Statements 05.08.2011

Eine kritische Bestandsaufnahme

Eine kritische Bestandsaufnahme

Foto: © ZÄK Berlin

Statement von Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin

Die Endodontie ist ein gutes Beispiel: Unser Berufsstand ist sich nicht nur in gesundheitspolitischen Zielen oder Vorgehensweisen offenbar gerne uneinig, produziert vielfältige Profilierungsdebatten und fällt der zahnärztlichen Bundespolitik auch gerne mal in den Rücken. Er entwickelt sogar im Fach selbst, der wissenschaftlich fundierten Zahn-, Mundund Kieferheilkunde, intensiv ausgetragene Diskussionen zur vermeintlich „richtigen“ Vorgehensweise, die anderen Verfahren automatisch ein „falsch“ aufdrücken. Bei allem wirklich tiefen Respekt vor dem Engagement für die optimale Zahnheilkunde bleibt ein ungutes Gefühl, wenn solche Debatten zur Ego-Show einzelner Kollegen werden, die abgrenzen statt zu integrieren. Da wird eine Fortbildungsveranstaltung zum „Highlight“ hochstilisiert, weil sich Kollege A und Kollege B auf der Bühne um das „richtige“ Vorgehen im Wurzelkanal streiten. Man darf sich fragen: Haben wir keine größeren Probleme? Brauchen wir fanatische Therapie-Egozentriker? Optimiert so etwas wirklich unsere alltägliche Zahnmedizin in der Praxis – mit Blick auf unsere Patienten? 

Fachliche Abgrenzung füllt mittlerweile ganze Fortbildungsregale: Endodontie versus Implantologie versus klassische Prothetik versus Kieferorthopädie versus was sonst noch alles: Die Zahnheilkunde entwickelte sich zuletzt zu einem Terraingebiet. Übrigens auch mit Berufsbezeichnungen, die es eigentlich gar nicht gibt: Was bitte ist denn ein Implantologe, Parodontologe, Endodontologe? Und ganz besonders schön, als wären wir das nicht alle im Sinne der präventionsorientierten Zahnheilkunde, ein „Zahnerhalter“? Im Berufsstand haben sich mittlerweile eine Unmenge Curricula, Tätigkeitsschwerpunkte, Master und Spezialisten entwickelt: Spezialisierung zwecks Abgrenzung von anderen Kollegen. Bei Zahnproblemen bleibt dem Patienten nun die Selbstdiagnose: Was könnte Ursache sein, zu wem soll er jetzt gehen? Studien zeigen: Patienten gehen immer öfter zur Orientierung ins Internet. Dort aber trifft man erneut auf Kollegen, deren Botschaften sich abgrenzen: Wurzel behandeln – Implantate vermeiden. Implantate nutzen – Wurzelbehandlung vermeiden. Ganzheitlich hilft sowieso immer, und Kieferorthopädie schafft Lösungen ohne Chirurgie. Welcher Patient soll sich hier noch zurechtfinden – und ist das seine Aufgabe? Sie ahnen vermutlich, worauf ich hinaus will. Zum einen auf eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Die Fachgebiete in der ZMK haben inzwischen die „Interdisziplinarität“ quasi neu entdeckt. Kongresse zeigen die verschiedenen Potenziale, die jedes Fach für den jeweiligen Fall einbringen kann. Das führt zu übersichtlichem Denken und ermöglicht uns Zahnärzten, eine auf den jeweiligen Patienten abgestimmte Therapieentscheidung zu treffen. Die moderne Zahnheilkunde steht im Konsil um den Patienten und sucht gemeinsam den besten Weg. Miteinander. Nicht im rechthaberischen Streit um „den einzig richtigen Weg“. Das zeugt von Ethik und auch von Demut dem Fach gegenüber, das uns im Alltag immer wieder zeigt, dass unsere Patienten in ihrer Individualität nicht zwingend Lehrbuch und Leitlinien entsprechen. Zum anderen will ich auf die aktuelle Debatte um den Fachzahnarzt für Allgemeinzahnmedizin verweisen. Die Idee an sich ist eigentlich eine Weiterentwicklung dieser „Interdisziplinär“-Philosophie und führt von der Aufspaltung zurück zur Gesamtsicht und damit zu den Wurzeln unseres Faches. Aus einigen Ländern kommt die Anregung, dieses breiter gewordene Wissen aufzuwerten und als Fachzahnarzt für Allgemeinzahnmedizin in den Berufsstand einzubringen – als Signal gegen die Zersplitterung und damit auch als Schutz gegen Kostenträger, die vermutlich bereits Individualverträge in der Tasche und Teile des Berufsstandes dann auch finanziell in der Hand haben. Kleine Gruppen auszubooten ist leichter, als 55.000 Kollegen im starken Verbund. Unser zahnärztlicher Berufsstand ist dringend aufgefordert sich hier zu positionieren. Ob mit oder ohne Fachzahnarzt für Allgemeinzahnmedizin, der seinerseits ein deutliches Spaltpotenzial besitzt. 

Die bevorstehende Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages im November in Frankfurt am Main hat neben vielem anderen die nicht leichte Aufgabe, die aktuelle Situation unseres Berufsstandes und dessen schier unübersichtlichen Partikularinteressen zu benennen und zukunftsweisende Antworten zu geben. Wir sollten uns dabei in den vor uns liegenden Debatten alle zurücknehmen und integrationsbereit nach Frankfurt fahren – und uns wünschen, dass uns dort die Beschreibung einer zukunftsfesten Zahnheilkunde in Wissenschaft und Praxis im weitgehenden Konsens aller Kolleginnen und Kollegen gelingt. Schon allein aus Rücksicht auf unsere Patienten und das großartige Fach, das wir erlernen durften und welches auszuüben eine hohe Verantwortung in sich trägt: Die allgemeine und alle(!) Teilbereiche der Zahnheilkunde umfassende Zahnmedizin!   

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