Businessnews 04.04.2013
Narzisstische CEOs investieren häufiger in neue Technologien
Je narzisstischer ein Vorstandschef, umso höher seine Bereitschaft, in seinem oder ihrem Unternehmen neue Technologien einzuführen – insbesondere wenn diese Innovationen von der Öffentlichkeit als „heilsbringend“, aber risikoreich wahrgenommen werden. Diesen Zusammenhang konnten Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) erstmals in einer gemeinsam mit dem IMD in Lausanne und der Pennsylvania State University durchgeführten Studie nachweisen. Ihre Erkenntnisse werden in Kürze in der renommierten Fachzeitschrift Administrative Science Quarterly veröffentlicht.
Personal Computer, Online-News, E-Books, und Low Cost Airlines: Dies
sind nur einige Beispiele für bahnbrechende – so genannte
„diskontinuierliche“ – Innovationen, die zu ihrer Zeit dem bestehenden
Geschäftsverständnis grundsätzlich zu widersprechen schienen und damit
ganze Märkte durcheinander wirbelten. Wovon aber hängt es ab, ob ein
etabliertes Unternehmen sich auf eine diskontinuierliche Technologie
einlässt oder nicht? In einer Studie untersuchten Wolf-Christian
Gerstner und Andreas König (beide FAU Erlangen-Nürnberg) sowie Albrecht
Enders (IMD, Lausanne) und Donald C. Hambrick (Pennsylvania State
University) mögliche Faktoren am Beispiel der Reaktion traditioneller
Pharmaunternehmen auf die Biotechnologie zwischen 1980 und 2008. Das
Ergebnis: Mehr als bislang angenommen hängt die Entscheidung für oder
gegen Investitionen in eine diskontinuierliche Technologie von der
Persönlichkeit des Vorstandschefs und seinem Ego ab.
Eine Erkenntnis, die so manche Unternehmensentscheidung auch in der
Retrospektive in einem anderen Licht erscheinen lässt. „Wir konnten
feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen in
diskontinuierliche Technologien investiert, umso höher ist, je
narzisstischer der jeweilige CEO ist“, sagt Andreas König. „Die
Pharmaunternehmen, die von besonders selbstverliebten CEOs geleitet
wurden, haben mehr als doppelt so häufig Biotech-Initiativen im Rahmen
von Akquisitionen, Allianzen oder internen Forschungsprojekten
durchgeführt als die Unternehmen, die von weniger narzisstischen CEO
geführt wurden.“
Fünf zentrale Charakteristika schreiben die Wissenschaftler Narzissten
zu: (1) Ein übersteigertes Selbstbewusstsein, welches jedoch (2) immer
wieder durch Aufmerksamkeit bestätigt werden muss, (3) ein starkes
Streben nach Dominanz, (4) mangelnden Willen, die Gefühlen anderer in
eigene Entscheidungen zu integrieren und (5) eine gewissen Rastlosigkeit
und Ungeduld. Bereits in früheren Forschungen war Ko-Autor Donald
Hambrick dem Thema Narzissmus unter CEOs auf den Grund gegangen. Dabei
war eine der Herausforderungen, Messgrößen für Narzissmus bei CEOs zu
entwickeln: Da eine Erhebung über Fragebögen hier nicht
erfolgversprechend war, galt es, ein Evaluationsmodell zu entwickeln,
das sich auf Indikatoren stützt – etwa die Prominenz des Fotos eines CEO
im Geschäftsbericht oder die relative Häufigkeit von Nennungen seines
Namens in den Pressemitteilungen des jeweiligen Unternehmens. Dabei ließ
sich eine hohe Konsistenz innerhalb der Betrachtung einer einzigen
Person feststellen, während das Ergebnis im Vergleich mit dem Vorgänger
oder Nachfolger des jeweiligen CEO deutlich abwich.
„Narzissmus ist eine außerordentlich interessante, weil ambivalente
Persönlichkeitseigenschaft“, erläutert Wolf-Christian Gerstner.
Gemeinsam mit Andreas König, Albrecht Enders und Donald Hambrick hat er
die These entwickelt, erhöhter Narzissmus bei CEOs führe dazu, dass die
von ihnen geleiteten Unternehmen neue Technologien eher adoptieren.
