Psychologie 21.08.2017

Sucht zieht Kreise: Hilfe für Angehörige von Suchterkrankten



Sucht zieht Kreise: Hilfe für Angehörige von Suchterkrankten

Foto: weavebreakmedia – Shutterstock.com

Teil 3 der Artikelreihe „Suchterkrankung bei Zahnärzten“

Überfordert, machtlos, alleingelassen. So fühlen sich viele Angehörige von Suchtkranken. Sie sind Umständen ausgeliefert, die sie in vielen Fällen weder verstehen noch ver­ursacht haben, und finden weder angemessene Unterstützung noch klare Verhaltensvorgaben. Die Kompetenz der verfügbaren Informationsquellen wie Zeitungen oder das Internet kann oftmals nicht überprüft werden, vor allem können Hilfs­angebote für Angehörige nicht pauschalisiert werden. Da ihre Rolle im Suchtkontext darüber hinaus sehr undifferenziert bewertet wird, fehlt es vor allem an individueller Betreuung von Angehörigen.

Es ist bekannt, dass die Angehörigen Suchtkranker durch die Suchterkrankung häufig stark beeinträchtigt sind und überdurchschnittlich häufig an stressbedingten Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten und psycho­so­matischen Störungen leiden. Gerade deshalb muss man auf ihre Situation ebenso individuell eingehen wie auf die der Suchtkranken selbst. Wo Suchtkranke unterschiedliche Hilfsangebote in Anspruch nehmen können, suchen ihre Partner, Eltern, Kinder bisher oft vergeblich Hilfe und Unterstützung.

Praktische Lebenshilfe für Betroffene ist aus den genannten Gründen schwie­rig. Das meist irrationale Verhalten der Suchtkranken ist für Angehörige nicht oder nur schwer nachvollziehbar. In vielen Fällen haben die Suchtkranken in ihrem Leben bereits viel erreicht – und scheitern dann an ihrer Sucht. Sie verlieren die Kontrolle über ihr Leben und reißen die Angehörigen mit in diesen Strudel. Während ein Teil der Betroffenen eher aggressiver, launischer, hektischer und ungeduldiger wird, ziehen sich andere eher zurück, nehmen kaum noch am Familienleben teil und sind für Ge­spräche oder gar Aktivitäten nicht mehr zu gewinnen. Es ist dann kaum möglich, mit dem Betroffenen überhaupt noch in Kontakt zu treten. Häufig schildern Angehörige, dass sie ihre Partner kaum noch wiedererkannt hätten. Von den Versuchen, auf diese geduldig einzugehen, über Angst, etwas Falsches zu sagen, Aggression gegen den Partner bis hin zur Resig­nation kann jedes Verhalten eine direkte Folge der Sucht des Partners sein. Die daraus resultierenden Veränderungen führen auch bei den Angehörigen zu großen Belastungen. Im Vordergrund steht meist die Verzweiflung, Hilflosigkeit und Ohnmacht, an der Situation nichts ändern zu können. Auch das Gefühl, die Substanz sei dem Partner oder Elternteil wichtiger als man selbst, wirkt sich traumatisierend auf das Beziehungsgefüge aus. Es folgen Ver­sprechungen der Betroffenen, mit der Substanz aufzuhören, die meist nicht gehalten werden können, was zu zunehmendem Vertrauensverlust führt. Oftmals ist die Situation so belastend, dass sich die Angehörigen selbst einer Selbsthilfegruppe oder Psychotherapie unterziehen. Bei den Versuchen, den Betroffenen zu unterstützen und ihn insbesondere zu einem Entzug zu mo­tivieren, geraten die eigenen Bedürfnisse häufig in den Hintergrund. Part­ner wie Kinder verzweifeln an den erfolg­losen Versuchen, die Folgen der Krankheit dem Betroffenen vor Augen zu führen.

