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Wissenschaft und Forschung 13.11.2025

Die anderthalb Kilogramm schwere WG in unserem Darm

Beginnen wir mit einer Hochzeitsfeier. Die Braut hat gerade eine Rede gehalten, jetzt eröffnet sie das Büfett. Es gibt nur ein Problem: Es sind zu viele Gäste anwesend. Das liegt daran, dass einige unerwünschte sich eingeschlichen haben.

Die anderthalb Kilogramm schwere WG in unserem Darm

Foto: Biom-lllustrationen: © Cetacons | Foto: © Sergiy Serdyuk – stock.adobe.com

Glücklicherweise haben die geladenen Gäste mehr Übung im „aktiven Anstehen“. So gehen viele der unerwünschten Gäste beim Büfett leer aus. Hungrig verlassen sie die Hochzeit. Für die Feier ist das ein Segen. Wer will schon ungeladene Gäste haben?

„Ähnlich ist es in unserem Darm: Je voller und vielfältiger das Mi­krobiom dort ist, desto schwerer ist es für manche eher schädliche Mikroorganismen, sich anzusiedeln, weil weniger Nahrung für die unerwünschten Eindringlinge übrig bleibt“, sagt die Wissenschaftlerin Dr. Lisa Osbelt-Block, die am Helmholtz-Zentrum für Infek­tionsforschung (HZI) im Team von Prof. Till Strowig am Mikrobiom und an mikrobiombasierten Therapien forscht. Doch dies ist längst nicht der einzige Mechanismus, wie das Mikrobiom uns schützt.

Mit einer Pille unser Mikrobiom stärken, damit es Krankheiten wirkungsvoll bekämpfen kann? Forschende des Helmholtz-Zentrum für Infek­tionsforschung (HZI) arbeiten daran, dass diese Zukunfts­vision Wirklichkeit wird. Der folgende Beitrag erläutert den aktuellen Forschungsstand.

Vielfalt ist auch im Darm gut

Das Mikrobiom ist wie eine riesige WG von Untermietern in unserem Darm: rund anderthalb Kilogramm Mikro­organismen, vor allem Bakterien, aber auch Viren, Pilze und Hefen. In den letzten Jahren ist die Forschung am Mikrobiom regelrecht explodiert, es ­zeigt sich zunehmend, dass der Einfluss des Mikrobioms auf unsere Gesundheit und unser Leben riesig ist. So zersetzen die Bakterien nicht nur Nahrungs­bestandteile, was für unsere Verdauung unabdingbar ist, sie bilden auch wichtige Vitamine und Boten­stoffe. Veränderungen im Mikrobiom wurden bei verschiedenen Arten von Darmerkrankungen beobachtet. Ihr Beitrag zur Entstehung der Erkrankungen wird derzeit erforscht. Das Mikrobiom könnte auch bei der Entstehung verschiedener Krebsarten eine Rolle spielen. Zudem gibt es Hinweise, dass es sogar Aspekte unseres Verhaltens, zum Beispiel die Entstehung von Depressionen, beeinflusst. Ursache und Wirkung sind bei all diesen Effekten noch nicht abschließend geklärt, aber es ist klar, dass das Mikrobiom eine wichtige Rolle spielt.

Das bietet großes Potenzial für neue Therapieansätze. Dazu müsste man wissen, welche der rund 1.000 Bakterien­arten, ­die unseren Darm besiedeln, eher vorteilhaft und welche problematisch sind. „Das ist komplex und individuell unterschiedlich: Manche Stämme der gleichen Art – etwa von Escherichia coli – können vorteilhaft oder auch nachteilig wirken, was alles noch komplizierter macht. Wir stehen erst am Anfang, das zu verstehen. Aber von ein paar Bakterienarten wissen wir immerhin, ob sie eher positiv oder ­ negativ sind“, so Dr. Osbelt-Block.

Wer wohnt eigentlich in unserem Darm?

„Wirklich gute Bakterien sind etwa sogenannte Laktobazillen, wie sie zum Beispiel in Joghurt vorhanden sind.“ Dann gebe es Bakterien, die zwar Teil des natürlichen Mikrobioms seien, aber unter bestimmten Bedingungen und in größerer Zahl schädlich sein könnten. Diese Bakterien werden Pathobionten genannt. Und schließlich gibt es eine große Zahl an Bakterien, die eher als neutral eingestuft werden. Sie werden als Kommensale bezeichnet und können je nach Wechselwirkungen mit anderen Bakterien oder als Antwort auf bestimmte Umweltfaktoren eher schlechte oder gute Eigenschaften haben. „Die Kommensalen können, wie die eingeladenen Hochzeitsgäste wirken: Sie besetzen viele Nischen und verhindern so, dass sich ungünstige Bakterien ansiedeln“, sagt Dr. Osbelt-Block. Das Besetzen solcher Nischen ist aber nur ein kleiner Teil der gesundheitserhaltenden Wirkung, die das Mikrobiom auf uns hat. Es kann unter anderem durch Botenstoffe zahlreiche Stoffwechselvorgänge in unserem Körper positiv beeinflussen und das Immunsystem stärken. Umgekehrt gilt aber auch: Ein ungünstig zusammengesetztes Mikrobiom kann den Körper belasten und die Entstehung von Krankheiten fördern.

