Wissenschaft und Forschung 06.01.2012
Nanokristalle lassen Zahnersatz blitzen
Das
härteste Material des menschlichen Körpers wird von seinen kräftigsten
Muskeln bewegt: Wenn wir herzhaft in einen Apfel oder ein Schnitzel
beißen, wirken enorme Kräfte auf unsere Zahnoberflächen ein. „Was der
natürliche Zahnschmelz aushalten muss, das gilt auch für Zahnersatz, wie
Inlays oder Brücken“, sagt der Glaschemiker Prof. Dr. Dr. Christian
Rüssel von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Schließlich werde
dieser genauso beansprucht, wie die gesunden Zähne. Bisher verfügbare
Keramikmaterialien eignen sich wenig als Materialien für Brücken, da
hierzu die Festigkeit meist nicht ausreicht.
Jetzt ist es Prof. Rüssel und seinen Kollegen vom Otto-Schott-Institut
für Glaschemie gelungen, neuartige Glaskeramiken mit einer
nanokristallinen Struktur herzustellen, die aufgrund ihrer hohen
Festigkeit und ihrer optischen Eigenschaften für den Einsatz in der
Zahnmedizin geeignet erscheinen. Ihre Forschungsergebnisse haben die
Glaschemiker der Universität Jena kürzlich in der Online-Ausgabe des
Fachmagazins „Journal of Biomedical Materials Research“ veröffentlicht
(doi: 10.1002/jbm.b.31972).
Die Glaskeramiken auf der Basis von Magnesium-, Aluminium- und
Siliziumoxid zeichnen sich durch eine enorme Festigkeit aus. „Wir
erreichen damit rund fünf Mal höhere Festigkeit als bei vergleichbaren,
heute verfügbaren Zahnersatzkeramiken“, erläutert Prof. Rüssel. Die
Jenaer Glaschemiker arbeiten bereits seit längerem an hochfesten
Keramiken, bisher jedoch für Anwendungen in anderen Bereichen, etwa als
Basis neuer leistungsfähiger Computerfestplatten. „Durch die Kombination
mit neuen optischen Eigenschaften eröffnet sich für diese Materialien
jetzt der Bereich der Zahnmedizin als weiteres Anwendungsfeld“, ist
Prof. Rüssel überzeugt.
Materialien, die als Zahnersatz in Frage kommen sollen, dürfen sich
optisch nicht von den natürlichen Zähnen unterscheiden. Dabei ist nicht
nur der richtige Farbton wichtig. „Der Zahnschmelz ist auch teilweise
durchscheinend, was die Keramik ebenfalls sein sollte“, so Prof. Rüssel.
Um diese Eigenschaften zu erreichen, werden die Glaskeramiken nach einem
genau festgelegten Temperaturschema hergestellt: Zunächst werden die
Ausgangstoffe bei rund 1.500 °C geschmolzen, abgekühlt und fein
zerkleinert. Anschließend wird das Glas erneut geschmolzen und wieder
abgekühlt. Durch kontrolliertes Erhitzen auf rund 1.000 °C werden
schließlich Nanokristalle erzeugt. „Diese Prozedur bestimmt die
Kristallbildung, die für die Festigkeit des Produkts ausschlaggebend
ist“, erläutert der Glaschemiker Rüssel. Doch das sei eine technische
Gratwanderung. Denn ein zu stark kristallisiertes Material streut das
Licht, wird lichtundurchlässig und sieht aus wie Gips. Das Geheimnis der
Jenaer Glaskeramik liegt darin, dass sie aus Nanokristallen besteht.
Diese haben eine durchschnittliche Größe von höchstens 100 Nanometern.
„Sie sind zu klein, um das Licht stark zu streuen und deshalb wirkt die
Keramik transluzent, wie ein natürlicher Zahn“, sagt Prof. Rüssel.
Bis die Materialien aus dem Jenaer Otto-Schott-Institut als Zahnersatz
praktisch zum Einsatz kommen können, ist allerdings noch einiges an
Entwicklungsarbeit notwendig. Doch die Grundlagen, da ist sich Prof.
Rüssel sicher, sind geschaffen.
Original-Publikation:
Dittmer M, Rüssel C.: Colorless and high strength MgO/Al2O3/SiO2
glass-ceramic dental material using zirconia as nucleating agent. J
Biomed Mater Res B Appl Biomater. 2011 Nov 21. doi: 10.1002/jbm.b.31972
Quelle: Otto-Schott-Institut für Glaschemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena