Statements 14.03.2011

„Deutsche Zahnheilkunde im Ausverkauf?“

„Deutsche Zahnheilkunde im Ausverkauf?“

Foto: © ZÄK Bremen

Statement von Dr. Wolfgang Menke, Präsident der Zahnärztekammer Bremen

Wer sich einmal die Mühe macht, die schweizerischen oder österreichischen Gebührenordnungen für die Zahnmedizin anzuschauen, dem kommen angesichts der Verhältnisse im deutschen PKV- und GKV-Bereich die Tränen. Auch in anderen westlichen Ländern werden ganz offensichtlich wesentlich höhere Gebühren als bei uns gezahlt. Wie ist es sonst möglich, dass zahnärztliche Assistenten ohne Berufserfahrung direkt nach dem Studium in den Niederlanden oder in Großbritannien das drei- bis vierfache Gehalt wie in Deutschland bekommen und sich damit schon manchmal besser stehen als ein in Deutschland in eigener Praxis niedergelassener Zahnarzt. Oder wie gäbe es sonst Gehälter von bis zu 15.000 Euro monatlich für angestellte Zahnärzte in den Niederlanden? Kein Wunder also, dass erhebliche Teile des zahnärztlichen Nachwuchses den Weg ins Ausland suchen. Von manchen Semestern sollen zwei Jahre nach dem Staatsexamen nicht einmal mehr die Hälfte in Deutschland sein. Auch der wissenschaftliche Nachwuchs orientiert sich international. 

Wem ist es bei derartigen Einkommensunterschieden zu verdenken, wenn sie oder er, jung und mobil, ihr oder sein Glück im Ausland sucht und vielleicht gar nicht mehr zurückkehrt. In den 1970er-Jahren sind sehr viele Dänen und Holländer aufgrund der Honorardifferenzen nach Deutschland gekommen. Jetzt hat sich der Trend völlig umgekehrt. Gesamtgesellschaftlich ist es jedoch eine Katastrophe, wenn nach einem, für alle Beteiligten ausgesprochen teuren Studium, viele Absolventen gar nicht mehr dem deutschen Markt zur Verfügung stehen. Im medizinischen Bereich werden diese Lücken schon mehr als sichtbar. Die Abgeordneten in manchen Wahlkreisen müssen sich inzwischen fragen lassen, wieso es kaum noch Ärzte, geschweige denn Fachärzte in angemessener Entfernung gibt, und ob es denn sein kann, dass man für einen simplen Arztbesuch wegen der Entfernung auch gleich einen Tag Urlaub opfern muss. Ein wichtiger Bereich der Daseinsfürsorge, nämlich die flächendeckende Versorgung mit medizinischer Leistung, wird seitens der Politik in vielen Bereichen des Landes spürbar nicht mehr ausreichend gewährleistet. 

Ähnliche Probleme werden in der Zahnmedizin folgen, wenn die Entwicklung sich fortsetzt. Auch wenn die Einwohnerzahl in Deutschland sinken wird, werden in Zukunft ja nicht weniger Zahnärztinnen und Zahnärzte gebraucht. Denn aufgrund der Erfolge in der Prophylaxe nimmt die Gesamtzahl der Zähne zu. Die Antwort der Politik auf eine absehbare Unterversorgung mit medizinischer, vielleicht auch demnächst mit zahnmedizinischer Unterversorgung, besteht zurzeit in zwei Maßnahmen. Erstens sollen über Berufsanerkennungsverfahren die Möglichkeiten der Berufsausübung und der Approbationserteilung für Nicht-EU-Ausländer deutlich erleichtert werden. Zum anderen sollen medizinische Hilfsberufe durch entsprechende Weiterbildung und ggf. Akademisierung zu Hilfsärzten befördert werden. Auf die Delegation von Leistungen unter ärztlicher Aufsicht soll die Substitution der Leistungen durch nichtärztliches Personal folgen. Für die Ärzte und Zahnärzte, die durch mannigfaltige bürokratische und rechtliche Auflagen, z.B. übertriebene und teure Hygienedokumentationen oder Patientenrechtegesetze und bauliche Auflagen drangsaliert werden, wäre dies der blanke Hohn. 

Zurück zur Zahnmedizin. Durch die 17 Jahre währende Budgetierung und die seit 1988 nie angepasste GOZ ist unser Bereich trotz der zweithöchsten Investitionskosten aller Praxisarten noch unterfinanzierter als die ambulante Medizin. Für die einzelne Praxis ist es natürlich der richtige Weg, ihren Anteil an GOZ-Leistungen bei Privat- und Kassenpatienten auf mindestens die Hälfte des Honorarumsatzes der Praxis auszubauen. Andererseits ist es aber nicht zu begreifen, dass die zahnärztliche Versorgung (ohne Zahnersatz) von etwa 90 Prozent der deutschen Bevölkerung sich lediglich in weniger als der Hälfte des Honorars einer durchschnittlichen Praxis niederschlägt. Sowohl die Basisversorgung in der GKV als auch die GOZ müssten spürbar angehoben werden. Die Preissteigerungsrate im Dienstleistungsgewerbe betrug seit 1988 etwa 60 Prozent. Die Diäten der Politiker stiegen im gleichen Zeitraum um ca. 70 Prozent. Insofern ist eine Forderung einer 60%igen Honorarsteigerung bei der GOZ nachvollziehbar. Dass dies politisch nicht durchsetzbar ist, ist uns allen klar. Allerdings liegt die Schuld dafür aber auch nicht bei uns Zahnärzten, sondern bei der Politik. Die Frage an die Politik ist: Was ist auf Dauer teurer? Eine ausreichende Honorierung der in Deutschland teuer und aufwendig ausgebildeten Ärzte und Zahnärzte mit dem Resultat, dass diese auch weiterhin der deutschen Bevölkerung zur Verfügung stehen. Oder ein Rückzug der (zahn-)medizinischen Versorgung aus der Fläche, ein schleichender Qualitätsverlust und der Verlust der freien Arztwahl, schleichende Rationierung und eine tatsächliche Orientierung der medizinischen Versorgung nach der Zuzahlungsmöglichkeit der Patienten in einer Mehrklassenmedizin. 

Bei einer noch weiter andauernden Unterfinanzierung der Zahnarztpraxen wird es in den kommenden Jahren immer schwerer werden, angestellte Assistentinnen und Assistenten zu bekommen oder zu halten, geschweige denn die Praxen später zu einigermaßen gerechten Preisen zu verkaufen. Auch ausreichende Neuinvestitionen sind nicht möglich. Bei weiter stagnierenden Honoraren werden die Praxen zwischen den gängelnden Gesetzesvorhaben der Politiker, den Interessen der Industrie, die ihre Produkte ausgerechnet in Deutschland möglichst teuer verkaufen will, und den durchaus berechtigten Interessen der Patienten bis zur völligen Selbstausbeutung zerrieben. Die Standespolitik allein kann trotz aller Erfolge in manchen Zwischenschritten (wie z.B. das Festzuschuss-System mit Wegfall der Budgetierung im Zahnersatzbereich) nicht alle negativen Entwicklungen aufhalten oder gar verhindern. Sie selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie durchaus als Multiplikator in Ihrem Umfeld wirken, müssen aktiv werden oder bleiben und insbesondere auch Ihren lokalen Politikern die Brisanz der Entwicklung deutlich machen. 

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