Wissenschaft und Forschung 15.07.2011
Raucher sind wenig empfänglich für Schockbilder
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An
der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie waren
Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Köln sowie der Charité in
Berlin beteiligt. 28 langjährige, jüngere Raucher und ebenso viele
Nichtraucher nahmen teil. Ihnen wurden jeweils Fotos von fröhlichen,
angsterfüllten und neutralen Gesichtern gezeigt. Gleichzeitig erfassten
die Wissenschaftler die Gehirnaktivität der Probanden. Im Augenmerk der
Forscher stand dabei insbesondere die Amygdala - eine Struktur, die auch
als „Mandelkern“ bezeichnet wird. „Das ist das Furchtzentrum im
Gehirn“, berichtet Privatdozent Dr. Dr. med. René Hurlemann, Oberarzt an
der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Bonner
Universitätsklinikums.
Die Amygdala war immer dann aktiv, wenn die Probanden ängstliche
Gesichter zu sehen bekamen. „Bei Rauchern und Nichtrauchern zeigten sich
hier zunächst keine Unterschiede“, berichtet der Erstautor und
Neurologe Dr. Özgür Onur, der früher am Bonner Universitätsklinikum
arbeitete und jetzt am Kölner Universitätsklinikum beschäftigt ist. „Die
Verarbeitung von Emotionen im Gehirn funktionierte bei beiden Gruppen
also ähnlich.“ Das war immer dann der Fall, wenn die Süchtigen vorher
ausreichend dem blauen Dunst frönen durften. Die Testpersonen im Alter
von Ende 20 konsumierten im Schnitt 17 Zigaretten am Tag und das seit
neun Jahren.
Aktivität der Amygdala sinkt bei Abstinenz
Wenn die Raucher aber eine zwölfstündige Abstinenz hinter sich hatten,
zeigte sich ein anderes Bild. „Die Aktivität des Furchtzentrums war
bereits nach wenigen Stunden Enthaltsamkeit im Vergleich zu vorher stark
herabgesetzt“, sagt Onur. „Bilder von ängstlichen Menschen waren ihnen
schlicht egal.“
Die mangelnde Furcht ist problematisch. „Die Amygdala wird daran
gehindert, ihrer natürlichen Funktion nachzugehen“, sagt Hurlemann.
„Angst ist ein archaischer Trieb und schützt uns davor, Gefährliches zu
tun.“ Dieses natürliche Reaktionsmuster zeigen seit kurzem enthaltsame
Raucher nicht: Sie fürchten sich nicht vor den Folgen des Rauchens.
„Offenbar sind sie gedanklich in ihrer Sucht gefangen und sind dann
weniger empfänglich für Angst einflößende Reize“, sagt Onur. „Raucher
brauchen offenbar das Nikotin, um die Normalfunktion ihrer Amygdala
aufrecht zu erhalten.“
Hurlemann bezweifelt, dass die in den USA geplanten und auch in der EU
in Erwägung gezogenen Schockbilder von Raucherlungen und Tumoren auf
Zigarettenpackungen bei der Mehrzahl der Süchtigen eine große Wirkung
haben wird. „Wer mit dem Rauchen aufhört, bei dem ist die Aktivität des
Furchtzentrums so weit herabgesetzt, dass er wenig empfänglich für die
abschreckenden Fotos ist“, sagt Hurlemann.
Hälfte der Raucher stirbt vorzeitig
„Es gibt 1,2 Milliarden Raucher weltweit“, sagt der Bonner Oberarzt.
„Statistiken gehen davon aus, dass etwa die Hälfte an den Folgen des
Rauchens vorzeitig sterben wird.“ Deshalb müsse die Frage gestellt
werden, wie man diesen Menschen helfen kann, sagt Hurlemann. „Vielleicht
sollte man stärker in Therapiemaßnahmen für Raucher investieren und in
die Forschung, die die Raucherentwöhnung für verschiedenen Patienten
optimiert?“
Bei Nichtrauchern sei die Amygdala hingegen aktiv, die schockierenden
Bilder werden deshalb bei ihnen ihre Wirkung nicht verfehlen, ist der
Privatdozent überzeugt. „Wer noch nicht raucht, kann also absehbar durch
solche Schock-Kampagnen vom Zigarettenkonsum abgehalten werden“, sagt
auch Dr. Özgür Onur.
Publikation:
Oezguer A. Onur, Alexandra Patin, Yoan Mihov, Boris Buecher, Birgit
Stoffel-Wagner, Thomas E. Schlaepfer, Henrik Walter, Wolfgang Meier und
René Hurlemann: Overnight Deprivation from Smoking Disrupts Amygdala
Responses to Fear, Journal „Human Brain Mapping“, Internet: http://onlinelibrary.wiley.com/journal/10.1002/(ISSN)1097-0193/earlyview
Quelle: Uni Bonn