Psychologie 22.06.2012

Große Hilfe für kleine Angsthasen



Große Hilfe für kleine Angsthasen

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Bei der zahnärztlichen Behandlung der Kinder bedarf es an Engagement und Einfühlungsvermögen. Mithilfe der Zahnfee und des Zahnritters (www.unsere-kleine-zahnfee.de) ist uns ein zauberhafter Einstieg in die Behandlung der kleinsten Patienten gelungen. Die entzückenden Fabelwesen dienen als Leitfiguren und führen Kinder im Alter von zweieinhalb bis sieben Jahren durch die Sitzungen wie beispielsweise in der Elfenschule oder in der Putzakademie.

Im Umgang mit Kindern benötigen wir insbesondere kommunikative Fertigkeiten, die über die fachliche Expertise hinausgehen. Emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz sind bedeutsame Eckpfeiler für den Praxiserfolg und ein glückliches Kinderlächeln. Diese „weichen“ Fertigkeiten werden als Soft Skills bezeichnet. Sie beschreiben persönliche Fähigkeiten und Einstellungen, die das Verhalten der kleinen Patienten positiv beeinflussen. Jedes Kind hat Stärken und
unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale, die es zu respektieren gilt. Einige Charaktere möchte ich Ihnen vorstellen, damit (auch) Ihre kleinen Patienten die Praxis mit den Worten „ich freu’ mich schon aufs nächste Mal“ verlassen.

Die unterschiedlichsten kleinen Patienten

1. Zuckersüße Rebellen

Vor Jahren habe ich eine sehr schöne Begegnung mit einer jungen Rebellin gehabt – wahrhaftig ein Wirbelwind. Pauline, damals drei Jahre alt und das erste Mal gemeinsam mit ihren Eltern bei mir in der Behandlung. Die kleine Patientin hatte weder Lust auf ein Putztraining, geschweige denn auf eine Zahnpolitur oder Vergleichbares.  Immer wieder versuchten die Eltern das Kind zu überreden, versprachen Belohnungen und appellierten an ihre Vernunft: „Schatz, wir haben das doch zu Hause besprochen. Du musst bitte den Mund aufmachen, sonst können wir nicht sehen, ob du Löcher in den Zähnen hast. Es ist wichtig, dass wir rechtzeitig Karies entdecken, damit du keine Zahnschmerzen kriegst!“, dann mit mehr Nachdruck: „Du sollst auf uns hören, jetzt mach bitte was wir dir sagen!“ Pauline stellte sich beleidigt in die Ecke, tat und sagte nichts. Ich sehe sie heute noch vor mir stehen – die Hände in die Hüfte gestützt und fast ein wenig amüsiert über die erfolglosen Versuche ihrer Eltern.Kein Versprechen veranlasste Pauline auch nur im Ansatz zu kooperieren.

2. Brave Kinder, die am Rockzipfel hängen

Basierend auf der Theorie der Transaktionsanalyse glänzt ein angepasstes Kind (umgangssprachlich auch Elternkind genannt) durch sozial erwünschtes und vorteilhaftes Verhalten wie zum Beispiel das Einhalten von gewissen Anstandsregeln. Diese kleinen Patienten zeichnet meist ein tadelloses Auftreten bereits beim ersten Besuch einer Zahnarztpraxis aus. Bereits der dänische Gründer und Leiter des Kempler Institute of Scandinavia Jesper Juul hat herausgefunden, dass Gehorsam krank macht. Er beschreibt in seiner Arbeit, wie die Erziehung mittlerweile in einen Leistungssport ausartet und Kinder daran hindert eigene Erfahrungen machen zu können. Kinder verlernen, auf sich, auf ihr inneres ICH zu hören, weil die Eltern permanent Anweisungen geben, die es zu befolgen gilt. Kurzum die Kinder lernen zu funktionieren und unterdrücken ihre Bedürfnisse – sie passen sich an, um die Erwartungen der Eltern fehlerfrei zu erfüllen. Die Anerkennung, die sie für ihr „gutes Benehmen“ bekommen, gibt ihnen Sicherheit und das Gefühl, alles richtig zu machen. Zusammenfassend rät der Familien-therapeut Eltern zu mehr Gelassenheit in der Erziehung und zu einem Umgang auf Augenhöhe. Einige Mütter beantworten nur zu gerne Ihre Fragen, die Sie an das Kind gestellt haben. Lassen Sie das zu. Das Kind wäre eventuell verwirrt, wenn es auf einmal anders wäre und es die Fragen selbst beantworten müsse. Ist die Mutter erst einmal von Ihnen überzeugt und weiß, dass Sie ausschließlich das Beste für die Kinderzähne wollen, wird sie Ihnen freiwillig das Zepter der Verantwortung über­geben und Sie genießen ihr vollstes
Vertrauen.

