Psychologie 21.06.2017
Auf dem Weg aus der Sucht: Angst vor Schmerzen und Entzug
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Teil 2 „Suchterkrankung bei Zahnärzten“
Ein Thema, das in öffentlichen Diskursen – trotz einer scheinbar kompletten Enttabuisierung aller Bereiche unseres Lebens – nach wie vor ausgeschwiegen wird, sind suchtabhängige Zahnärzte. Warum gerade Zahnmediziner besonders gefährdet sind, an einer Sucht zu erkranken, welche Warnsignale es für Betroffene und ihr Umfeld gibt und welche Schritte aus einer Sucht herausführen – diese und weitere Fragen stehen im Zentrum der neuen ZWP-Artikelreihe. Im vorliegenden Teil geht es um die Ängste, die Betroffene entwickeln, wenn sie sich ihren Suchtproblemen stellen und professionelle Hilfe ersuchen.
„Wenn ich nicht so viel Angst vor dem Entzug gehabt hätte, wäre ich jetzt schon seit 23 Monaten trocken“, sagt Stefan Probst* (42). Damals hatte er sich zum ersten Mal in einer Suchtklinik an- und wenige Tage später wieder abgemeldet. „Da lief ein Film in meinem Kopf, Bilder vom Entzug, ich sah mich in der Klinik eingesperrt, unter Medikamente gestellt. Außerdem war ich panisch, mir könnte die Approbation entzogen und die Praxis geschlossen werden. Meine Angst ertränkte ich mit noch mehr Alkohol, es war ein verzweifelter Teufelskreis“, erinnert sich der Zahnarzt mit eigener Praxis.
In einem Vorgespräch mit einem Suchtarzt in der My Way Betty Ford Klinik bekannte er sich schließlich zu seinen Ängsten. „Hier bekam ich die Informationen, die ich brauchte, und vor allem wurden mir viele Ängste genommen“, schildert Probst seine Erfahrungen. „Ich weiß inzwischen, dass viele Betroffene Angst vor den körperlichen Symptomen haben. Wer liest in so einer Situation nicht viel im Internet oder stöbert in Foren. Für mich war das Wichtigste, zu wissen, dass ich während der Therapie dort nicht eingesperrt sein würde. Das Therapiekonzept der Klinik basiert auf der Eigenmotivation der Patienten. Nichts würde ohne mein Einverständnis geschehen und ich konnte während des Aufenthalts jederzeit die Klinik verlassen. Darüber hinaus ist die Klinik nicht zur Aufklärung verpflichtet. Ärzte und Zahnärzte genießen den Schutz der Diskretion ebenso wie alle anderen Patienten. Das zu wissen, beruhigte mich sehr. Dieses Mal trat ich die Therapie an. Seit 14 Monaten bin ich trocken.“
Teufelskreis: Angst
Stefan Probst ist kein Einzelfall. Die Therapeuten der My Way Betty Ford Klinik begegnen neben den Ängsten um die berufliche Existenz täglich auch den Ängsten vor den Schmerzen und den Begleitumständen eines Entzugs. Viele Abhängige lassen sich von ihren Ängsten abhalten, obwohl sie die Suchttherapie als einzigen Ausweg erkannt haben. Ihre Versuche, die Abhängigkeit allein zu bewältigen, sind mehrfach gescheitert und haben den letzten Rest des Selbstvertrauens mit sich genommen. Trotzdem schreckt der Gedanke, in einer Therapie eingesperrt oder unter Medikamente gesetzt zu werden, oft mehr als die tägliche Not. Die Therapeuten der My Way Betty Ford Klinik beziehen ihre Patienten von Anfang an in die Therapie mit ein.
Sowohl der Verlauf des Entzugs wird gemeinsam besprochen als auch das Tempo der Substanzreduktion. Die Ärzte greifen hier auf ihre Erfahrungswerte zurück, denn nicht selten haben Patienten zu hohe Erwartungen oder gehen aus Angst vor der Entgiftung zu zögerlich an den Entzug heran. Gerade bei Medikamentenabhängigkeit ist genau abzuwägen, wie viel der Körper aushalten kann und wie groß die einzelnen Schritte sein können.
„Zweischneidige“ Informationsquelle: Internet
Viele Abhängige, selbst medizinisch ausgebildete, fürchten sich vor den körperlichen Symptomen. Alkoholabhängige sorgen sich neben den körperlichen Symptomen besonders wegen der psychischen Auswirkungen. Bei den harten Drogen, wie zum Beispiel den Opioiden, steht die Angst vor den körperlichen Schmerzen im Vordergrund. Neben Heroin und Methadon gehören auch viele gängige Schmerzmittel zu den Opioiden, so unter anderem Tilidin, Fentanyl (auch Fentanyl-Pflaster enthalten das Opioid), Tramal und Oxycodon. Bei Benzodiazepinen werden vor allem Herzrasen und Angstzustände befürchtet. Erfahrungsberichte von extremen körperlichen Schmerzen bis hin zu drohendem psychischem Kollaps bei kaltem Entzug kursieren im Internet. Patienten glauben sehr genau zu wissen, welche Entzugssymptome ihnen bevorstehen. Doch mit den Möglichkeiten, die eine betreute Suchttherapie bereithält, um die körperlichen und psychischen Symptome einzudämmen, kennen sie sich kaum aus. Vor allem wissen sie meist nicht, dass sie im Rahmen einer Suchttherapie die Entgiftung – ob mit oder ohne begleitende Medikamente – selbst steuern können. In vielen Fällen muss wegen des Kostendrucks beispielsweise bei einer Benzodiazepin-Abhängigkeit die Dosierung schnell reduziert werden.
