Branchenmeldungen 10.07.2025
Parodontologie im Wandel – Erkenntnisse eines prämierten Wissenschaftlers
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Herr Seniorprof. Kocher, Sie haben maßgeblich zur Entwicklung von Behandlungsinstrumenten für die Parodontologie beigetragen. Welche technologischen Innovationen waren für Sie in den letzten Jahrzehnten am bedeutendsten, und wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich?
Auffällig sind sicherlich die Fortschritte im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie und der parodontalen Regeneration. Leider sind diese Fortschritte jedoch nicht bevölkerungsrelevant, denn nur wenige Kollegen in Deutschland führen parodontalchirurgische Eingriffe durch, zumindest nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus epidemiologischer Sicht interessiert mich daher vor allem, welche parodontologischen Innovationen tatsächlich der breiten Bevölkerung zugutekommen. In diesem Zusammenhang erscheint mir die Anwendung von Ultraschallgeräten zur Wurzeloberflächenbearbeitung als große Erleichterung, welche zur weiteren Verbreiterung von nichtchirurgischen Parodontaltherapien entscheidend beitragen könnte.
Über Jahrzehnte wurden Ultraschallgeräte nur zur Entfernung des supragingivalen Zahnsteins als geeignet angesehen. In den 1980er-Jahren konnte die Wissenschaft zeigen, dass die subgingivalen Behandlungsergebnisse von Handinstrumenten und Ultraschallgeräten vergleichbar waren. Es kamen grazile Schall- und Ultraschallansätze auf den Markt, die ohne Probleme subgingival angewandt werden konnten und bei richtiger Anwendung nur geringfügig Zahnhartsubstanz abtragen. Heute setzen viele Praxen Schall-/Ultraschallgeräte entweder allein oder in Kombination mit Handinstrumenten ein. Einschränkend muss ich allerdings erwähnen: Es gibt derzeit keine klaren wissenschaftlichen Belege dafür, dass nichtchirurgische Parodontalbehandlungen langfristig zum Zahnerhalt in der deutschen Bevölkerung beitragen. Gleiches gilt für die professionelle Zahnreinigung. Die Entwicklung von nichtinvasivem Pulver für Luft-Pulver-Wasser-Strahlgeräte erleichtern zwar die professionelle Zahnreinigung oder die Erhaltungstherapie ziemlich stark, denn interdentale und subgingivale Beläge bis zu 4 mm Sondierungstiefe können ausreichend entfernt werden. Doch auch hier fehlt bislang der Nachweis eines nachhaltigen Effekts auf den Zahnerhalt.
Zukunftsweisend fände ich daher Innovationen im Bereich von Mundspüllösungen oder Zahnpasten, die gezielt gegen Gingivitis oder Parodontitis wirken. Denn die Erfolge in der oralen Prävention – mehr eigene Zähne und weniger Füllungen – sind vermutlich auf die konsequente Anwendung fluoridierter Zahnpasta zurückzuführen.
Die SHIP-Studie hat wichtige Erkenntnisse zur Verbesserung der oralen Gesundheit geliefert. Welche zentralen Schlussfolgerungen konnten Sie aus den Langzeitdaten ziehen, und welche präventiven Maßnahmen halten Sie für besonders effektiv?
Die SHIP-Studien konnten zeigen, dass die Anwendung einer elektrischen Zahnbürste und die regelmäßige interdentale Reinigung langfristig zu einer verbesserten parodontalen Situation führen. In den letzten 30 Jahren ist der Anteil der Menschen in Deutschland, die solche Hilfsmittel verwenden, kontinuierlich gestiegen: Heute nutzen etwa 50 % der deutschen Senioren eine elektrische Zahnbürste, rund 65 % betreiben eine Form der Interdentalreinigung.
Unsere Ergebnisse stehen in Einklang mit Befunden aus den USA und den DMS-Studien in Deutschland. Allerdings muss man auch hier eine wichtige Einschränkung betonen: Aus der zahnärztlichen Praxis wissen wir, dass die Qualität der Mundhygiene oft nicht dem angestrebten Niveau entspricht. Viele Patientinnen und Patienten reinigen ihre Zähne nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Warum sich trotz dieser Defizite auf Bevölkerungsebene dennoch positive Effekte zeigen, bleibt unklar – das sollten zukünftige Studie ergründen. Für all die genannten Ergebnisse gilt, dass diese auf Beobachtungsstudien beruhen, die keine Aussage zur Kausalität machen können, und dass eine Verzerrung der Ergebnisse nie ausgeschlossen werden kann.

Sie haben den Einfluss eines schlecht eingestellten Diabetes auf Parodontitis nachgewiesen. Welche konkreten Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizin und Allgemeinmedizin?
Aus meiner Sicht müssen wir bei der jährlichen Wiederholung der Anamnese nachfragen, ob ein (neu entdeckter) Diabetes vorliegt und wie gut er eingestellt ist. Ein schlecht eingestellter Diabetes vergrößert das Risiko für Parodontitis und Zahnverlust. Daneben ist auch der unerkannte Diabetes ein Problem für den Zahnarzt. In Deutschland haben ca. 2 % der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren einen unbekannten Diabetes, was ungefähr 1,6 Millionen Menschen entspricht. Glücklicherweise ist dieser Anteil in den letzten Jahrzehnten von 3,4 % in den 1990er-Jahren auf 2 % gesunken, was insbesondere auf verstärkte Gesundheitsuntersuchungen durch Hausärzte zurückzuführen ist. Da ca. 90 % der erwachsenen deutschen Bevölkerung den Zahnarzt regelmäßig aufsuchen, könnten wir im Rahmen der Anamnese bei Personen ab 35 Jahren ein Screening auf unerkannten Diabetes ohne Probleme durchführen – zum Beispiel mit validierten Fragebögen wie dem FINDRISK-Test der Deutschen Diabetes-Stiftung. Wie viele andere Kollegen, die sich mit dem Thema Zahnmedizin und Allgemeinmedizin beschäftigt haben, sehen wir, wie schleppend die Umsetzung von wissenschaftlich gewonnenen Ergebnissen in die gelebte Praxis ist. Dem steht sicherlich als Hindernis entgegen, dass die Zahnmedizin und Medizin in Deutschland im Versorgungsalltag getrennt sind, zum Beispiel kann ein Mediziner nicht an einen Zahnarzt oder vice versa überweisen.
Implantate werden immer häufiger als Therapiemittel eingesetzt, bringen aber spezifische Herausforderungen mit sich. Welche Fortschritte gibt es in der Reinigung und Pflege von Implantaten, und wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?
Die Behandlung der Periimplantitis gleicht noch immer einem Freistilringen. Es kristallisierte sich im Laufe der letzten Jahre heraus, dass die mikrobiologischen Beläge für die Entzündung bzw. den Knochenabbau vermutlich die Hauptverantwortlichen sind. Wir wissen jedoch nicht, mit welchen Methoden die Beläge optimal entfernt werden können und ob eine optimale Entfernung überhaupt der Schlüssel für eine vollständige Wundheilung ist. Dies ist sehr einfach daran zu erkennen, dass sich periimplantäre Taschen mit Sondierungstiefen ≥ 6 mm chirurgisch im Schnitt auf 4,5 Millimeter reduzieren lassen, während bei parodontologischen Taschen ≥ 6 mm eine durchschnittliche Reduktion auf 3 mm erreicht wird. Die Ergebnisse der nichtchirurgischen periimplantären Therapie sind noch schlechter, die meisten Studien fanden hier keine oder zumindest keine erwähnenswerte Verbesserung der periimplantären Situation. Hier liegt noch ein sehr großer Forschungsbedarf vor.
Meine Gruppe hat an diesem Problem die letzten 15 Jahre gearbeitet. Wir haben mit dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald und Dentsply Sirona zwei Geräte für dieses Problem entwickelt und gerade einen multizentrischen klinischen Versuch abgeschlossen, der derzeit ausgewertet wird. Lassen Sie uns die Daumen drücken, dass dieser Ansatz der richtige ist.
Dise Interview ist im PJ Prophylaxe Journal erschienen.