Wissenschaft und Forschung 26.02.2013
Zahnstein gewährt Einblick in die Evolutionsgeschichte
Die aktuelle
Studie eines internationalen Forscherteams zeigt, dass sich die Mundflora seit
der Jungsteinzeit der veränderten Ernährung angepasst hat und ihre verringerte
Diversität Ursache für systemische Krankheiten bei Zahnstein ist.
Der Mann, den
wir unter dem Namen 12011 kennen, lebte vor 5.450 und 7.500 Jahren in Polen. Er
war ein Jäger und Sammler und starb mit ungefähr 40 Jahren. Viel wissen wir
nicht über ihn. Nur soviel, dass auch in seinem Mund und auf seinen Zähnen
Mikroben lebten. Wie beim modernen Menschen erzeugen sie eine Plaqueschicht,
die zu Zahnstein aushärtet und die Bakterien in Kalziumphosphat einschließt.
Professor Alan Cooper von der Universität von Adelaide nutzte in Zusammenarbeit
mit einem Forscherteam – bestehend aus Wissenschaftlern aus Australien,
Großbritannien, Polen und Deutschland – diese eingeschlossenen Bakterien, um zu
untersuchen, wie sich die Mundflora im Laufe von Jahrtausenden verändert
hat.
Es ist wichtig
zu wissen, dass Plaque und Zahnstein vermehrt mit systemischen
Krankheiten, darunter auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Frühgeburten, Arthritis
und Diabetes, in Verbindung gebracht werden. So gelangen zum Beispiel Bakterien
aus der Plaque über entzündetes Zahnfleisch in den Blutkreislauf, wo sie
eine permanente Antwort auf die Entzündung hervorrufen und sich als Gerinnsel
an den Wänden von Koronararterien ablagern. Mundbakterien
sind jedoch auch zu einem wesentlichen Teil für gute Gesundheit verantwortlich
und sind gleichermaßen daran beteiligt, Schäden an Zähnen zu reparieren und die
Kolonialisierung von Pathogenen zu verhindern.
Professor
Cooper: „Das Problem ist, dass sich die natürliche menschliche Mundflora erheblich durch die Anpassung an
die moderne Ernährungsweise, die einen hohen Anteil an Kohlenhydraten und
industriell hergestellten Zucker beinhaltet, verändert hat.“ Um
sicherzustellen, dass die mikrobakteriellen Befunde tatsächlich vom Zahnstein
herrühren und nicht von anderen Bakterien im Boden oder Wasser aus der
unmittelbaren Umgebung des Probenexemplars, analysierte das Forscherteam die
mikrobakterielle Diversität innerhalb des Zahnes, dem sie auch den Zahnstein
entnommen hatten. Sollten Bakterien aus dem Boden oder Wasser in das
Probenexemplar gelangt sein und die Resultate kompromittiert haben, dann
müssten die DNS-Sequenzen innerhalb des Zahnes denen des entnommenen Zahnsteins
gleichen. Dies war aber nicht der Fall und die DNS innerhalb des Zahns
unterschied sich grundsätzlich von der des Zahnsteins und entsprach eher der
DNS der Kontrollproben aus der Umgebung.
Die Idee zu
dem Projekt kam Professor Cooper vor 17 Jahren, als er den Archäologen
Professor Keith Dobney (derzeit an der Universität zu Aberdeen) zum ersten Mal
traf. In vorherigen Studien von Professor Dobney und anderen wurden Mikroskope
benutzt, um den Bereich und die Anzahl von Bakterien in Zahnstein zu bestimmen
sowie die beträchtliche Menge von Nahrung, die zwischen ihnen konserviert
wurde. Es war allerdings bisher nicht möglich, die Art der Bakterien zu
bestimmen. „Während der
letzten zehn Jahre haben wir mehrfach versucht, DNS aus den Bakterien von altem
Zahnstein zu gewinnen. Verunreinigte DNS in den Enzymen und Bestandteilen beeinträchtigten
die Experimente, sodass wir auf verbesserte Produktionsmethoden warten
mussten“, so Professor Cooper. „Zudem mussten wir als Labore Reinsträume am
Australian Centre for Ancient DNA (ACAD) einrichten, um einen bakterienfreien
Arbeitsplatz zu gewährleisten.“ Zusammen mit einem Team von Zahnärzten an der Adelaide
Dental School entnahmen die Wissenschaftler Proben bei sich selbst und
Labormitarbeitern, um einen Überblick über die aktuelle mikrobiologische
Diversität sowie die Verbindung von Bakterien in der Plaque und Zahnstein zu
gewinnen.
