% aller Artikel indexiert. Werden Originalarbeiten mit Originalarbeiten und deren Dublikaten verglichen, so kann zu einer Überbewertung von bis zu 25% kommen. Nicht alle Sachverhalte bedingen einer kontrollierten, kostenintensiven, multizentralen Untersuchung.
Einmalgebrauch von Endo-Nadeln
Dr. Howard Lloyd, London als Präsident der britischen Gesellschaft der Endodontologen begann seinen Vortrag mit der Geschichte der NiTi-Instrumente. Dr. Lloyd war in seinem Vortrag sehr ehrlich und zeigte eigene Misserfolge von abgebrochenen Instrumenten. Je dicker die Feile ist, desto schneller bricht diese durch Ermüdungsfraktur in einem gebogenen Kanal. Als Daumenregel gilt, dass ein NiTi-Instrument beim fünften Mal frakturiert. In England werden endodontische Aufbereitungsinstrumente wegen der Gefahr der Kreutz-Feld-Jakob Übertragung im Einmalgebrauch verwendet. Dr. Lloyd sieht die neuesten Entwicklungen bei den NiTi-Instrumenten in Richtung der Modifizierung der Legierungen und der Optimierung der Anwendungstechnik durch den Behandler.
Spülen, spülen, spülen
Einen der besten Vorträge des Kongresses hielt PD Matthias Zehnder, ZZM Zürich. Nach kurzem Rückblick auf die wichtigsten Studien aus der Vergangenheit, z.B. der Kakehashi-Studie mit den sterilen/unsterilen Ratten mit offener Pulpa, zeigte PD Dr. Zehnder Mikro CT Bilder von Wurzelkanalsystemen um zu visualisieren dass grosse Bereiche unbearbeitet bleiben, egal ob von Hand oder maschinell aufbereitet wird. Eines der grössten Probleme ist, dass sich Debris in Seitenkanälen oder dem Isthmus ablagert. Natriumhypochlorid ist das Mittel der Wahl zur Desinfektion, es reinigt durch Auflösen der organischen Matrix. Mittels einer Kalziumhydroxyd-Einlage werden dann noch die anorganischen Teile aufgelöst. Ganz wichtig ist, dass mindestens bis ISO 35-40 aufbereitet wird um bis auf Arbeitslänge spülen zu können. Wird das Natriumhypochlorid noch mit Ultraschall aktiviert oder aufgewärmt, so kann dessen Wirkung stark erhöht werden. Wird RC-Prep oder Glyde zur Aufbereitung der Kanäle verwendet, so darf dieses nicht mit dem Natriumhypochlorid in Kontakt kommen weil sonst letzteres durch das EDTA inaktiviert wird. PD Zehnder sieht die Zukunft der Wurzelkanalfüllungen in der Verbesserung der Interaktion mit der Wurzelkanal-Oberflächen. Was in der Adhäsivtechnik schon lange Standard ist, wird in der Endodontie erst noch Einzug finden.
Empfohlenes Vorgehen für einzeitige Behandlung:
1. Aufbereitung unter NaOCl
2. 3 Min EDTA
3. Passive Ultraschallaktivierung 3x 20sec NaOCl
4. Desinfektion NaOCl für 20min
5. Letzte Spülung EDTA
6. Wurzelkanalfüllung
Empfohlenes Vorgehen für zweizeitige Behandlung:
1. Aufbereitung unter NaOCl
2. 3 Min EDTA
3. Passive Ultraschallaktivierung 3x 20sec NaOCl
4. 1-3 Wochen Ca(OH)2
5. Aufbereitung unter EDTA
6. Wurzelkanalfüllung
Chlorhexidin als Spüllösung zu verwenden macht keinen Sinn, bei EDTA ist grosse Vorsicht geboten nicht über den Apex hinaus zu spülen.
Wann ein DVT machen?
Gemäss Dr. Eric Whaites vom King's College in London ist in folgenden Fällen eine DVT-Abklärung indiziert:
· Identifikation von accesorischen Kanälen
· Identifikation von Wurzelkanal-Anomalien
· Diagnostik von nicht spezifischen apikalen Läsionen
· Abklärung von Misserfolgen
· Diagnostik von dento-alveolären Traumen
· Lokalisation von internen und externen Resorptionen
· Zur chirurgischen Planung
Autor: Roman Wieland, Fotos: Roman Wieland/Johannes Eschmann