Statements 17.07.2012
Behandlungsvereinbarung in der Ästhetischen Zahnmedizin
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Die am 01.01.2012 in Kraft getretene neue GOZ enthält an versteckter Stelle ein für den Bereich der Ästhetischen und – erst recht – Kosmetischen Zahnheilkunde schwerwiegendes Formproblem in § 2 Abs. 3 Satz 1. Diese Norm spielte unter der GOZ 1988 keine Rolle und dürfte den wenigsten Zahnärzten überhaupt bekannt sein. Gerichtsurteile dazu sind keine auffindbar. Sie knüpft an die in § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ (alt = neu) geregelte Frage der sog. Verlangensleistungen an: „Leistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen Versorgung hinausgehen, darf der Zahnarzt nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht worden sind.“ Für diese Verlangensleistungen sah § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ bisher vor, dass Leistungen, die weder im Gebührenverzeichnis der GOZ noch im Gebührenverzeichnis der GOÄ enthalten sind, und ihre Vergütung abweichend von der GOZ in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden „können“. Man konnte für diese selten erfüllten Voraussetzungen per Vereinbarung mit dem Patienten den Gebührenrahmen der GOZ verlassen, musste es aber nicht. Es gab damals die Möglichkeit, statt der Abrechnung von Analogziffern auch was ganz anderes zu vereinbaren, einschließlich Honorarpauschalen (z.B. fürs Bleaching). Zulässig war das nur für einen ganz engen Bereich. Hier wich die GOZ 1988 von der Regelungssystematik der GOÄ 1996 stark ab, was der BGH in seiner bekannten Entscheidung vom 23.03.2006 – III ZR 223/05 – zu ärztlichen kosmetischen Behandlungen (Abrechnung nur nach GOÄ zulässig) nicht erkannt hatte.
Ab 2012 „müssen“ unterschiedslos alle Leistungen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 und ihre Vergütung in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden. Fehlt es an dieser schriftlichen Vereinbarung, entsteht insoweit kein Honoraranspruch, die entsprechende Behandlungsvereinbarung ist jedenfalls hinsichtlich des Honorars nach § 125 BGB nichtig. Das betrifft ausnahmslos alle zahnärztlich-kosmetischen Leistungen im eigentlichen Sinne, aber grundsätzlich auch den gesamten Bereich der Ästhetischen Zahnheilkunde, weil man auch in diesem Rahmen ständig mit dem Einwand konfrontiert wird, die (geplante) Behandlung gehe über das Maß des medizinisch Notwendigen hinaus oder sei gar nicht medizinisch notwendig. Beides ist ein Anwendungsfall des § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ und damit seit dem 01.01.2012 des § 2 Abs. 3 GOZ. Als Folge muss die gesamte Behandlung schriftlich vereinbart werden – sonst entsteht kein durchsetzbarer Honoraranspruch des Zahnarztes!
§ 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ betrifft alle „Leistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen Versorgung hinausgehen“. Seit vielen Jahren ist es der Hauptstreitpunkt bei ästhetischen, bei kosmetischen, aber auch z.B. bei implantologischen Versorgungen, ob die geplante bzw. die durchgeführte Behandlung überhaupt oder jedenfalls in Teilen mehr als zahnmedizinisch notwendig ist. Bisher störte diese Diskussion nur im Verhältnis Patient– Versicherer/Beihilfe, wenn sich später im Prozess herausstellte, dass nur weniger als gemacht zahnmedizinisch notwendig gewesen wäre. Künftig hängt an einer solchen Feststellung der gesamte Honoraranspruch des Zahnarztes für den „mehr als notwendigen Teil“, ggf. also für alles, wenn die schriftliche Vereinbarung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ fehlt. Im Allgemeinen ist die Frage, ob die geplante bzw. die durchgeführte Behandlung zahnmedizinisch notwendig ist, hochstreitig und wird verbindlich erst durch die Gerichte entschieden. Im klassischen Anwendungsbereich der Cosmetic Dentistry versteht sich dagegen von selbst, dass es sich um Leistungen im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ handelt. Bisher brauchte man dazu nur dann eine schriftliche Vereinbarung, wenn man sich vom Abrechnungsmodus der GOZ lösen wollte. Seit 01.01.2012 braucht man diese immer!