Foto: Dieses Kieferskelett stammt aus Hinxton, Cambridge. Es wurde während Erdarbeiten für das Sanger Centre gefunden. © Alan Cooper
Frühere
Studien des Zahnsteins aus Skeletten der letzten Jäger und Sammler sowie der
ersten Bauern offenbaren eine beträchtliche Veränderung von Mundbakterien mit
einer grundsätzlichen Verringerung der Diversität und einer Erhöhung der Anzahl
von Bakterien, die mit Zahnfleischerkrankungen (Parodontitis) und Karies in Verbindung gebracht werden. Wissenschaftler erklären das
mit dem Aufkommen des Ackerbaus während des Neolithikums (Jungsteinzeit). Damit
einher ging eine Veränderung von der vielfältigen Ernährung der Jäger und
Sammler zu einer Ernährung, die vor allem auf Kohlenhydraten aus der Ernte von
zum Beispiel Weizen, Gerste und Roggen basiert. „Der Verzehr dieser weichen und
kohlenhydratreichen Nahrung führt dazu, dass sich vermehrt Speisereste zwischen
den Zähnen ablagern und pathogene Mikroben einen dauerhaften Nährboden finden“,
meint Cooper.
Eine
wesentlich größere und schädlichere Veränderung erfolgte jedoch vor erst 150
Jahren, als die industrielle Revolution raffinierten Zucker und Mehl verfügbar
machte. Die Studie zeigt, dass ab diesem Zeitpunkt die Diversität der Mundflora
in europäischen Skeletten einbrach und von krankheitserregenden Bakterien
dominiert wurde, wie den Streptococcus mutans, dem Hauptverursacher von
Karies. Professor Cooper beschreibt die neuzeitliche Mundflora als permanenten
Krankheitsherd, in dem die reduzierte Diversität und große Mengen von
Kohlenhydraten (insbesondere Zucker) dazu führen, dass Pathogene sich
kolonisieren können.
Coopers Kollege
Professor Corey Bradshaw sagt als Ökologe, dass dasselbe Prinzip sowohl auf
bakterielle als auch auf größere Ökosysteme zutrifft und dass verringerte
Diversität mit einer reduzierten Widerstandsfähigkeit gegenüber
Umweltveränderungen, wie invasive Arten, in Verbindung zu bringen ist.
„Mundbakterien
wurden mit einer Reihe von Krankheiten in Verbindung gebracht, einschließlich
Diabetes, Herz- und Krebserkrankungen“, so Dr. Christina Adler vom ACAD. „Eine
der Hauptursachen von Zahnfleischerkrankungen, Porphyromonas gingivalis,
wurde als ein Grund für den kürzlich verzeichneten Anstieg von Herzerkrankungen
angenommen. Allerdings konnten wir auch zeigen, dass sein Vorkommen über die
vergangenen 7.000 Jahre nicht zugenommen hat, was vermuten lässt, dass es nicht
ursächlich ist. Es könnte die Krankheiten jedoch begünstigen, indem es eine
permanente Entzündung hervorruft.“
Originalveröffentlichung: „Sequencing ancient calcified dental plaque shows changes
in oral microbiota with dietary shifts of the Neolithic and Industrial
revolutions“, Christina J. Adler et al.; Nature Genetics, DOI: 10.1038/ng.2536
Quelle: Prof. Alan Cooper – University of
Adelaide, Australia; Ed Yong' blog – Phenomena: Not exactly rocket science