Der Alltag im familiären Umfeld eines Suchtkranken wird bereits von der beginnenden Abhängigkeit beeinträchtigt und sehr schnell davon dominiert. Der Alkohol- oder Medikamentenkonsum findet meist heimlich statt, nicht sel­ten finden Familienangehörige oder Freunde leere Flaschen in Verstecken oder auch Flaschen, die mit anderen Flüssigkeiten aufgefüllt wurden, um den Konsum zu kaschieren. Mediziner und Zahnmediziner haben darüber hinaus leichten Zugriff auf Medikamente, ver­fügen in der Praxis oder Klinik über zusätzliche Verstecke und das medi­zinische Hintergrundwissen, um das eigene Suchtverhalten zu decken (siehe auch Teil 1 dieser Artikelreihe). Werden die Betroffenen von ihren An­gehörigen auf den auffälligen beziehungsweise übermäßigen Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenkonsum angesprochen, reagieren sie häufig mit Abwehr oder Ausflüchten. Die Bedürfnisse der Familie geraten so immer mehr in den Hintergrund und der Respekt der Angehörigen voreinander geht oftmals verloren. Da sich der All­tag des Suchtkranken im Laufe der Zeit zunehmend um die Substanz dreht, dreht sich oft auch der Alltag der Angehörigen zunehmend darum.

In der My Way Betty Ford Klinik wird jeden Monat ein zweistündiges Semi­nar angeboten, in dem die Angehö­rigen über Suchterkrankungen und ihre Auswirkungen auf körperlichem, psychischem und sozialem Gebiet aufgeklärt werden. Desgleichen können sie hier erfahren, wie die Behandlung der Suchterkrankungen sowohl stationär als auch ambulant erfolgt. Auch über eigenes hilfreiches Verhalten werden sie informiert. Die Empfehlungen be­inhalten einerseits Selbstschutz und Selbstfürsorge, andererseits Möglichkeiten zur Unterstützung des an Sucht erkrankten Gegenübers. Außerdem besteht in diesen Angehörigenseminaren die Möglichkeit, sich untereinander im Sinne eines Erfahrungslernens sowohl kognitiv als auch emotional auszutauschen. Daneben bietet die Betty Ford Klinik natürlich auch die Möglichkeit eines Angehörigengesprächs. Dabei überrascht es sehr, dass, angesichts des großen Informations- und Beratungsbedarfs, den auch Angehörige haben, doch nur ein Teil der Patienten von dieser Option Gebrauch macht. Häufig sind es allerdings die Patienten selbst, die das Einbeziehen ihrer Partner oder ihrer Fa­milie abblocken. Die Verhaltenstipps der Therapeuten der Betty Ford Klinik beziehen sich sowohl auf den Um­gang mit den Abhängigen vor und nach einer Suchttherapie als auch auf Empfehlungen für die Angehörigen selbst. Grundsätzlich gilt, dass ein Abhängiger nicht zum Entzug gezwun­gen werden kann. Viele Suchtkranke haben kein Krankheitsverständnis, unterschätzen also ihren Zustand beziehungsweise überschätzen ihre eigene Fähigkeit zur Abstinenz. Die Erkenntnis der Abhängigkeit sowie die Entscheidung zu einer Therapie müssen von den Betroffenen selbst ausgehen. Angehörige haben kaum eine Chance, hier Druck aufzubauen. Selbstverständlich sollten sie bei akuter Gefahr – zum Beispiel im Fall der drohenden Überdosis oder eines zu befürchten­-den Suizids – Polizei und Notarzt verständigen. Davon abgesehen bleibt ihnen jedoch höchstens der Gang zum Hausarzt oder zu einer Sucht­hilfeeinrichtung vor Ort, um sich bera­ten zu lassen.

Wichtig ist auch, nicht Verantwortung für den Betroffenen zu übernehmen und sich selbst mit den eigenen Be­dürfnissen und Wünschen nicht zu vergessen. Dies kann im Rahmen einer Therapie erfolgen oder durch die Aufnahme beziehungsweise dem Weiterführen eigener Hobbys, sozialer Kontakte et cetera. Auch wenn der Wunsch, zu helfen, unverändert groß bleibt, sollten An­gehörige für sich akzeptieren, nur bis zu einem bestimmten Punkt helfen zu können. Man sollte es nicht so weit kommen lassen, zum „hilflosen Helfer“ zu werden. Die Motivation zur Verän­derung muss letztlich vom Betroffenen selbst kommen. Das heißt nicht, dass ich meinen Partner aufgebe, es heißt nur, dass ich mich selbst nicht dabei aufgebe.

Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis – 7+8/2017 erschienen.

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