Psychologie 28.02.2011
Ein Spiel mit den kindlichen Entwicklungsphasen
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Zahnärzte spezialisieren sich zunehmend auf bestimmte Behandlungsschwerpunkte und Zielgruppen. Die einen bieten vielleicht überwiegend Implantologie oder Zahnästhetik an, die anderen behandeln bevorzugt Angstpatienten. Man konzentriert sich dabei beispielsweise auf ältere Patienten, Jugendliche oder Kinder.
Im Rahmen eines stimmigen Marketings ist es durchaus notwendig, sich seiner Stärken und Schwächen bewusst zu sein und das Praxisprofil auf die Stärken hin auszurichten. Kontraproduktiv ist es jedoch, eine Zielgruppe anzusprechen ohne sich der psychologischen Bedürfnisse der Patienten bewusst zu sein. Das fachliche Wissen alleine reicht hier bei Weitem nicht aus. Schauen wir uns das am Beispiel der Kinderzahnheilkunde an.
Die medizinische Notwendigkeit eines gesunden Milchzahngebisses ist unumstritten. Die Kinder leiden unter Schmerzen, Zahnlücken gefährden sowohl das korrekte Wachstum der Folgezähne als auch die Sprachentwicklung. Hänseleien als Folge von „schwarzen Stummeln“ beeinträchtigen die psychosoziale Entwicklung und Karies kann die Gesundheit des gesamten Organismus in Mitleidenschaft ziehen. Kinderzahnärzte legen somit Grundsteine für die psychische und physische Entwicklung des Kindes.
Die Behandlung von Kindern dauert länger als die Behandlung von Erwachsenen. Als Zahnarzt wird man nicht nur mit den Kindern an sich konfrontiert, sondern auch mit den Eltern. Ein Erwachsener mag noch vom Verstand her einsehen, dass die Behandlung notwendig ist und öffnet trotz Schmerzen oder Ängsten den Mund. Ein Kind denkt gar nicht daran: Es zeigt Verhaltensweisen, die den Zahnarzt an den Rand des Wahnsinns treiben können. Sie springen auf, rennen weg, verstecken sich, machen den Mund partout nicht auf, spielen, weinen, plappern unaufhörlich, klammern sich an die Eltern – die Möglichkeiten sind unendlich. Letztendlich muss jeder Zahnarzt für sich einen Weg finden, mit solchen Verhaltensweisen umzugehen. Hilfreich ist es hierbei, sich der Entwicklungsphasen und dem altersabhängigen Spieltrieb von Kindern bewusst zu sein.
Entwicklungsphase 0 bis 2 Jahre
Bis zum Alter von circa zwei Jahren spielen Kinder mit Dingen, die sie in die Hand und in den Mund nehmen. Sie schärfen dabei ihre Sinne und erfahren durch die bloße Beschäftigung mit dem Gegenstand schon Freude. Mit drei Monaten wird noch alles in den Mund genommen, dann wird es zunehmend spannend, die Dinge zu betasten und zu betrachten. Kleinkindern reicht es also vollkommen, wenn sie die Praxis einmal „begreifen“ dürfen, sie brauchen kein großartiges Spielangebot. Lassen Sie es unterschiedliche Materialien wie Handtücher, Tücher, einen Knautschball oder einen (Spielzeug-)Bohrer anschauen und befühlen. Geben Sie die Gegenstände in die Hand, reiben Sie dem Baby damit übers Gesicht. Mehr muss gar nicht passieren, um Ihren kleinen Patienten glücklich zu machen. Mit jeder groß angelegten Spaßaktion überfordern Sie das Kind, denn es möchte sich auf eine Sache konzentrieren. Es lernt durch diese Beschäftigungen die Zahnarztpraxis als interessanten und freundlichen Ort kennen, wobei alle Eindrücke dauerhaft und unbewusst abgespeichert werden. Ein Kleinkind, das in der Zahnarztpraxis in den ersten Jahren genügend positive Erfahrungen sammeln konnte, wird später bei dem Geruch der Praxis und dem Anblick des Zahnarztes bestimmt nicht erschrecken.
