Branchenmeldungen 04.09.2023

Kinderprophylaxe von Spezialisten in Deutschland und Südafrika



Kinderprophylaxe von Spezialisten in Deutschland und Südafrika

Foto: Dr. Alexandra Wolf

Frühe Prophylaxe und richtiges Zähneputzen sichern gesunde Zähne. Kinder sind als Patienten für die Praxis eine besondere Gruppe, auf die sich Zahnarzt und Team einstellen müssen. Viele Zahnärzte spezialisieren sich genau auf Kinderzahnmedizin; so wie Dr. Alexandra Wolf. Die Zahnärztin arbeitet in der Praxis KU64 in Berlin und ist Spezialistin für Kinderzahnheilkunde. Gleichzeitig betreut sie ein ehrenamtliches Projekt in Südafrika. Dieses Projekt wurde in diesem Jahr mit dem Praktikerpreis der Deutschen Gesellschaftfür Präventivzahnmedizin e.V. ausgezeichnet. Im folgenden Interview spricht Frau Dr. Wolf über das Projekt und ihre Arbeit als Kinderzahnmedizinerin.

Frau Dr. Wolf, Sie haben sich auf Kinder- und Jugendzahnheilkunde spezialisiert. In der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie1 wurde eine Verbesserung der Karieserfahrung bei jungen Patienten festgestellt, vor allem in den Altersgruppen der Acht- bis Zwölfjährigen. Hält diese Entwicklung aus Ihrer praktischen Erfahrung noch immer an?

In dieser Altersgruppe sind die meisten Kinder in der sogenannten zweiten Wechselgebissphase, in der die Milchbackenzähne und die Milcheckzähne exfolieren. An diese Stellen kommen neue bleibende Prämolaren und Eckzähne nach. Die bleibenden frisch durchgebrochenen Zähne sind in diesem Alter in der Regel nicht von Karies befallen. Die noch vorhandenen Milchzähne könnten zum Teil eine Kariesvorerfahrung gehabt haben und wurden konservativ mit einer Füllung oder Milchzahnkrone behandelt. Jene befinden sich in dieser Altersklasse daher gut versorgt im Mund. Deshalb kann ich bei den Acht- bis Zwölfjährigen auch ein geringes Vorkommen an aktiver Karies feststellen.

Woran liegt die aktuelle Entwicklung in der Karieserfahrung bei Kindern aus Ihrer Sicht?

Meiner Erfahrung und Vermutung nach ist bei Kleinkindern das hohe Kariesaufkommen häufig mit stark frequentiertem nächtlichem Stillen über das erste Lebensjahr hinaus verbunden. Ab und zu tritt auch noch die klassische Nuckelflaschenkaries (Abb. 2) auf, bei der die Kinder Säfte, gesüßte Tees oder Milch besonders nachts in kurzen Zeitabständen aus einer Nuckelflasche trinken. Hier sind vor allem die Frontzähne im Oberkiefer und ersten Milchmolaren betroffen. Ferner lässt sich bei drei- bis fünfjährigen Kindern hauptsächlich eine Approximalraumkaries (Abb. 3) diagnostizieren. Ich vermute, dass neben der schwierigen Reinigungsfähigkeit und der breiten Approximalkontakte der Milchmolaren vor allem die Ernährung eine Rolle bei der Kariesentstehung spielt. Denn heutzutage sind viele Lebensmittel hoch prozessiert und enthalten versteckte Zucker. Insbesondere, und dabei leider vielen unbekannt, werden Fertigprodukte, Jogurt, Müsli, aber auch Brot und Cracker mit Zuckern in den verschiedensten Formen zusätzlich angereichert. Diese sind meistens gekennzeichnet durch alternative Süßstoffe wie Dextrose, Invertzuckersirup, Süßmolkepulver oder Malzextrakt und für den Verbraucher nur schwer erkennbar. Außerdem wird das Kariespotenzial von modernen Snacks, wie z. B. Quetschies, stark unterschätzt. Hier handelt es sich um fein pürierten Fruchtzucker, der in Sekundenschnelle alle Zähne umspült und dadurch den Kariesbakterien als hervorragendes Substrat dient.