Im Bereich der ästhetisch orientierten Zahnheilkunde wird sich der Streit um die medizinische Notwendigkeit künftig verschärfen. Die Rechtsprechung definiert die medizinische Notwendigkeit seit Jahrzehnten mit folgender Formel: „Von der Notwendigkeit einer Behandlung ist auszugehen, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen“ (BGH, 17.12.1986 – IVa ZR 78/85 –). Der darin enthaltene Begriff „objektiv“ bedeutet nach der Rechtsprechung, dass weder der Patient noch der behandelnde (Zahn-)Arzt die Frage der medizinischen Notwendigkeit verbindlich entscheiden kann, sondern ggf. das Gericht mithilfe eines Gutachters. Die medizinische Notwendigkeit ist ein gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriff, allerdings mit der Besonderheit, dass es nicht um die Feststellung einer Ja/Nein-Entscheidung geht. Eine Behandlung ist bereits dann medizinisch notwendig, wenn sie eine der vielen Therapiealternativen ist, die im konkreten Behandlungsfall mit Rücksicht auf die bestehenden Befunde zahnmedizinisch vertretbar sind. Im Rahmen der Therapiealternativen darf der Patient grundsätzlich entscheiden, was er für sich für richtig hält. Das mildert aus der Sicht des Patienten das Problem ab: es gibt eine Bandbreite medizinisch notwendiger Entscheidungen, zwischen denen er wählen darf (grundlegend BGH, 12.02.2003 – IV ZR 278/01 –).
Aber es mildert das Problem nicht aus der Sicht des Zahnarztes, zumal es immer wieder Gutachter gibt, denen nicht ausreichend bewusst ist, dass es bei der Nachprüfung von geplanten bzw. schon durchgeführten Behandlungen nicht darum geht, wie sie den Fall gelöst hätten, sondern nur darum, ob die Falllösung des zu begutachtenden Kollegen in Anbetracht aller Umstände (Anamnese, Befunde, Alter und Vorstellungen des Patienten etc.) als eine aus fachlicher Sicht mögliche Behandlungsvariante oder als fachlich unsinnig zu bezeichnen ist.
Es gibt Gerichte, die einen Vergleich der Notwendigkeit, ein Urteil schreiben zu müssen, eindeutig vorziehen, und auch für die Rechtsanwälte wird ein Vergleich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz deutlich besser entlohnt als ein Urteil. Wenn es künftig in Verfahren, in denen die medizinische Notwendigkeit im Streit ist, „zum Schwur“ kommt, und der Zahnarzt sich nicht zumindest vorsorglich mit einer Vereinbarung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ 2012 abgesichert hat, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Gerichte (und die PKV bzw. die Beihilfe) dies als Ein-ladung verstehen werden, Vergleichsgespräche zu führen. Wer das je vor Gericht mitgemacht hat, weiß, was das bedeutet. Daher ist dringend zu empfehlen, jedenfalls immer dann, wenn die Frage nach der medizinischen Notwendigkeit sich von vornherein klar stellt (weil sie bisher schon immer streitig war) oder seitens PKV oder Beihilfe explizit aufgeworfen wird, auch einen kompletten HKP zu schreiben (der die gesamte Behandlung einschließlich der Begleitleistungen umfassen sollte), mit den von § 2 Abs. 3 GOZ geforderten Zusätzen zu versehen und ihn vom Zahlungspflichtigen (das ist bei geschäftsfähigen Erwachsenen der Patient) unterschreiben zu lassen und auch selbst zu unterschreiben (die schriftliche Vereinbarung erfordert nach § 126 BGB zwei Unterschriften). Die der Unterschrift vorausgehende Besprechung sollte man in der Behandlungsdokumentation gut dokumentieren, am besten einen Mitarbeiter mit hinzuziehen. Ein Muster für die Vereinbarung ist nebenstehend wiedergegeben.