Praxismanagement 10.11.2017

MEMOTAIN® – Perpetuierung der Heilung



MEMOTAIN® – Perpetuierung der Heilung

Foto: CA DIGITAL

Inwieweit dieser Kleberetainer sowohl im Bereich der Honorarabrechnung als auch im Bereich der Material- und Laborkostenerstattung eine andere Beurteilung als sonstige Retentionsgeräte rechtfertigt, erläutert RA Michael Zach.

Das menschliche Gebiss neigt zur Verschlechterung. Auch wenn die Alterung generell subjektiv ebenfalls als Verschlechterung des Gesundheitszustandes empfunden wird –, ohne als solche krankhaft zu sein – so nimmt in diesem Kontext die Zahnmedizin im Allgemeinen und die Kieferorthopädie im Besonderen eine Sonderstellung ein. Denn auch nach der fachgerechten Beseitigung von Zahnfehlstellungen, also nach einer jeden Heilung, besteht die natürlich-regelhafte Tendenz zum Rückfall und zum Rezidiv. So gesehen scheint die dauerhafte Erreichung eines Heilungszustandes in der Kieferorthopädie kaum möglich, da bei diesem Krankheitsverständnis im Zeitpunkt der Therapiezielerreichung bereits wieder die Krankheitsentwicklung einsetzt und zwar in Richtung des zuvor kurierten Befundes.

Dies erinnert den Humanisten an Sisyphos, der für seine Renitenz dem Gott Thanatos (nach der griech. Mythologie: Gott der Toten) gegenüber dergestalt bestraft wurde, dass er auf ewig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen muss, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Es kann vor diesem Hintergrund kein Zweifel daran bestehen, dass die Rezidivverhinderung durch Retention selbst sowohl eine „zahnmedizinisch notwendige Versorgung“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 GOZ (Gebührenordnung für Zahnärzte) und auch „medizinisch notwendig“ im Sinne von § 1 Abs. 2 der Musterbedingungen der privaten Krankenversicherung ist (MB-KK). Danach ist eine kieferorthopädische Behandlung schon dann medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und ihrer Planung vertretbar ist, die Maßnahme als medizinisch notwendig anzusehen.

Vertretbar ist eine Heilbehandlung dabei bereits dann, wenn sie in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Therapie zur Verfügung steht und angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Durch das letztgenannte Merkmal knüpfen die Versicherungsbedingungen an die zuvor beschriebene Verschlechterungstendenz an. Dabei ist es dem Behandler im Rahmen seines kieferorthopädischen Therapieermessens freigestellt, welchen Therapiegerätes er sich im Rahmen der Retentionsbehandlung bedient. Herausnehmbare Retentionsgeräte sind honorarmäßig in der Kernposition enthalten und lösen keine Gebührenpositionen aus. Festsitzende Retainer aus dem Eigenlabor sind als Materialund Laborkosten in den Gebührenziffern 6100, 6120, 6140, 6150 und 6160 GOZ enthalten und rechtfertigen ebenfalls keine separate Abrechnung.

Die Anwendung des MEMOTAIN®, eines festsitzenden Lingualretainers der Firma CA DIGITAL, rechtfertigt jedoch eine andere Beurteilung sowohl im Bereich der Honorarabrechnung als auch im Bereich der Material- und Laborkostenerstattung: Dieses festsitzende Retentionsgerät, das die per Scan erhobene linguale Struktur der Frontzähne und Frontzahnreihe des Unterkiefers erfasst und im Negativ wiedergibt, sodass eine ideale Anlehnung möglich ist, kann als Sondermaterial verstanden werden im Sinne der Formulierung in der Vorbemerkung zu Teil G der GOZ. Dort heißt es, dass die Verwendung von Materialien, die über das Standardmaterial hinausgehen, medizinisch notwendig sei und die Erstattungspflicht des Kostenträgers auslösen könne.

