Recht 30.09.2014
Knochenentnahme: Aufklärungspflicht über Alternativen
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Immer häufiger ist man in Haftungsverfahren mit dem Vorwurf konfrontiert, der Zahnarzt habe nicht ausreichend über Behandlungsalternativen aufgeklärt. Dieser Vorwurf führt – wenn er zutrifft – dazu, dass die Aufklärung als solche unwirksam ist, mit der Folge, dass es an einer Einwilligung fehlt und der Zahnarzt wegen eines rechtswidrigen Eingriffes zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verpflichtet ist.
Das Oberlandesgericht Köln hat sich mit Urteil vom 25.11.2013 (Az. 5 U 164/12) mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Patienten über Alternativen bei der Knochenentnahme aufzuklären sind. Im vorliegenden Fall ist die Knochenentnahme zum Aufbau des Oberkieferknochens aus dem linken Unterkiefer erfolgt. Hierbei kam es zu einer Verletzung des Nervus alveolaris inferior und infolgedessen zu einer Gefühlsstörung und -minderung im Bereich der linken unteren Gesichtshälfte, einschließlich Kinn und Lippe in einem Streifen einer Breite von 25 mm.
Vorwurf: Mangelnde Aufklärung
Von der Patientin wurde gerügt, dass sie zum einen nicht auf die Möglichkeit der Knochenentnahme aus dem Beckenkamm hingewiesen, und zum anderen, dass sie im Hinblick auf die Knochenentnahme im Unterkieferbereich nicht über das Risiko einer Nervenverletzung aufgeklärt worden sei. Der beklagte Zahnarzt hatte sich damit verteidigt, dass er seine Patienten bei der Notwendigkeit einer Knochenentnahme regelmäßig darüber informiere, dass es typischerweise drei Regionen, nämlich das Kinn, die Weisheitszahnregion und die Beckenkammregion als mögliche Orte der Knochenentnahme gebe. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass er eine Entnahme aus der Beckenkammregion jedoch nur im Falle der Entnahme größerer Mengen von Knochenmaterial als sinnvoll ansehe, da sie ansonsten zu komplikationsreich sei.
Prüfung durch Sachverständigen
Das Oberlandesgericht hat ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm aus medizinischer Sicht geboten sei. Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. K. hat im Rahmen seines Gutachtens ausgeführt, dass es sich bei der Entnahme aus dem Unterkiefer und aus dem Beckenkamm um zwei unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten handeln würde, die jeweils mit unterschiedlichen Risiken behaftet seien. Er wies darauf hin, dass bei einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm grundsätzlich immer Gefahr für Baucheingeweide, Durchblutung, Motorik und Sensibilität des Beines bestünde, während bei einer Entnahme von Knochen aus dem Unterkiefer u. a. das Risiko einer Verletzung und Beeinträchtigung des Nervus alveolaris inferior gegeben sei, was zu Gefühlsstörungen oder Taubheit im Bereich des Unterkiefers führen könne. Der Sachverständige hat die beiden Methoden mit ihren unterschiedlichen Vor- und Nachteilen als gleichwertig bezeichnet und darauf hingewiesen, dass für die konkrete Behandlungssituation keine der beiden Alternativen zwingend vorzugswürdig gewesen sei.
Nach der Rechtsprechung ist aber eine Aufklärung über eine alternative Behandlung immer dann zwingend geboten, wenn, wie der Sachverständige vorliegend festgestellt hat, zwei Methoden mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen gegeben sind, die im Ergebnis gleichwertig sind. Da der Zahnarzt auch unter Aufbietung des Zeugenbeweises einer Mitarbeiterin das Gericht nicht davon überzeugen konnte, dass er die Alternative der Beckenkammentnahme ausreichend angesprochen hat, kommt das Oberlandesgericht Köln zu dem Ergebnis, dass eine notwendige Aufklärung über Alternativen nicht erfolgt sei, mit der Konsequenz, dass die Aufklärung nicht ausreiche, um eine wirksame Einwilligung des Patienten herbeizuführen. Das Oberlandesgericht Köln hat in diesem Zusammenhang übrigens auch damit argumentiert, dass eine Beckenkammentnahme nicht in der Praxis des beklagten Zahnarztes durchgeführt würde, er also die Patientin im Falle einer Entscheidung für die Entnahme aus dem Beckenkamm an einen anderen Arzt oder ein Krankenhaus hätte verweisen müssen. Aus diesem Umstand zieht es den Schluss, dass es nicht fernliegend erscheine, dass über die vom behandelnden Zahnarzt nicht ernsthaft in Betracht gezogene Alternative Beckenkamm nicht aufgeklärt worden sei.