3. Kleine Kinder werden zu großen Angsthasen

Ängste sind bei Kindern etwas ganz Normales: das Monster abends unter dem Bett oder die Furcht vor Hunden, wenn das Kind mal von einem ungestümen Vierbeiner umgerannt wurde. Der erste Besuch beim Zahnarzt, wenn der Schulzahnarzt vielleicht nicht kinderfreundlich war. Wie können Sie Ihren kleinen Patienten im Umgang mit der Angst unterstützen? Reden Sie den Kindern die Angst nicht aus. Selbst wenn dem Kind objektiv keine Gefahr droht (z.B. während einer schmerzfreien Kitzelpolitur). Tun Sie Ängste bitte niemals leichtfertig ab, denn für das Kind sind sie in diesem Augenblick etwas ganz Reales und auch Bedrohliches. Wird es in seiner Angst nicht ernst genommen, ist es für das Kind sehr entmutigend. Verkneifen Sie sich daher lapidare Bemerkungen wie „Unsinn, eine Zahnkur hat doch noch nie weh getan“ oder belächeln gar die Ängste ihrer kleinen Patienten.

4. Zappelphilipp und Hampelliese

Unruhe, Hyperaktivität und mangelnde Konzentration zeichnen den Zappel-philipp aus – die Ruprecht-Karls-Uni-versität in Heidelberg hat eine Studie zum Thema „Mit Bewegung gegen das Zappelphilipp-Syndrom – ADS“ publiziert. Unter der Leitung von Dr. Christina Hahn versucht man in dieser Studie mit einer Sporttherapie die Hyperaktivität in den Griff zu bekommen, mit riesigem Erfolg!

5. Engel werden zu Wüterichen

Vom Engelchen zum Satansbraten – fast jedes siebente Mädchen neigt zum exzessiven Trotzen und fast jeder vierte Junge. Jammern, nörgeln und sich wütend auf den Boden werfen – diese Reaktionen bei Kleinkin-dern bis zum dritten Lebensjahr sind normal und gehören zum Reifungsprozess dazu. Ab dem dritten Lebensjahr, wenn die Kinder ihre Handlungskompetenzen verbessern konnten, nehmen die Trotzanfälle ab. Die Kinder haben dann die Möglichkeiten, Konfliktsituationen zu bewältigen. Kleinkinder lernen ab dem 15. Lebensmonat, mit Gefühlen wie Wut und Enttäuschung umzugehen. Die Kinderpsychoanalytikerin Selma Freiberg schreibt: „Trotz ist eine Unabhängigkeitserklärung der Kinder an die Eltern, ein wichtiger Akt der Selbstwerdung und keine Verschwörung gegen die Regierung der Eltern.“ Es ist wichtig, dem Kind das Gefühl zu vermitteln: „Wir mögen dich auch, wenn du zornig bist.“ Nur was tun wir in der Prophylaxe, wenn der kindliche Eigenwille so groß ist, dass dieser im Emotionschaos endet?m Jedes Kind ist einzigartig und etwas ganz Besonderes. Astrid Lindgren hat einmal gesagt, dass man Kindern besonders viel Zuneigung zeigen sollte, wenn man gerade mit ihnen schimpfen möchte. In der Zahnarztpraxis möchte man auch manchmal offen und gerade heraus seine Meinung sagen, und des-halb ist es hilfreich, etwas über die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale zu wissen, um Kinder mit mehr Einfühlungsvermögen zu Engagement zu motivieren.


Einfache Tipps für den Praxisalltag

Tipps für Rebellen, unruhige, ängstliche und trotzige Kinder

Um eine persönliche Basis aufbauen zu können, bitten Sie die Eltern freundlich, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Beginnen Sie mit kleinen Komplimenten das Kennenlerngespräch. Ein Kompliment wird in diesem Fall dazu genutzt, um bei dem kleinen Patienten aufgrund von positiven Bemerkungen ein Wohlwollen zu erwecken. Um den verbalen Einstieg zu erleichtern, kann die Mutter im Vorfeld das Formular „Was mein Kind mag und nicht mag“ ausfüllen. Somit können Sie zum Beispiel bei der Frage nach der  Lieblingsfreizeitbeschäftigung sofort anknüpfen und signalisieren ehrliches Interesse. Rebellen wollen überzeugt und nicht überredet werden. Aus der beginnenden Sympathie resultiert dann das kindliche Vertrauen, welches Sie benötigen, um weitere Schritte im Kampf gegen die Karies gehen zu können. Ich rate den Eltern von Belohnungen ab. Belohnungen, die sich das Kind sehr wünscht, können Kinder unter Druck setzen. Es werden keine Geschenke versprochen! Es soll ein schöner (erster) Zahnarztbesuch werden und für schöne Besuche werden die Kinder bei anderen Aktivitäten sicherlich auch nicht belohnt.

Tipps für Elternkinder

Gerne werden Kinder ab dem vierten Lebensjahr, vor zahnärztlichen Behandlungen, von der Mutter getrennt. Diese besondere Mutter-Kind-Beziehung muss unbedingt eingehalten werden, denn Ihr kleiner Patient kennt es bereits aus anderen Alltagssituationen nicht anders. mManchmal kommt es vor, dass sich das angepasste Kind nur gemeinsam mit der Mutter auf den Behandlungsstuhl setzen mag – respektieren Sie bitte auch diese Komfortzone! Das Einhalten der „Komfortzone Eltern“ ist hierbei die Grundvoraussetzung für jede Behandlung. Komfortzone ist der Sammelbegriff für einen individuellen Ort, an dem sich der Einzelne wohlfühlt. Hier ist alles bekannt, hier wurden gute, Sicherheit spendende Erfahrungen gemacht. Hier ist die Welt gewohnt und in Ordnung. Sobald wir dazu ansetzen, unseren „Wohlfühlbereich“ zu verlassen, kommt Stress auf. Ganz automatisch reagiert unser Unterbewusstsein mit einer Rückzugsstrategie. Wenn Sie das angepasste Kind motivieren wollen, dann appellieren Sie an die Mütter. Viel Lob, positiv formulierter Tadel! Wie sollen Sie positiv tadeln? Wie kann eine Kritik formuliert werden, damit sie (fast) wie ein Kompliment klingt? mUm einen Menschen für Kritik zu öffnen, ohne dass dieser sich in Rechtfertigung flüchtet, ist es wichtig etwas Positives zu benennen: „Es ist großartig, wie du deine Kauflächen putzt! Ich habe einen Tipp für dich, damit auch deine Zahnhälse toll sauber werden.“ Sie öffnen somit den Patienten für Ihr Feedback.

Tipps für ängstliche Kinder

– Sprechen Sie über die Ängste: Das Kind sollte wissen, dass jeder Mensch manchmal Angst hat und dass das sogar sinnvoll ist, weil sie vor Gefahren warnen kann. Auch Erwachsene fürchten sich manchmal. Oft hilft es Ihrem Kind, wenn Sie von früher erzählen, z. B. wovor Sie sich gefürchtet haben und was Ihnen in solch einer Situation geholfen hat.
– Rituale schaffen Vertrauen: Sie können wie eine Beschwörungsformel oder einen Zauberspruch Bedroh­liches bannen. Singen Sie z.B. mit dem Kind zusammen ein Lied, wenn es Angst hat, oder lassen Sie die Angst mit einem Zauber verschwinden – Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
– Desensibilisierungshilfe: Elfenschule: Oft begleiten unsere kleinsten Angsthasen die Eltern zum Zahnarzt und gehen dann in die Elfenschule. Dort können sie Fahrstuhl fahren, Papierraketen mithilfe der Mehrfunktionsspritze steigen lassen und Ballons aus Handschuhen machen. Anschließend werden sie zu Zahnelfen ernannt und erhalten einen Elfenpass, der ihren Namen trägt.
– Kleiner Helfer aus der Natur: Bachblüten: Bei allen akuten Angsterlebnissen geben Sie Rescue Remedy (Mittel für den Notfall, in verschiedenen Zubereitungen erhältlich). Von den Notfalltropfen können Sie dem Kind ein bis zwei Tropfen direkt aus dem Fläschchen in den Mund träufeln (am besten unter die Zunge), oder Sie geben zwei bis vier Tropfen in ein Glas Leitungswasser, das Ihr Kind schluckweise innerhalb von fünf bis zehn Minuten austrinkt. Falls Sie die Bachblüten als Globuli geben, gilt folgende Dosierung: Pro Bachblüte erhält Ihr Kind viermal ein Kügelchen täglich (nicht mehr als fünf verschiedene Blüten gleichzeitig).