Entwicklungsphase 2 bis 3 Jahre
Ab zwei Jahren macht es den Kindern zunehmend Spaß zu konstruieren. Sie möchten etwas zusammenbauen, das ein bestimmtes Ziel hat. Sie bauen gerne aus Zahnputzbechern eine Pyramide oder platzieren Knetzähne auf einen vorgezeichneten Kiefer. Zeigen Sie dem Kind, wie der Behandlungsstuhl hoch und runter fährt – notfalls vermitteln Sie, dass das nur dann funktioniert, wenn sich das Kind auf dem Stuhl befindet und der Mund offen ist. Der Zahnarzt wird in dieser Phase verstärkt mit Fragen bombardiert und kann die Neugierde nutzen, um Zahnpflege spannend zu vermitteln. In keiner anderen Phase ist das Kind so stark an allem interessiert, was man ihm erklärt. Nutzen Sie als Zahnarzt auch die Tendenz des Kindes, alles nachzuahmen.
Machen Sie selbst vor, wie Sie auf dem Stuhl liegen. Zeigen Sie an einer Handpuppe, was das Kind nachmachen soll. Das Kind schlüpft noch nicht in die Rolle des Zahnarztes oder der Handpuppe, es macht einfach alles nach – und hinterfragt dadurch auch noch nicht. Fingerspiele und Reime sind ebenso beliebt. Überlegen Sie sich zu jeder Tätigkeit einen Reim, z.B.: „Erst klettern wir am Ohr hinauf und schauen in die Augen rein, dann rutschen wir die Nase runter und gucken in den Mund hinein.“
Entwicklungsphase 3 bis 6 Jahre
Ab drei bis vier Jahren schlüpfen Kinder gerne in andere Rollen. Schauen Sie sich um, ob Sie nicht ein Bild von „Benjamin Blümchen“ oder „Bob der Baumeister“ beim Zahnarzt auftreiben können. Superman, Barbie, Power Ranger und Pokémons müssen auch im Repertoire vorhanden sein. Der Behandlungsstuhl wird zum Bagger, Raumschiff, Pferd oder Transformer. Die Möglichkeiten der Praxis sind unbegrenzt. Wo kann ein Kind solche tollen Gegenstände wie Bohrer, bewegte Stühle, Wasserspritzpistole mit Turbofunktion oder Vergrößerungsbrillen nutzen?
Entwicklungsphase ab 6 Jahren
Ab circa sechs bis sieben Jahre kommen Regelspiele in Mode. Erst jetzt ist es dem Kind möglich, logischen Erklärungen zur Zahnpflege zu folgen. Die Sprache ist zunehmend vorangeschritten und Zusammenhänge werden regelhaft erkannt. Erklären Sie, welchen Sinn Ihre Behandlungen haben. Stellen Sie danach ein paar Fragen in Quizform. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf: Spielen Sie „Mensch ärgere dich nicht“ und nennen Sie das Männchen, das verfolgt, „Karies“. Sobald es das vordere Männchen (genannt „Zahn“) einholt, muss Zahn wieder zurück an den Start und wird dort noch einmal gründlich geputzt. Legen Sie Jenga-Steine aufeinander als Symbol für sauber geputzte Zähne. Ziehen Sie einzelne „schmutzige“ Zähne heraus und erklären Sie, warum bei zu vielen schmutzigen Zähnen alles zusammenfällt.
Sie sehen, anhand der Beispiele hier, die Möglichkeiten der Beschäftigung mit Kindern sind unendlich. Wenn Sie es als Zahnarzt verstehen, sich in die jeweilige Entwicklungsphase und das Spielverhalten hineinzuversetzen, können Sie individuell auf den kleinen Patienten eingehen. Sie ersparen sich gut gemeinte, aber eventuell sinnlose Bemühungen um die Kooperationsbereitschaft des Kindes. Die Spezialisierung auf eine bestimmte Zielgruppe erfordert nicht nur die zahnmedizinische Weiterbildung, sondern beinhaltet auch ein Verständnis für die psychischen Bedürfnisse der Patienten. Die Kinder (und deren Eltern) werden es Ihnen danken und gerne zum „netten Zahnarzt“ gehen.