Psychologie 12.10.2015

Patienten mit Gefolgschaft – abhängige Persönlichkeit



Patienten mit Gefolgschaft – abhängige Persönlichkeit

Foto: © Andrey Popov – Fotolia

An dieser Stelle können Leser der langjährigen ZWP-Autorin und Expertin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie stellen – in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst. Die Fragen und Antworten finden Sie hier redaktionell aufbereitet wieder. Dieses Mal geht es um Patienten, die nicht alleine zur Zahnbehandlung erscheinen können.

Anfrage: Selten, aber doch sehr störend, haben wir Patienten, die nicht alleine zur Zahnbehandlung erscheinen. Bei einigen ist es sicherlich Angst, doch diese haben meist nur eine Person dabei, die üblicherweise wirklich einen beruhigenden und unterstützenden Einfluss hat. Andere wiederum bringen die halbe Familie mit oder mehrere Bezugspersonen, deren Meinungen in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Der Patient selbst wirkt hilflos und wagt nicht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Meist ist es dann nicht möglich, zu einer – für den Patienten zufriedenstellenden – Behandlungsplanung zu kommen. Ganz abgesehen von der unbefriedigenden Behandlungssituation toben die Kinder in der Praxis umher und der Rest der Mannschaft fällt auch eher unangenehm auf. Wie können wir an dieser Stelle vorgehen?

Die von Ihnen beschriebenen Patienten scheinen bezüglich der Zahnbehandlung – und wahrscheinlich auch im restlichen Leben – eine abhängige Persönlichkeitsakzentuierung in mehr oder wenig starker Ausprägung zu haben. Im Extrem lässt sich dies an folgenden Merkmalen beobachten: Es besteht eine Neigung, sich bei kleinen bis großen Lebensentscheidungen passiv auf andere Menschen zu verlassen. Es entstehen Gefühle der Trennungsangst und Hilflosigkeit. Den Wünschen anderer wird sich üblicherweise untergeordnet und das tägliche Leben birgt eine große Anzahl an scheinbar unüberwindbaren Hindernissen. Die Verantwortung für Entscheidungen wird normalerweise gern abgegeben. Das Verhalten hat sich über viele Jahre hinweg entwickelt und wird durch das soziale Netz unterstützt, da die Familie mitkommt und sich in Ihrer Praxis im Sinne eines Erlebnisausflugs wohlzufühlen scheint. Die Ursache für eine abhängige Persönlichkeitsentwicklung ist, wie so viele psychische Auffälligkeiten, weit in der Kindheit zu finden. Möglicherweise wurde dem Kind jegliche Kompetenz abgesprochen, vielleicht hatte es übermächtige Eltern, die keine eigene Meinung zuließen. Es gibt unzählige Einflussfaktoren, die abhängiges Verhalten beeinflussen können. Da es sich um eine lange Entwicklung handelt, bedeutet dies unter anderem, dass Sie als Zahnarzt daran heute wenig ändern können. Gut gemeinte Ratschläge, Hinweise, Regeln und Kopfschütteln können nicht die zurückliegenden Ereignisse ändern oder löschen.

Regeln für die Begleiter/-innen

Was Sie wahrscheinlich eher bewerkstelligen können, sind klare Regeln für den Rest der Gefolgschaft. Wer sich innerhalb der Praxis daneben benimmt und kein Patient ist, muss die Praxis verlassen. Das sieht auf den ersten Blick hart aus, aber ein konsequentes Vertreten Ihrer Praxiswerte bedeutet auch, in unangenehmen Situationen für diese einzustehen. Mittel- bis langfristig werden Sie sich damit wohler fühlen. Kinder können beispielsweise im Wartezimmer sitzen oder spielen; wenn nicht, dürfen sie gern mit einem Familienmitglied einen Spaziergang machen. Bei der Festlegung auf einen Behandlungsplan dürfen maximal ein bis drei Personen ihre Meinung sagen – je nachdem, wie viele Meinungen Sie zulassen können. Verdeutlichen Sie, dass Sie für die Zahngesundheit zuständig sind und dass Sie diese nur gewährleisten können, wenn Sie die Übersicht behalten und den Verlauf strukturieren. Sollten Sie sich unwohl fühlen, diese Worte so deutlich zu vermitteln, machen Sie sich bewusst, dass die „Mannschaft“ sicherlich nicht zum ersten Mal damit konfrontiert wird.

Umgang mit dem Patienten

Bezogen auf Ihren Patienten sollten Sie wie gewohnt zugewandt und möglichst wertneutral sein. Sobald Sie Gereiztheit oder Unlust bei dieser Person zeigen, wird der Patient noch stärker verunsichert, was den Teufelskreis aus Unsicherheit – Bedürfnis nach Zuspruch durch Familie – tobende Rasselbande – blanke Nerven wieder in Gang setzen würde. Ihr Patient würde sicherlich gern selbstsicher und entscheidungsfreudig auftreten, es ist ihm aber nicht möglich. Zusätzlich zu seiner abhängigen Persönlichkeit kommt noch hinzu, dass einem Besuch in der Zahnarztpraxis selten mit Freude entgegengesehen wird. Wahrscheinlich empfindet der Patient über seine übliche Unsicherheit hinaus noch Emotionen wie Angst oder Stress. Sobald ein Mensch auf diese Gefühle stößt, zeigt sich sein „wahres Gesicht“ noch deutlicher als sonst – an dieser Stelle verfällt er womöglich noch mehr in Abhängigkeitsstrukturen und Hilflosigkeit. Wenn es Ihnen möglich ist, dem Patienten auch nur stückweise das Gefühl vermitteln können, dass er an seinen Entscheidungen selbst beteiligt ist, haben Sie ihm schon weit mehr geholfen als „nur“ bei der Zahngesundheit.

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