Das in Gestalt des MEMOTAIN®-Lingualretainer verwendete Material Nitinol© ist einem Eigenlabor nicht zugänglich und das Eigenlabor verfügt nicht über einen Herstellungsprozess, der diese Präzisionsausformung zulässt. Eine Einordnung als Sondermaterial im Sinne der vorgenannten Bestimmung drängt sich somit auf. Damit ist der Weg in eine Mehrkostenvereinbarung im Sinne der vorbenannten Bestimmung eröffnet, und der Kieferorthopäde und sein Patient können durch eine vor dem Behandlungsbeginn getroffene schriftliche Vereinbarung die diesbezügliche Erstattungspflicht des Kostenträgers auslösen.

Es bietet sich insofern folgende Formulierung der schriftlichen Vereinbarung an: „Mehrkostenvereinbarung nach Vorbem. G. Nr. 2 vor GOZ 6000/Statt der Verwendung von Standardmaterialien soll vorliegend – darüber hinausgehend – der festsitzende MEMOTAIN®-Lingualretainer aus Nitinol© zum Einsatz gelangen. Die Kosten hierfür belaufen sich auf MEMOTAIN®-EUR abzüglich der Kosten Standardmaterial-EUR. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine Erstattung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht oder nicht in vollem Umfang gewährleistet ist./Unterschriften“. Zur adhäsiven Befestigung des MEMOTAIN®-Retainers werden hochgefüllte oder niedriggefüllte Komposite auf utraschallgereinigten, trockenen Zahnflächen verwendet.

Die fachärztliche Einbringung des festsitzenden Lingualretainers ist spätestens seit der Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer und der Landeszahnärztekammern aus dem Oktober 2013 in gesicherter Weise abrechenbar, wobei sich alternativ die Abrechnung über 6100a GOZ anbietet oder über die Position 2698a der Gebührenordnung für Ärzte GOÄ. Durch diese Stellungnahme wurde klargestellt, dass der Einwand mancher Kostenträger, dass die Hervorhebung in der Leistungslegende „die Maßnahmen der Planposition 6030 bis 6050 GOZ umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und auch der Retention“ (so GOZ 2012), nicht durchgreift: Denn nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen der GOZ-Reform 2012 habe hiermit lediglich klargestellt werden sollen, dass durch die Retainereingliederung im Rahmen der Retentionsbehandlung nicht erneut eine Kernposition ausgelöst werde, sondern dass in diesem Fall die Position 6100a GOZ oder 2698a GOÄ isoliert (unter Verzicht auf eine erneute Ansetzung einer Kernposition) zur Abrechnung gelangen solle. Dieser Standpunkt wurde bestätigt durch den Beschluss der Zahnärztekammer Nordrhein im Zahnärzteblatt 2012, Seite 364, und das Urteil des Amtsgerichtes Düsseldorf vom 02.10.2013, 37 C 11379/10, Seite 10 unten, aus Anlass einer Alignerbehandlung. In dieser Entscheidung wird die – wirtschaftlich günstigere – zweimalige Abrechnung der Pos. 2698a GOÄ für den Lingualretainer abgelehnt und stattdessen Pos. 6100a GOZ je Klebestelle angewendet.

Die sachverständig beratene Stiftung Warentest empfiehlt in ihrem Ratgeber zur Kieferorthopädie angesichts einer Haltedauer von bis zu 15 Jahren die Verwendung von festsitzenden Adhäsivretainern, deren Befestigung über Pos. 2197 GOZ abgerechnet werden kann. Da der Tatbestand dieser Leistungslegende selbst durch den Zusatz „etc.“ offen gestaltet wurde, kommt es auch nicht darauf an, ob das Kleben eines Retainers nach Schwierigkeit, Prozedere und Fehlerfolgenrelevanz mit der adhäsiven Befestigung eines Brackets vergleichbar ist oder nicht. Es erweist sich somit die Einbringung des MEMOTAIN®-Retainers durch den Kieferorthopäden als medizinisch notwendig, sodass auch die diagnostischen Vorbereitungsmaßnahmen, die hierauf abzielen, insbesondere das diesbezügliche Einscannen der Zahninnenseiten nach Pos. 0065 GOZ, erstattungsfähig sind. Die Renitenz der Rezidive mag Schicksal sein, der MEMOTAIN®-Retainer der Ausweg hieraus. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen“ (Albert Camus, 1913– 1960).

Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten 11/17 erschienen.

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