Branchenmeldungen 02.04.2025

Wechselwirkungen von Diabetes und Parodontitis im Visier



Neue Leitlinien sind per se kein Novum, diese aber schon: bei der S2k-Leitlinie Diabetes und Parodontitis, die Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde, handelt es sich um die erste Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft für medizinische Fachgesellschaften e.V. (AWMF), die gemeinsam von einer zahnmedizi­nischen und einer medizi­nischen Fachgesellschaft entwickelt worden ist. Grund genug, beide Seiten in jeweils einem kurzen Q&A zu Wort kommen zu lassen.

Wechselwirkungen von Diabetes und Parodontitis im Visier

Foto: Bonnontawat – stock.adobe.com

Diabetes mellitus und Parodontitis sind hochprävalente, chronische, nicht übertragbare Erkrankungen, die sich in ihrer Entstehung und ihrem Verlauf gegenseitig ungünstig beeinflussen. Eine schlechte Einstellung des Blutzuckers bei Patienten mit Diabetes ist mit einem schlechteren parodontalen, Zustand und schlechteren Behandlungsergebnissen assoziiert. Parodontitis geht wiederum einher mit Dysglykämie und erhöhter Insulinresistenz bei Menschen mit Diabetes sowie mit einem er­höhten Risiko für Prädiabetes und Diabeteskomplikationen. Eine neue S2k-Leitlinie nimmt sich den beschriebenen Wechselwirkun­­gen an und gibt konsensbasierte Empfehlungen für das ärztliche und zahnärztliche Team sowie für Patienten mit Diabetes und/oder Parodontitis.

Das Ziel der Leitlinie ist es, die an der Prävention, Früherkennung, Diagnostik und Therapie der Erkrankungen beteiligten Fachdisziplinen sowie die betroffenen Patienten über die Zusammenhänge zwischen Diabetes und Parodontitis aufzuklären und damit die Qualität der Versorgung zu verbessern.

 

© Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen

Q&A mit Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Søren Jepsen, Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am Universitätsklinikum Bonn, der für die Deutsche Gesellschaft für Parodon­tologie e.V. (DG PARO) an der neuen S2k-Leitlinie mitgewirkt hat.

Prof. Jepsen, wo soll die neue Leitlinie vorrangig greifen?

Eine besondere Aufgabe wird es sein, die Leitlinie mit ihren Empfehlungen in den Hausarztpraxen bekannt zu machen, da dort – anders als in den deutschen Zahnarztpraxen – über die Zusammenhänge zwischen Diabetes und Parodontitis noch nicht so viel bekannt ist. Eine wichtige Rolle wird dabei die Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) spielen. Die Ver­ankerung der Parodontitis im Gesundheitspass Diabetes der DDG ist bereits ein bedeutsamer Fortschritt. Auf zahnmedizinischer Seite betont die aktuelle S3-Leitlinie zur Therapie der Parodontitis (DG PARO/DGZMK) schon seit einigen Jahren den Risikofaktor Diabetes und wie bedeutsam es ist, diesen schon in der ersten Therapiephase zu kontrollieren.

Wie wird die Effektivität der Leitlinienempfehlungen gemessen und unterstützt?

Aktuell wird in einer groß angelegten Studie (Digin2Perio) in Zahnarzt- und Hausarztpraxen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bereits eine neue Versorgungsform erprobt. Durch kurze Fragebogen-basierte Screeningtests zum Parodontits- bzw. Diabetesrisiko soll die gegenseitige Überweisung von Patienten gefördert werden. Die Hoffnung ist, die Früherkennung von Diabetes durch das zahnmedizinische Team und von Parodontitis durch das medizinische Team deutlich zu verbessern. Die Ergebnisse dieser Studie (voraussichtlich Ende 2026) werden auch die Praktikabilität und den Nutzen der Leitlinienempfehlungen bewerten und wichtige Erkenntnis zu deren Umsetzbarkeit liefern.

Geplant ist, dass die Leitlinie zu einem späteren Zeitpunkt auf S3-Niveau aktualisiert werden soll. Was genau bedeutet das?

Eine S3-Leitlinie entsprechend den Kriterien der AWMF ist die qualitativ hochwertigste Form einer medizi­nischen Leitlinie. Zusätzlich zu einem repräsentativen Gremium und einer strukturierten Konsensusfindung ist hierfür auch eine systematische Literatur­recherche, deren Auswahl nach zuvor festgelegten Kriterien und eine Analyse hinsichtlich ihrer methodischen Qualität erforderlich. Aufbauend auf einer kritischen Bewertung der verfügbaren Evidenz werden Empfehlungen in einem formalisierten, nachvollziehbaren Prozess formuliert und im Konsensverfahren verabschiedet. Alles in allem ist die Erstellung einer S3-Leitlinie also deutlich aufwendiger, auch was deren Organisation und Finanzierung angeht, aber die Ergebnisse sind letztendlich noch belastbarer als bei S2-Leitlinien. Da wir bis zur Aktualisierung der Leitlinie viele neue Studien erwarten, wird dieser zusätzliche Aufwand Sinn machen.

 

© Studio2-Fotografie

Q&A mit Prof. Dr. med. Thomas Haak, Chefarzt am Diabetes Zentrum Mergentheim, der für die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) an der Leitlinie mitgearbeitet hat

Prof. Haak, welche Benefits erwarten Sie durch die Integration der Vorsorgeempfehlung für eine jährliche zahnärztliche Untersuchung im Gesundheits-Pass Diabetes?

 

Betroffene Menschen mit Diabetes wissen oft gar nicht, dass die Parodontitis eine erhebliche Gefahr für die Gesamtgesundheit darstellt. Ebenso wissen sie daher auch nicht, warum es so wichtig ist, eine jährliche zahnärzt­-liche Vorsorgeuntersuchung durchzuführen und entsprechende professionelle Zahnreinigung. Der Gesundheits-Pass Diabetes hilft, auf diese Problematik aufmerksam zu machen und animiert zu dieser wichtigen Vorsorge.

Wie bewerten Sie die Rolle der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Zahnärzten im Hinblick auf die Früherkennung von Diabetes und die Verbesserung der Blutzuckerkontrolle durch parodontale Therapien?

Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Zahnärzten ist gerade bei Dia­betes besonders wichtig. Einerseits kann eine schwere Parodontitis ein Symptom eines bisher unerkannten Diabetes sein und andererseits verschlimmert eine Parodontitis die Gesamtsituation des Patienten. Daher sollte es eine bidirektionale Kommunikation zwischen Zahnärzten und Ärz­ten geben.

Können Sie aus Ihrer Erfahrung im Diabetes Zentrum Mergentheim berichten, wie Patienten auf die Verbindung zwischen Parodontitis und Diabetes reagieren?

Wie schon erwähnt, kennt die Mehrzahl der Patienten diese Problematik noch gar nicht und ist überrascht, dass es einen Zusammenhang zwischen Parodontitis und Diabetes gibt. Auch die Folgen einer Parodontitis sind oft unbekannt. Deswegen beschreiben wir diesen Zusammenhang in unseren Schulungen ganz genau und fragen auch mittels Frage­bögen ab, ob eine Parodontitis vorliegen könnte. Entsprechend schicken wir die Patienten dann auch zu einer zahnärztlichen Untersuchung, wenn diese lange nicht durchgeführt worden ist.

Dieses Interview ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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