Psychologie 10.07.2015
Stress in der Zahnarztpraxis – Ungeduldige Patienten
share
Die langjährige ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel beantwortet regelmäßig Leserfragen im Bereich Psychologie. Diesmal geht es darum, wie mit ungeduldigen Patienten umgegangen werden kann. Psychologin Dr. Lea Höfel antwortet.
Anfrage: Ich arbeite seit zwei Jahrzehnten nach dem Motto „Was gut werden soll, braucht Zeit“. Mir kommt es vor, als ob die Patienten früher noch mehr Zeit mitgebracht haben und heutzutage alles sehr schnell erledigt haben möchten. So vergleichen sie beispielsweise meinen Ansatz, sich in der Implantologie Zeit zu lassen, mit der neuesten Werbung, dass rundum neue Zähne in drei Terminen erlangt werden können. Ein anderes Beispiel ist die Wurzelspitzenbehandlung, die am liebsten in zehn Minuten erfolgreich erledigt sein sollte. Wie kann ich dem Zeitdruck entgehen, unter den ich mich durch die Patienten gesetzt fühle? Wie kann ich die Zweifel reduzieren, die mich zugegebenermaßen manchmal beschleichen?
In Ihrer Anfrage schwingen zwei Fragen mit. Einerseits geht es darum, wie Sie Ihren Patienten erläutern können, dass eine gute Behandlung Zeit braucht. Wichtig erscheint auch der Aspekt, wie Sie es erreichen können, dass Sie sich persönlich mit den ungeduldigen Forderungen wohlfühlen. Heutzutage ist vieles schnelllebiger als zu Beginn Ihrer Behandlungszeit. Schon kleine Kinder wachsen damit auf, dass Daten jederzeit und überall in Sekundenschnelle verfügbar sind. Ein Produkt, das auf den Markt kommt, ist eigentlich in dem Moment schon veraltet. Ziele, die Zeit brauchen, sind tendenziell unattraktiv. Fast jeder zweite Arbeitnehmer gibt an, unter Zeitdruck zu arbeiten – kein Wunder, dass er dies an den Zahnarzt weitergibt.
Hinzu kommt, dass es genügend Werbung gibt, die verspricht, Implantate innerhalb weniger Tage oder in zwei Terminen festsitzend zu realisieren, am besten noch in Vollnarkose, damit der Patient vollkommen das Zeitgefühl verliert. Wurzelspitzenbehandlungen wirken dagegen wie aus der Steinzeit, besonders, wenn sie auch noch Zeit und Geduld erfordern.
Vermittlung
Ohne nun eine Methode besser als die andere darzustellen, ist Ihnen die gemäßigte und vertraute Herangehensweise, mit der Sie gute Erfahrungen gesammelt haben, lieber als die „Turbovariante“. Setzen Sie im Gespräch mit den Patienten auf Ihre Erfolgs- und Erfahrungswerte. Vermitteln Sie anhand von Zahlen, wie vielen Patienten Sie im Durchschnitt mit Ihrer Methode schon haben helfen und wie viele Zähne Sie haben erhalten können. Es ist auch durchaus denkbar, den Patienten vor Augen zu führen, dass sie aus ihrem schnelllebigen Alltag heraus auf die Zahnbehandlung schließen. Gesunde Zähne sind nicht mit der Prime-Bestellung im Versandhandel zu vergleichen. Vielleicht möchten Sie auch damit beginnen, zufriedene Patienten nach Rückmeldungen zu fragen, die Sie sammeln und vorzeigen dürfen. Was Sie brauchen, ist ein Gegenpol zu der Werbemaschinerie, die außerhalb Ihrer Praxis auf die Patienten einstürmt. Zudem hat es an sich jeder Patient gern, wenn man sich Zeit für ihn nimmt. Das mag an erster Stelle konträr zur ungeduldigen Forderung stehen. Verdeutlichen Sie Ihren Patienten, dass Sie es für wichtig halten, jeden Patienten individuell und ausführlich zu beraten und zu behandeln. Vermitteln Sie, dass es Ihnen nicht darum geht, möglichst schnell und dadurch eventuell unpersönlich die Behandlung abzuhaken. Ihre Arbeit steht für Zeit, Zuwendung, Individualität und Sorgfalt. Wer ist der Experte bei Zahnbehandlungen, Sie oder der Patient?
Selbstfürsorge
Für Sie selbst und Ihren entspannten Umgang mit ungeduldigen Patienten sind die oben genannten Fakten ebenfalls hilfreich. Führen Sie sich selbst vor Augen, dass Sie mit Ihrer Arbeitsweise bisher gute Leistungen erzielt haben und Ihre Patienten damit zufrieden sind. Was ist es, was Sie zweifeln lässt? Wirklich die Forderungen der ungeduldigen Patienten oder vergleichen Sie sich selbst mit Kollegen? Üblicherweise ist der sicherste Weg zur Unzufriedenheit der Vergleich. Schneller ist nicht unbedingt besser und neuer ist nicht immer optimal. Wenn Sie eine Liste mit positiven und negativen Aspekten Ihrer Arbeitsweise erstellen, stehen dann nicht auf der positiven Seite mehr Punkte? Wenn Sie Ihre Patienten aus den letzten zwei Jahrzehnten Revue passieren lassen, gibt es nicht mehr Erfolgs- als Misserfolgsgeschichten? Wenn Sie sich Ihre Arbeitsweise in Zukunft als schneller oder langsamer vorstellen, fühlen Sie sich dann nicht mit der letztgenannten wohler? In erster Linie geht es darum, dass Sie sich mit Ihrer Arbeit identifizieren können. In Ihrem Fall ist dies „Was gut werden soll, braucht Zeit“ – und das hat sich über Jahre bewährt. Es gibt genügend Patienten, die derselben Ansicht sind. Konzentrieren Sie sich auf diese – und die ungeduldigen Patienten können Sie möglicherweise sogar dabei unterstützen, ihren Alltag ein wenig zu entschleunigen.