Desweiteren stellt das Oberlandesgericht Köln fest, dass es auch der Auffassung sei, die Klägerin wäre über das Risiko einer Nervenverletzung nicht aufgeklärt worden. Das Oberlandesgericht zieht diesen Schluss daraus, dass im Rahmen der OP-Einwilligungserklärung die formularmäßig erwähnten Risiken „Nervenverletzung“ und „Gefühlsstörungen (Taubheit)“ nicht angekreuzt worden seien. Im Weiteren setzt sich das Oberlandesgericht dann mit der elektronisch geführten Patientenkartei auseinander. In der elektronischen Karteikarte findet sich eine ausführliche Erläuterung dahingehend, was im Rahmen der Aufklärung der Patientin mitgeteilt worden sein soll. Die Ausführungen an dieser Stelle der Patientenkartei seien weitaus ausführlicher als alle anderen Dokumentationen, die zur Aufklärung vorgenommen worden seien. Der Senat des Oberlandesgericht Köln weist darauf hin, dass das EDV-Programm es ermögliche, in der Karteikarte nachträgliche Ergänzungen vorzunehmen, ohne dass hierbei kenntlich gemacht werde, wann diese Ergänzungen erfolgt seien. Das Oberlandesgericht zieht daraus den Schluss, dass es erhebliche Zweifel habe, ob die dort dokumentierte Aufklärung tatsächlich zu diesem Zeitpunkt stattgefunden habe. Vielmehr spreche vieles dafür, dass diese Eintragungen nachträglich vorgenommen worden seien. Dies schließe es insbesondere auch daraus, dass die in der Dokumentation festgehaltenen Punkte zur Aufklärung exakt den seitens der Klägerin erhobenen Vorwürfen angepasst erschienen. Es stellt daher fest, dass die vorgenommene Dokumentation keine Indizwirkung auf die Durchführung einer wirksamen Aufklärung enthalten würde.
Urteil: Zahnarzt zahlt Schmerzensgeld
Der Zahnarzt wurde zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro und zur Tragung aller Folgeschäden verurteilt. Diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln ist aus zwei Gründen beachtenswert. Zum einen macht das Oberlandesgericht Köln deutlich, dass es im Rahmen der Aufklärung über die Stelle der Knochenentnahme erforderlich ist, alle denkbaren Punkte, an denen die Knochenentnahme erfolgen kann, anzusprechen. Vor dem Hintergrund des dem Oberlandesgericht Köln vorliegenden Gutachtens sieht das Oberlandesgericht insofern alle Entnahmepunkte als gleichwertig an, da keine der alternativen Möglichkeiten einen Vorrang im Hinblick auf die bei der Entnahme entstehenden Risiken beinhaltet. In der Praxis ist sicherzustellen, dass dem Patienten alle Entnahmestellen erläutert werden, und erst dann die konkrete Entnahmestelle festgelegt wird. Zum anderen macht das Oberlandesgericht Köln in seiner Entscheidung deutlich, dass eine elektronisch geführte Karteikarte, die nicht den Vorgaben des Patientenrechtegesetzes entspricht, also nicht erkennen lässt, ob der Inhalt nachträglich verändert oder ergänzt worden ist, in ihrer Indizwirkung deutlich reduziert ist und ihr gegebenenfalls kein Glaube geschenkt werden kann. Insoweit sollte jede Praxis, die elektronisch dokumentiert, sich an ihren Softwarelieferanten wenden, um mit diesem sicherzustellen, dass die Vorgaben des Patientenrechtegesetzes auch für die eigene Dokumentation sicher umgesetzt sind.