„Narzissten glauben, solche Innovationen beherrschen zu können, während
andere CEOs vor dem zu großen Risiko eher zurückschrecken“, so Gerstner.
Zugleich gingen die Forscher davon aus, dass Technologien, denen eine
bahnbrechende Wirkung zugeschrieben wird, viel größere Aufmerksamkeit
von Seiten der Öffentlichkeit erfahren. Ein CEO kann also damit
rechnen, dass er mehr Aufmerksamkeit erhält, wenn er in
diskontinuierliche Technologien investiert, als wenn er denselben Pfaden
folgt, die das Unternehmen schon immer ging. Auch dies fanden die
Forscher bestätigt.
Ein weiterer zentraler Beitrag der Studie baut genau auf diesen Effekt
auf. „Im Laufe unserer Studie haben wir beobachtet, wie sehr etwa die
öffentliche Aufmerksamkeit für Biotechnologie – wie sie sich in den
Medien widerspiegelt – über die Zeit schwankte“, berichtet Albrecht
Enders. „Bei ihrem Aufkommen wurde die Technologie zunächst nicht
besonders beachtet. Dann gab es Phasen großer, auf- und abschwellender
öffentlicher Debatten, sowohl über die Chancen der Biotechnologie als
auch über ihre wirtschaftlichen, medizinischen und sozialen Risiken.
Heutzutage ist die Biotechnologie weitgehend aus der Diskussion
verschwunden.“
Die Autoren untersuchten darauf hin, ob narzisstische CEOs vor allem in
Phasen großer öffentlicher Aufmerksamkeit die Initiative ergreifen – mit
eindeutigem Ergebnis: „Narzisstische CEOs haben augenscheinlich ein
großes Gespür für Scheinwerferlicht. Wenn die Chance dafür besonders
hoch ist – zum Beispiel in Zeiten, in denen die Presse viel über eine
Technologie schreibt und sie als heilsbringend, zugleich aber auch als
risikoreich beschreibt –, dann investieren narzisstische CEOs mit einer
noch höheren Wahrscheinlichkeit in solche Diskontinuitäten als ohnehin
schon“, beschreibt Andreas König eines der Kernergebnisse der Studie.
„Der Einfluss der Öffentlichkeit auf unternehmerische Innovation – und
insbesondere radikale Innovation: Das ist sicher eine der wichtigsten
Erkenntnisse, die unsere Studie in die Organisationsforschung trägt.
Wenn wir die Öffentlichkeit und ihre enorme Auswirkung auf
unternehmerisches Handeln besser verstehen lernen, werden wir auch den
wirtschaftlichen Erfolg bestimmter Technologien besser verstehen und
vorhersagen können.“
Besonders wichtig ist den Autoren zudem, dass ihre Studie ein
nuancierteres Bild narzisstischer Führungskräfte zeichnet. „Narzissten
sind nicht bessere oder schlechtere CEOs“, so Wolf-Christian Gerstner:
„Aber sie sind möglicherweise besser als ihr Ruf. Sie können dazu
beitragen, organisationale Trägheit und Starre zu überwinden. Und für
den Fall dass eine neue Technologie dem konventionellen Ansatz
tatsächlich überlegen ist, kann ein narzisstischer CEO möglicherweise
das Überleben eines Unternehmens bedeuten.“ Die entscheidende
Herausforderung für die unternehmerische Praxis werde nun, so die
Autoren, darin liegen, die negativen Facetten von Narzissten – wie zum
Beispiel ihre mangelnde Kritikfähigkeit und Empathie – so gut wie
möglich zu kontrollieren, um die positiven Seiten langfristig nutzen zu
können.
Der Artikel „CEO Narcissism, Audience Engagement, and Organizational
Adoption of Technological Discontinuities“ von Wolf-Christian Gerstner,
Andreas König (beide FAU Erlangen-Nürnberg), Albrecht Enders (IMD,
Lausanne) und Donald C. Hambrick (Pennsylvania State University)
erscheint im Juni 2013 im Administrative Science Quarterly, der
bedeutendsten Zeitschrift im Bereich der strategischen
Organisationsforschung.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg