Wissenschaft und Forschung 06.05.2011

Erreger aus dem Mundraum

Erreger aus dem Mundraum

Foto: © PD

Die Parodontitis, eine bakterielle Entzündung des Zahnfleisches, kann schwere Erkrankungen verursachen. Obwohl sehr viele Menschen davon betroffen sind, ist weitgehend unklar, wie die Entzündung genau abläuft. Die Zahnärztin Nagihan Bostanci arbeitet an einem Modell, um die Vorgänge in-vitro zu simulieren.

Gesunde Ernährung, viel Bewegung, wenig Stress und ausreichend Schlaf,das sind unbestritten wichtige Zutaten für einen gesunden Lebensstil. Doch wiesteht es mit sauberen Zähnen? Nagihan Bostanci, Zahnärztin und Postdoktorandinam Institut für Orale Biologie der Universität Zürich, erklärt: «Die meistenMenschen gehen zum Zahnarzt, weil sie sich schönere Zähne wünschen oder ihnenein Zahn weh tut. Dabei sind saubere, gesunde Zähne und ebensolches Zahnfleischgenauso wichtig für die gesamte Gesundheit wie gute Ernährung oder vielBewegung.»

Wandernde Bakterien

Grund dafür ist das Heer an Bakterien, das die Zähne umspült. Von denrund 700 verschiedenen Bakterienarten, die sich im Mund tummeln, sind zwar dieallermeisten harmlos, doch einige wenige können Entzündungen des Zahnfleisches,die Parodontitis, verursachen. Putzt man die Zähne einige Tage nicht oder nurungenügend, bildet sich auf den Zähnen ein Belag aus Bakterien. SolcheAnsammlungen von Bakterien heissen Biofilme.

Beim Menschen entstehen Biofilmevor allem auf den Schleimhäuten und sind für eine Reihe von Infektionenverantwortlich, wie Herzinnenhaut-, Mittelohr- undBlasenentzündung und eben Parodontitis. Aufgrund der komplexendreidimensionalen Struktur der Biofilme sind diese Infektionen oftmalsresistent gegenüber den körpereigenen Abwehrmechanismen oder Antibiotika.

Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als achtzig Prozent allermikrobiellen Infektionen beim Menschen auf Biofilme zurückgehen und dieseweltweit rund 6.5 Milliarden Dollar Gesundheitskosten pro Jahr verursachen. Vonden durch Biofilme verursachten Erkrankungen ist die Parodontitis vermutlichdie häufigste. Gemäss Studien sind bis zu neunzig Prozent der Bevölkerungweltweit davon betroffen. Allerdings ist der Schweregrad der Erkrankung sehrunterschiedlich und reicht vonharmlosem Zahnfleischbluten bis zum Zahnausfall.

Meist reagieren die Patienten erst, wenn die Erkrankung schon weitfortgeschritten ist. Man rechnet damit, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerungan einer chronischen Parodontitis leiden, die nicht auf die herkömmlichenBehandlungsmethoden wie sorgfältige Zahnreinigung und Antibiotika anspricht.Doch eben nicht nur die Zähne sind bei der Parodontitis betroffen. Gelangen dieKeime nämlich in den Blutkreislauf, können sie sich in anderen Organen wie zumBeispiel dem Herzen ansiedeln und dort weitere Entzündungen auslösen.

Mundbakterien im Fruchtwasser

Von schwangeren Frauen weiss man, dass eine Parodontitis zur Frühgeburtführen oder das ungeborene Kind ernsthaft schädigen kann. «Parodontitis ist einweitverbreitetes und ernsthaftes Gesundheitsproblem mit Auswirkungen auf dieGesundheit des ganzen Menschen. Gleichzeitig ist noch weitgehend unbekannt, wiedie Entzündung genau abläuft und warum manche Menschen eine schwere Parodontitisentwickeln und andere nicht», erläutert Bostanci, die sich seit mehr als zehnJahren mit Parodontitis beschäftigt.

Seit September 2010 leitet sie zudem einProjekt, das Vorgänge bei der Parodontitis molekularbiologisch untersucht. Siewird dabei vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt.

Parodontitis im Labor simulieren

Bisherige Studien zur Parodontitis haben die komplexe Struktur derBiofilme nur ungenügend berücksichtigt. Das erste Ziel von Bostanci ist esdeshalb, ein neues in-vitro-Modell der Parodontitis zu entwickeln, mit dessen Hilfe das Wechselspiel zwischen Organismus und Biofilm simuliert werden kann.Gelingt es, ein solches Modell in-vitro zu erzeugen, kann auf Tierversucheweitgehend verzichtet werden.

Dazu züchtet Bostanci im Labor Zahnfleischgewebe und parallel dazuBiofilme aus zehn verschiedenen Bakterienarten, die nachweislich bei derEntstehung der Parodontitis eine Rolle spielen. Haben sowohl Bakterien als auchZahnfleischgewebe den gewünschten Entwicklungsstand erreicht, wird der Biofilmauf das Gewebe aufgetragen.

In vordefinierten Zeitabständen werden Proben in Bezug auf angeschalteteGene (Genomik) und produzierte Proteine (Proteomik) untersucht. Diesen Teil derArbeit übernimmt das «Functional Genomics Center Zurich», eine Zusammenarbeitder Universität Zürich und der ETH Zürich. Bostanci: «Ich hoffe, dass das Verständnis dergenauen Abläufe bei der Parodontitis irgendwann einmal zu verbessertenBehandlungsmöglichkeiten führen wird und gleichzeitig auch als Modell für andereInfektionen beim Menschen durch Biofilme dienen kann.»

Forschungskredit als Sprungbrett

Bostanci schätzt die grosse Unterstützung, die sie vom Institut fürOrale Biologie erhält und betont die enorme Bedeutung des Forschungskreditesfür ihre Arbeit: «Der Forschungskredit ermöglicht es mir, die Basis für eineeigene, selbständige Forschung zu legen. Nach Ablauf des Jahres möchte ichmeine Forschung gerne mit weiteren Drittmitteln fortführen und eine eigeneForschungsgruppe etablieren.» Natürlich auf dem Gebiet derParodontitis-Forschung.

Quelle: Lena Serck-Hanssen, UZH News

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