Wissenschaft und Forschung 23.03.2012
Bakterien täuschen Immunsystem mit Tarnkappe
Bestimmte
Bakterien können mit Hilfe einer molekularen Tarnkappe Abwehrreaktionen
des Immunsystems verhindern: Minimale Veränderungen an einzelnen
Molekülen reichen aus, um nicht als Eindringling erkannt und bekämpft zu
werden. Diese Ergebnisse von Wissenschaftlern des
Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Mainz wurden jetzt –
vorab online - im renommierten Journal of Experimental Medicine
veröffentlicht. Nun wollen die Forscher klären, wie diese Tarnkappen
funktionieren und ob sie eine Rolle bei Infektionen spielen.
Immunzellen, die sogenannten Fresszellen, tragen an ihrer Oberfläche und
in ihrem Innern bestimmte Strukturen, die Toll-like-Rezeptoren (TLR),
mit deren Hilfe sie potentielle Krankheitserreger wie Bakterien und
Viren als körperfremd identifizieren: Verfangen sich Teile der
Bakterien- oder Viren-Erbinformation sowie verwandter Moleküle
(Nukleinsäuren) an diesen Rezeptoren, lösen sie eine Signalkette aus,
die das Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzt.
Minimale Veränderungen an Transportmolekülen verhindern Abwehrreaktion
In der aktuell publizierten Arbeit befassten sich die beiden
Wissenschaftlerteams um Professor Dr. Alexander Dalpke vom Department
für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg und Professor Dr.
Mark Helm vom Institut für Pharmazie und Biochemie der Universität
Mainz mit dem TLR-7, der bis dato als Detektor für virale Nukleinsäuren
galt. Dabei fanden sie nicht nur heraus, dass TLR-7 auch bakterielle
Nukleinsäuren – bestimmte Transportmoleküle für die Eiweißbildung,
sogenannte Transfer-RNAs – erkennt, sondern auch, dass sich einige
Bakterien mit einem Trick dieser Erkennung entziehen können.
Gleichartige Beobachtungen wurden zeitgleich auch von der Arbeitsgruppe
um Professor Dr. Stefan Bauer an der Universität Marburg gemacht.
Die bakterielle Tarnkappe entdeckten die Forscher bei Tests mit
Transfer-RNA aus dem Darmbakterium Escherischia coli. Obwohl sie wie die
Transfer-RNA anderer Bakterienarten an den Rezeptor bindet, reagiert
die Immunzelle nicht. Die Wissenschaftler zeigten: Verantwortlich dafür
ist eine einzige chemische Modifikation (Methylierung) am Grundgerüst
des Moleküls, die vermutlich ursprünglich der Stabilisierung dient. Ohne
diese Modifikation löst das Bakterienmolekül den Alarm aus, mit
Veränderung nicht. „Es ist bemerkenswert, dass eine einzelne
Methylierung bei einem sehr geringen Anteil der in Bakterien vorhandenen
Transfer-RNAs bereits ausreicht, um die Aktivierung der Immunzelle zu
verhindern“, so Dalpke. Mehr noch: Diese besondere Transfer-RNA schafft
es, durch die Bindung an TLR-7 die Abwehrzelle wieder zu stoppen, wenn
sie nach Kontakt mit nicht maskierten Molekülen bereits ihre Botenstoffe
ausschüttet.
Feind oder Freund?
Wie genau die Tarnkappe die Immunzellen stumm schaltet, erforschen die
Teams aus Heidelberg und Mainz aktuell. Darüber hinaus suchen sie nach
weiteren Bakterienarten, die wie E. coli die Fähigkeit besitzen, ihre
Transfer-RNA zu tarnen. „Je nachdem, wo wir fündig werden, können wir
mehr darüber sagen, ob die Modifikation bei besonders gefährlichen
Bakterien oder eher bei ungefährlichen oder sogar nützlichen Bakterien
vorkommt“, erklärt Dalpke. Ein Beispiel für die zweite Gruppe ist E.
coli selbst: Die Bakterien leben symbiotisch im Darm des Menschen und
unterstützen die Verdauung. Der Trick mit der Tarnkappe liegt hier also
im gegenseitigen Interesse.
Weitere Informationen im Internet:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Prof-Dr-A-Dalpke.2981.0.html