Tipps für ängstliche und unruhige Kinder

In der zahnärztlichen Behandlung kann man mit Ablenkung, zum Beispiel durch einen Spielzeugsack oder Traumreisen, auf Trab gehalten werden. Versuchen Sie die Behandlungen interaktiv zu gestalten. Bei einer Traumreise (Fantasiereise) begibt man sich auf eine gedankliche Reise, bei der man den Traumreisepassagier bewusst in eine gute Situation bringt.
Die Geschichte kann selbst erfunden werden und Mut machende Elemente beinhalten. Damit Ihr kleiner Patient offen für eine gedankliche Bilderwelt ist, schaffen Sie eine Wohlfühlatmosphäre. Das kann ein warmes Kirschkernkissen auf dem Bauch, klassische Musik, ein Wohlfühlgeruch oder ein einfaches Händchenhalten sein. Hedy Lötscher-Gugler empfiehlt in ihrem Buch „Lernen mit Zauberkraft“ folgende Struktur:

– Die Heldin der Geschichte ist …
Die Figur beschreiben: Alter, Persönlichkeit. Selbstverständlich darf es auch ein Held sein. Die Zuhörer dürfen wählen.

– Sie lebt …
Ort beschreiben

– Sie liebt es …
Hobby, Lieblingstätigkeit

– Sie macht sich auf den Weg, um etwas zu entdecken …
Die Geschichte lenkt den kleinen Patienten ab

– Sie begegnet …
Feen, Ritter, Elfen

– Danach verändert sich …
ein Gefühl, ein Denkmuster

Das Kind darf die Inhalte frei wählen. Stellen Sie dem kleinen Patienten verschiedene Ideen vor, zum Beispiel eine Reise in den Feenwald oder zu den Zauberwolken. Traumreisen können auch für ängstliche Patienten genutzt werden, um Heldenhaftigkeit hervorzurufen. Unruhige Kinder werden auf an-dere Gedanken gebracht und werden von Ihrer Kreativität fasziniert sein.

Tipps für Trotzköpfe und unruhige Kinder

– Gelassenheit und Humor: Experten raten, die Trotzanfälle der Kinder mit Humor und einem Lächeln zu nehmen. „Gute Ideen und Humor kön-nen manchen Trotzanfall verhindern oder den Ärger in Luft auflösen“, erklärt die Buchautorin Sabine Bohlmann in ihrem Buch „Leben und Erziehen“. Ihre Erfahrung: „Humor lässt die kindliche Wut ins Leere laufen.“
– Spielregeln als Stilregeln: Vor eini-gen Jahren hatte ich eine sehr interessante Begegnung mit einem Wüterich, sein Name ist Finn und er war damals drei Jahre alt. Finn kam mit seiner Mutter zum Termin – es dauerte nicht lange bis er mir mit viel Temperament klar machte, dass er nichts von mir und meiner Putzschule hielt, er trat mir gegen mein Schienbein und spuckte mich an. Nach kurzer Besinnungszeit erzählte ich seiner Mutter davon. „Das macht
er immer, wenn er keine Lust auf etwas hat“, war ihre Antwort. Ich war sprachlos. In so einem Fall ist es hilfreich Spielregeln festzulegen, damit dies kein zweites Mal passiert.

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