Auf dem diesjährigen Deutschen Präventionskongress in Mainz haben Sie Ihr Entwicklungshilfeprojekt für die zahnmedizinische Betreuung von Schulkindern in Südafrika vorgestellt. Bitte berichten Sie uns von Ihrem Projekt.

Das Projekt wurde vor über zwölf Jahren von der Zahnarztpraxis KU64, in der ich arbeite, ins Leben gerufen. Einmal im Jahr fährt ein zehnköpfiges Team aus der Praxis, bestehend aus Zahnärzten, ZFAs, ZMPs sowie einer Rezeptionistin (Abb. 5), unentgeltlich und unterstützt von BigSmile e.V. in das kleine Fischerdorf Paternoster – ca. zwei Stunden nördlich von Kapstadt –, um dort Kinder der ansässigen Dorfschule zahnärztlich zu versorgen. Direkt neben der Schule ist ein leerer Kirchenraum, den wir als Zahnarztpraxis nutzen können. Eine ansässige Dentalhygienikerin aus dem Nachbarort versorgt uns mit mobilen Einheiten und aufklappbaren Liegen, die als Behandlungsstühle dienen (Abb. 6). Das Material und die restlichen Geräte bringen wir aus Deutschland mit. Behandelt wird dann auf übereinandergestapelten Plastikstühlen sitzend und ohne höhenverstellbare Einheiten (Abb. 7). Unsere Materialien liegen alle ausgebreitet auf einem Tisch aus, nicht wie in Deutschland in Schubladen verstaut. Während der Arbeit herrscht durch die Einheiten eine hohe Geräuschkulisse und es ist meist sehr warm im Raum. Mit den Kindern verständigen wir uns auf Englisch (ihre Muttersprache ist Afrikaans). Oft übersetzen die großen Kinder für die kleinen. Obwohl wir also nicht ihre Sprache des Vertrauens sprechen, sind die Kinder so dankbar und mutig während der Behandlung und freuen sich riesig über unseren Einsatz.

Wie hat Ihnen Ihre Praxiserfahrung aus Deutschland in Südafrika geholfen und welche Erkenntnisse konnten Sie umgekehrt aus Südafrika für Ihren Behandlungsalltag in Deutschland mitnehmen?

Für mich ist ein strukturiertes und zügiges sowie gleichzeitig qualitativ hochwertiges Arbeiten in der Kinderzahnheilkunde wichtig, da die Kinder meistens nur wenig Geduld haben und jederzeit den Eingriff verweigern könnten. Von daher muss alles gut vorbereitet sein. Die Behandlungen und Handgriffe müssen möglichst gleich und nach einem bestimmten Ablauf durchgeführt werden. Dadurch kann ich mich wiederum verbal und nonverbal sehr gut auf das Kind konzentrieren und es entweder mit in die Behandlung integrieren oder ablenken, sodass es die Unannehmlichkeiten im Mund kaum wahrnimmt und den Termin als ein positives Erlebnis erfährt.

Mitgenommen habe ich etwas afrikanische Gelassenheit und die Dankbarkeit über unser gutes Gesundheitssystem in Deutschland. Hier bekommen Kinder Vorsorgeuntersuchungen und Regelversorgungen kostenlos. Ein Patient erhält schnell Hilfe und muss nicht Monate warten oder kilometerweit laufen. Außerdem wird einem in Südafrika täglich bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, eine permanente Stromversorgung zu haben, und wie hoch entwickelt doch unsere zahnmedizinische Arbeit in Deutschland ist. Was mich immer besonders beeindruckt hat, ist die Freude und Unbekümmertheit der Kinder über unsere Anwesenheit und Tätigkeit. Sie sind so dankbar, auch wenn die Behandlungen bei ihnen mit Unannehmlichkeiten und Schmerz verbunden sind. Ich hatte immer den Eindruck, dass die Kinder in Südafrika ganz anders auf uns reagieren als die Kinder hier in Deutschland (Abb. 4).