In der Betty Ford Klinik werden in Absprache mit den Ärzten Ziele vereinbart, die die Patienten während einer Therapie erreichen wollen – und realistischerweise erreichen können. Niemand wird gezwungen oder festgehalten. Gerade an der Betty Ford Klinik ist die Eigenmotivation der Patienten ein essenzieller Faktor für das Gelingen der Therapie – und für gelingende Abstinenz mit Lebensqualität nach der Rückkehr in den Alltag. Ziel der Therapeuten ist es, für und mit ihren Patienten einen Fortschritt in Richtung Substanzfreiheit zu schaffen, der außerhalb der Klinik stabil bleibt. Nicht jeder Patient kann die jeweilige Substanz auf Anhieb – und binnen vier Wochen – komplett absetzen. In einer Therapie geht es daher auch immer um die Themen, die in die Abhängigkeit geführt haben. Im geschützten Rahmen einer Suchttherapie über diese Themen sprechen zu können, ist für die Patienten eine spürbare Erleichterung. Natürlich sind die körperliche Entgiftung und Entwöhnung wichtig. Entscheidender ist es jedoch für die Patienten, während der intensiven therapeutischen Gespräche neues Vertrauen in sich selbst und Mut für die Zukunft zu fassen.
Approbation in Gefahr
Manche Betroffene scheuen eine Suchttherapie aus der Angst heraus, ihre Abhängigkeit könnte bekannt werden. Gerade bei Zahnärzten droht im Falle einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit das Ruhen der Approbation, näher geregelt in § 5 ZHG. Es kann unter anderem dann angeordnet werden, wenn ein Zahnarzt gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben, beziehungsweise Zweifel daran bestehen und er sich weigert, sich einer amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Da es sich bei der Ruhensanordnung um eine vorläufige Maßnahme handelt, reicht in diesem Zusammenhang der konkrete Verdacht aus, sofern sich aus der Tat die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs ergeben kann und ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird oftmals das Ruhen der Approbation als milderes Mittel vor deren endgültigem Entzug angeordnet.
So wurde der Fall einer Zahnärztin bekannt, die sich gegen das Ruhen ihrer Approbation zu Wehr setzte, während sie an einer im Herbst 2009 bei einer Entwöhnungstherapie diagnostizierten Alkoholabhängigkeit litt. Zur Abwehr approbationsrechtlicher Maßnahmen vereinbarte sie mit der als Aufsichtsbehörde zuständigen Bezirksregierung im Frühjahr 2011, über einen Zeitraum von zwei Jahren, ihre Alkoholabstinenz nachzuweisen.** Nur wenige Monate nach Abschluss dieser Vereinbarung wurde sie mit mehr als zwei Promille bei einer Trunkenheitsfahrt auffällig. Ferner erschien sie zu einer vereinbarten Kontrolluntersuchung mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,89 Promille, nachdem sie sich zuvor telefonisch aus ihrer Praxis nach dem Zeitpunkt des Termins erkundigt hatte. Aufgrund dieser Vorfälle ordnete die zuständige Behörde das Ruhen der Approbation an. Die Kammer des Verwaltungsgerichts bestätigte diese Anordnung und führte aus, dass die Zahnärztin auch unter dem Druck berufsrechtlicher Maßnahmen nicht in der Lage sei, ihr Alkoholkonsumverhalten zu steuern. Aus diesem Grunde könne die Gefahr, dass sie in alkoholisiertem Zustand ihrer zahnärztlichen Tätigkeit nachgehe, nicht ausgeschlossen werden.
Anonymität gewährleistet
Da eine Abhängigkeit aus beruflichen Gründen meist heimlich verläuft und die die Approbation erteilenden Behörden von den Betroffenen nicht aktiv informiert werden, ist den Therapeuten der Betty Ford Klinik derzeit kein Fall bekannt, in dem das Ruhen der Approbation durch einen Aufenthalt abgewendet werden konnte. In der Regel melden sich die Patienten vor dieser drastischen Maßnahme zu einer Suchttherapie an.
In der Betty Ford Klinik legt man auf Diskretion größten Wert – die ärztliche Approbation macht da keinen Unterschied. Ausnahmen würden hier zum Beispiel eine richterliche Strafanordnung, ein Durchsuchungsbefehl oder Ähnliches bilden. Die Klinik bewahrt nicht nur Stillschweigen über die Identität ihrer Patienten, es ist dort auch möglich, sich während des Aufenthalts einen Alias-Namen zuzulegen.
* Name wurde von der Redaktion geändert
** Verwaltungsgericht Gelsenkirchen per Beschluss vom 16. Dezember 2011 (Az: 7 L 1274/11)
Der Artikel ist in der ZWP 6/17 erschienen.