Praxismanagement 04.11.2021
Wortwörtlich mobil: Zahnmedizin auf LKW-Rädern
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Die zahn(medizinische) Betreuung Pflegebedürftiger und Behinderter in Deutschland ist aufgrund schwerfälliger Bürokratievorgaben eine Frage der eigenen Motivation – ist sie groß, wie bei Zahnarzt Dr. Christoph Blum aus Bad Ems, dann schafft sie scheinbar „Unschaffbares“ und verhilft so bedürftigen Patienten zu der Versorgung, die sie benötigen und verdienen. Wie ihm das gelingt und was ihn antreibt, verrät uns der junge und kreative Zahnarzt im Interview.
Herr Dr. Blum, Sie betreiben mit Ihrer Zahnarztpraxis in Bad Ems eine vollumfängliche, barrierefreie Behandlungseinheit auf Lkw-Rädern, das sogenannte „Zahnmobil“, um multimorbide Senioren, Pflegebedürftige und Behinderte aufsuchen und behandeln zu können. Was hat Sie bewogen, das Zahnmobil ins Leben zu befördern und was ist daran so einzigartig?
Die Idee zu unserem Zahnmobil ist direkt aus der Praxis erwachsen – hier haben wir immer wieder erlebt, dass Patientenfälle, die plötzlich durch den Rettungsdienst bei uns eintrafen, unseren normalen Praxisablauf gesprengt haben. Ein Schlüsselmoment war dann ein schwerstdementer Patient, für den wir eine komplette Sanierung vorgesehen hatten, die dann aber von Familienseite abgesagt wurde. Zehn Tage später stand der Patient mit dem Notdienst vor der Tür. Da war uns klar: Das geht so nicht weiter! Das muss grundsätzlich anders laufen! Dabei wollten wir keine Kompromisse eingehen und auf kleine Formate setzen, sondern wirklich das ganze Spektrum der Zahnmedizin mobil abbilden. Durch meine Erfahrungen als Reservist im Sanitätsdienst und Ausbildungswegen in der Notfall- und Rettungsmedizin sowie als Behandler mit Klinikkontext kannte ich sowohl die militärischen Großversorgungskonzepte als auch die schnellen und mobilen Möglichkeiten aus dem Rettungsbereich und habe mir aus allen drei Feldern – der Klinik, der Bundeswehr und dem Rettungsdienst – meine Strukturen gezielt zusammengestellt. Das Zahnmobil hat somit eine zahnärztliche Behandlungseinheit, mobile Tragesysteme aus dem Rettungsdienst und Beatmungs- und Narkosegeräte aus der Luftrettung. Letztlich haben wir von der Bundeswehr das Container-Prinzip übernommen, wobei die Einzelkomponenten auf dem Markt zur Verfügung stehen, das Ganze aber, die Infrastruktur, ist einmalig und auf mich und mein Team zugeschnitten: ein absolutes Unikat.
Wie sehen Ihre konkreten Einsätze mit dem Zahnmobil aus? Wie oft sind Sie unterwegs und wie viele Einrichtungen betreuen Sie momentan?
Zuerst sprechen wir die Einrichtung an und schließen einen Kooperationsvertrag, der unter anderem besagt, dass beide Parteien zum Wohle des Patienten zusammenarbeiten und nicht in die ärztliche Wahlfreiheit eingreifen. Dann übergeben wir der Einrichtung unsere Mappen mit Informationen zu unserem Konzept und einer Einwilligung zur Patientensichtung für den Betreuer. Denn der Betreuer muss einwilligen, dass wir seinen Betreuten sehen und untersuchen dürfen. Erst wenn uns diese Einwilligung erteilt wurde, führen wir einen Triage-Tag durch – fahren in die Einrichtung, schauen uns die Patienten an, untersuchen und röntgen diese gegebenenfalls. Und erstellen dann einen Behandlungsplan für den Betreuer, da dieser in manchen Fällen nicht immer vor Ort ist. Das Prinzip ist also untersuchen, diagnostizieren und planen, und wenn uns dann alle Rückmeldungen vorliegen, fahren wir, ggf. zusammen mit meinem Anästhesie-Team, zum eigentlichen Einsatz in die Einrichtungen.
Jeder Mittwoch ist unser Einsatztag. Momentan betreuen wir 18 Einrichtungen in einem Radius von 65 Kilometern. Unsere Zulassung gilt aber für ganz Rheinland-Pfalz.
Worin liegt der zentrale Gewinn des „Zahnmobils“ für Ihre Patienten und für Sie als Behandler und Ihr Team?
Für die Patienten bieten wir die vollumfängliche und praxis-gleichwertige Versorgung bei für sie minimalstem Aufwand, und werden so den komplexen Begebenheiten und Bedürfnissen dieser Patientengruppe gerecht. Für uns als Team ist es eine Genugtuung, unsere Kompetenzen für eine vulnerable und vernachlässigte Patientengruppe einsetzen zu können. Denn selbst vonseiten der Kammer, KZV und Fachgesellschaften nehmen wir oftmals mehr Lippenbekenntnisse als wirkliche Taten wahr. Wir aber sind vor Ort und versorgen. Zugleich zeigt sich über das Zahnmobil auch unser Alleinstellungsmerkmal der Praxis und Klinikanbindung.
Und woher rührt Ihre große Motivation?
Mein höchster Ansporn ist es, zu widerlegen, dass etwas nicht gehen soll. Daraus ziehe ich meinen Fokus und meine Motivation. „Das geht nicht, das gibt es nicht, das bekommst du nicht durch“ ist mein Zündstoff und dann lege ich los und beweise mir und anderen, dass es sehr wohl geht, und wahrscheinlich noch vieles mehr. Man muss es nur anpacken. Gleichzeitig verdienen gerade die älteren Patienten, die uns in vielfacher Weise Wege geebnet haben, unsere Hilfe und unser Bemühen. Es gibt viele Notstände in vielen Regionen der Welt, aber eigentlich braucht man gar nicht so weit in die Ferne zu schauen, auch schon direkt bei uns, vor der eigenen Haustür, kann man helfen und wesentliche Veränderungen bewirken. Und genau das tun wir.
Mehr Informationen zum Zahnmobil unter: www.oc-blum.de
Das Interview ist in der dentalfresh erschienen.
Fotos: © Alpha STORYTELLING by Kai Kapitän