Ein Thema, das bei der Kinderprophylaxe nach wie vor diskutiert wird, ist der Einsatz von fluoridhaltiger Zahnpasta bzw. der Gehalt und die Menge. Ist Fluorid in Kinderzahnpasten unverzichtbar und wie stehen Sie zu Alternativen?

Fluorid ist ein sehr gut erforschtes Ion, das in bestimmten Mengen die Zähne vor Karies schützt. Daher ist es auch in der Zahnpasta enthalten. Aufgrund der vielen Zucker- und Säureattacken, denen die Zähne in unserer westlichen Ernährung heutzutage ausgesetzt sind, halte ich Fluorid für die Remineralisierung der Zähne und zum Kariesschutz als essenziell. Evidenzbasierte Alternativen sind mir aktuell nicht bekannt. Wenn man das Kariesproblem bei der Ursache angeht und eine zuckerfreie Ernährung gewährleisten kann, dann denke ich, wäre dies eine gute Alternative zu fluoridhaltigen Zahnpasten.

Welche Hilfsmittel haben sich bei der Kariesprophylaxe bei Kindern besonders bewährt und wie sieht Ihr Motivationskonzept für die häusliche Mundhygiene aus?

Hilfsmittel Nummer eins ist meiner Meinung nach die Zahnbürste und das damit verbundene Nachputzen der Zähne durch die Eltern bis zum zehnten Lebensjahr. Die Motivation des Zähneputzens sollte in ein morgen- und abendliches Ritual umgewandelt werden. Genauso wie das Haarkämmen am Morgen oder die Gute-Nacht-Geschichte am Abend sollte das Zähneputzen zum festen Bestandteil des Tagesablaufs werden. Dadurch gibt es keine Diskussionen oder Abwehrhaltungen. Ein Zahnputzsong oder ein schönes Lied aus dem Radio kann unterstützend zum Zähneputzen gespielt werden und somit eine Zeitvorgabe liefern. Wenn gar nichts hilft und die Kinder sich wehren, dann hilft nur konsequent bleiben und sich durchsetzen. Es ist alles nur eine Phase und geht vorüber.

Welche Tipps können Sie als Spezialistin für Kinderzahnheilkunde Kolleginnen und Kollegen sowie dem Praxisteam für die Kariesbehandlung und -prophylaxe bei Kindern geben?

Mein Tipp wäre, im Sinne der kleinen Patienten und der auch oft begrenzten Geduld des Hauszahnarztes, eine Überweisung an eine spezialisierte Kinderzahnarztpraxis. Es hilft niemandem, sich selbst an einer Milchzahnversorgung zu versuchen, wenn man nicht geübt darin ist oder nicht die geeigneten Hilfsmittel wie kleine Röntgensensoren oder Milchzahnkronen in der Praxis hat. Ich überweise beispielsweise auch endodontologische Fälle an bleibenden Zähnen lieber an einen Spezialisten, da so dem Patienten und seiner Zahngesundheit am meisten geholfen ist. Meine fehlende routinemäßige Erfahrung in der Endodontologie und somit die Gewährleistung eines stabilen Langzeitergebnisses wären aufgrund meiner Spezialisierung auf die Kinderbehandlung dabei nicht gegeben.Prophylaktisch kann ich raten, die Eltern zu sensibilisieren, so früh wie möglich mit ihren Kleinkindern Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt wahrzunehmen und die Eltern für ein tägliches Nachputzen zu motivieren. Ebenso sollte das regelmäßige Zähneputzen in den Kindergärten implementiert bzw. vor allem nach der Coronazeit wieder aufgenommen werden.

Frau Dr. Wolf, herzlichen Dank für das Gespräch.

Dieser Beitrag ist im PJ Prophylaxe Journal erschienen.

Mehr News aus Branchenmeldungen

ePaper