Antibiotika töten nicht nur böse Keime

Doch was beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrobioms ungünstig? Zuallererst unterschiedlichste Medikamente, vor allem Antibiotika, sagt Dr. Osbelt-Block. Denn sie greifen un­spezifisch viele Arten von Bakterien an – auch die „guten“. „Ich möchte betonen, dass Antibiotika zu den größten Errungenschaften der modernen Medizin gehören und aus der Behandlung heute zu Recht nicht wegzudenken sind. Aber sie schä­digen eben auch das Mikrobiom, deshalb sollten sie nicht leichtfertig eingesetzt werden“, sagt sie.

Verschärft wird die Problematik durch zunehmende Antibio­tikaresistenzen. So werden im Darm nach Antibiotikagabe häufig Krankheitserreger, die gegen Antibiotika resistent sind, kaum dezimiert – und haben durch das Absterben anderer Bakterien noch mehr Platz, um sich auszubreiten. Um dieses globale Problem der Antibiotikaresistenzen zu adressieren, suchen Forschende am HZI-Standort Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) im Rahmen des Citizen Science-Projekts MICROBELIX, bei dem jeder Bürger mitmachen kann, nach Bakterien im Boden, die interessante Sub­stanzen produzieren. In einer anderen Arbeitsgruppe des HZI wird unter anderem an Wirkstoffen geforscht, die von Pilzen produziert werden.

Das Mikrobiom noch besser zuverstehen – und dann auch gezielt verändern zu können, das ist die Vision, an der Forschende wie Dr. Lisa Osbelt-Block und Prof. Till Strowig arbeiten. „Wenn wir bestimmte Befunde und Ungleichgewichte finden und dagegen wirksame Hebel haben, indem wir beispielsweise durch eine bestimmte Ernährungsweise oder die Einnahme bestimm­-ter Substanzen das Mikrobiom positiv beeinflussen können, dann eröffnet das einen völlig neuen Behandlungsansatz“, sagt Prof. Strowig.

Für jedes Mikrobiom die passende Therapie

Und dieser Ansatz ist idealerweise individuell, ganz im Sinne einer personalisierten Medizin. Die Vision der Forschenden sieht etwa so aus: Ein Patient, der an einer bestimmten Erkrankung leidet, gibt in der Arztpraxis nicht nur eine Blutprobe ab, sondern auch eine Stuhlprobe. Darin wird das Mikrobiom analysiert – was Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie hat. „Wenn im Mikrobiom bestimmte Ungleichgewichte gefunden werden, kann man vielleicht daraus ableiten, dass ein bestimmtes Medikament besser oder schlechter wirkt oder stärkere Nebenwirkungen hat und entsprechend die Therapie anpassen“, so Prof. Strowig. Noch einen Schritt weiter gedacht kann ein Problem nicht nur auf Ebene der Erkrankung ­behandelt werden, sondern auch auf Ebene des Mikrobioms: „Wenn wir zum Beispiel ein Ungleichgewicht gefunden haben, was den Verlauf der Erkrankung ungünstig beeinflusst, dann können wir in Zukunft womöglich dieses Ungleichgewicht gezielt mit einer Kapsel mit ­bestimmten Bakterienstämmen bekämpfen“, berichtet Dr. Osbelt-Block.

Obwohl ein solches Vorgehen noch weit weg erscheint, ist es doch nicht unrealistisch. In den USA zum Beispiel wurden jüngst die ersten beiden mikrobiombasierten Therapien zugelassen, bei denen Mixturen aus verschiedenen Bakterienarten dem Darm von Patienten gezielt zugeführt werden. Dadurch können schwerwiegende und wiederaufflammende Infektionen mit dem Krankenhauskeim Clostridioides difficile nun effektiv behandelt werden. Eine erste maßgeschneiderte Behandlung für das Darmmikrobiom. Dr. Lisa Osbelt-Block ist hoffnungsvoll, dass in Zukunft noch viele folgen werden.

Stellen Sie sich vor, eine Stuhlprobe verrät dem Arzt, welche Medikamente am besten wirken und ob das Darm­mikrobiom eine maßgeschneiderte Kapsel mit guten Bakterien braucht.Was wie Zukunftsmusik klingt, ist schon Realität: Erste Mikrobiomtherapien sind in den USA zu­gelassen und versprechen perso­nalisierte Medizin.

Fazit

Und was lässt sich heute schon tun, um das Mikrobiom zu stärken? Wenngleich sie betont, dass dies individuell unterschiedlich ist, kann Dr. Osbelt-Block zumindest ein paar allgemeine Empfehlungen geben: Weniger Stress, mehr Bewegung, ballaststoffreiche Ernährung. „Und nicht alles in der unmittelbaren Umgebung übertrieben des­infizieren. Zu viel Hygiene kann die Vielfalt des Mikro­- bioms beeinträchtigen“, sagt Dr. Osbelt-Block.

Autor: Dr. Christian Heinrich

ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 10/25

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