Recht 02.05.2024
BGH urteilt: Keine zwingende Bedenkzeit vor einer Operation
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Der BGH nimmt erneut zu dem Rechtsirrtum der so genannten „24h-vorher-Aufklärungs-Pflicht“ Stellung und bleibt dabei wie seit Jahren unmissverständlich: Es gibt sie nicht!
Ein Patient kann am Tag eines ambulanten Eingriffs aufgeklärt werden und muss nicht 24 Stunden vor dem Eingriff aufgeklärt werden. Es gibt keine „Sperrfrist“, wie es vom BGH genannt wird. Weder für 24 Stunden noch für 48 Stunden oder 1 Stunde. Das hat der BGH bereits mehrfach bestätigt.
Zu den Fakten:
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 15.10.2000 (Az. VI ZR 48/99) unter Bezugnahme auf zahlreiche vorherige Entscheidungen klar formuliert: „Nach gefestigter Rechtsprechung reicht bei ambulanten Eingriffen grundsätzlich eine Aufklärung am Tag des Eingriffs aus… Das gilt nur dann nicht, wenn die Aufklärung erst so unmittelbar vor dem Eingriff erfolgt, dass der Patient unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können (z. B. Aufklärung unmittelbar vor der Tür zum Operationssaal).“
Dies hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 20.12.2022 (Az. VI ZR 380/22) noch einmal – ohne einen Auslegungsspielraum zu lassen – bestätigt und ausgeführt: „§ 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB regelt die Anforderungen an die Aufklärung des Patienten in zeitlicher Hinsicht. Nach dieser Vorschrift muss die Aufklärung so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann… Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung keine inhaltliche Änderung der Rechtslage verbunden sein, sondern lediglich die bisherige Rechtsprechung wiedergegeben werden… Im Einklang damit sieht sie keine vor der Einwilligung einzuhaltende „Sperrfrist“ vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste… Vielmehr fordert die Bestimmung eine Aufklärung, die die Möglichkeit zu einer reflektierten Entscheidung gewährleistet… Sie nimmt die bisherige Rechtsprechung auf, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann… Die Aufklärung muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Patient noch im vollen Besitz seiner Erkenntnis- und Entscheidungsfreiheit ist und nicht unter dem Einfluss von Medikamenten steht; sie darf nicht erst so kurz vor dem Eingriff erfolgen, dass der Patient wegen der in der Klinik bereits getroffenen Operationsvorbereitungen unter einen unzumutbaren psychischen Druck gerät oder unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können… Entscheidend ist, ob der Patient unter den jeweils gegebenen Umständen ausreichend Gelegenheit hat, innerlich frei darüber zu entscheiden, ob er sich der beabsichtigten medizinischen Maßnahme unterziehen will oder nicht…“
Es kommt zusammenfassend darauf an, dass sich der Patient frei entscheiden kann und sein Entschluss feststeht. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass dem Patienten mehr Zeit gewährt werden muss, wenn er diese benötigt. Wie lange der Patient für seine Entscheidungsfindung braucht, richtet sich nach einem individuellen Maß. Je nach Einzelfall kann es sich um 7 Stunden, 25 Stunden oder auch 49 Stunden handeln. Es gibt kein einheitliches Maß.
Diese Aussagen hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21.11.2023 (Az. VI ZR 380/22) nunmehr erneut bekräftigt: „Wie der Senat mit Urteil vom 20. Dezember 2022 (VI ZR 375/21, BGHZ 236, 42) entschieden hat, sieht die Bestimmung in § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine vor der Einwilligung einzuhaltende „Sperrfrist“ vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde. Sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste, sondern kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann (Senatsurteil vom 20. Dezember 2022 – VI ZR 375/21).“
Fazit:
Die Rechtslage zur Frage der „rechtzeitigen Aufklärung“ ist eindeutig geklärt.
Dieser Beitrag ist im EJ Endodontie Journal erschienen.