Statements 28.04.2011
„Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“
Statement von Dr. Klaus Bartling, Präsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe
Jeder
kennt den Ausspruch des ARD-Moderators Frank Plasberg in der Ankündigung
seiner Sendung „Hart aber fair“: „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“.
Dieser Ausspruch beschreibt punktgenau die Entwicklung und Umsetzung des Medizinproduktegesetzes
(MPG) in Nordrhein-Westfalen.
Zum Hintergrund: Das MPG vom 2. August 1994 ist keine deutsche Erfindung. Es ist die Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf europarechtliche Vorschriften, die vor allem der Bildung eines einheitlichen Marktes für Medizinprodukte im Bereich des europäischen Wirtschaftsraumes dienen sollten. Bis zum Erlass des MPG galten für medizinische Produkte die unterschiedlichsten Gesetze, wie etwa das Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetz, das Gerätesicherheitsgesetz, die Röntgenverordnung, die Strahlenschutzverordnung und das Eichgesetz. Mit der Neufassung des MPG vom 7. August 2002 wurde es den zuständigen Behörden erstmalig ermöglicht, die Einhaltung der zahlreichen Vorschriften zu überwachen. Inzwischen ist das MPG bereits zum vierten Mal geändert worden.
Die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV), die auf der Grundlage des MPG erlassen wurde, regelt das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten. Sie ist das eigentlich bedeutende Regelwerk für Anwender und Betreiber. Als eine der ersten Regionen in Deutschland starteten die Bezirksregierungen 2004 in Westfalen-Lippe damit, Zahnarztpraxen zu überprüfen, ob sie die gesetzlichen Anforderungen im Hinblick auf das MPG bzw. auf die MPBetreibV ausreichend umsetzen. Besonders der Umfang sowie die Art und Weise der Durchführung dieser Überprüfungen wurden aus der Zahnärzteschaft scharf kritisiert, als unverhältnismäßig und nicht zielführend bezeichnet. Es galt, berufspolitisch, zügig zu handeln.
Die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe nahm Gespräche mit dem NRW-Gesundheitsministerium auf. Das Ziel der Verhandlungen sollte sein, nicht notwendige bürokratische Vorgaben auf ein angemessenes Maß zu reduzieren sowie eine konkrete Beteiligung der Kammer bei der praktischen Durchführung der Überwachung zu sichern. Darin eingebunden waren auch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen für Zahnarztpraxen zur optimalen und vor allen Dingen zur eigenverantwortlichen Umsetzung. Nach langen zähen Verhandlungen und geduldiger politischer Überzeugungsarbeit stellte sich ein erster Erfolg ein: So beschlossen Ministerium und Zahnärztekammer Westfalen- Lippe 2006 einen zunächst auf ein Jahr befristeten Modellversuch zur Umsetzung des Medizinproduktegesetzes.
Ziel der Vereinbarung war, den Zahnärzten und ihrem Praxispersonal ausgewählte zentrale und dezentrale Fortbildungs- und Schulungsveranstaltungen sowie individuelle Beratungen und Begehungen durch einen von der Kammer benannten Sachverständigen anzubieten. Damit sollte das eigenverantwortliche Handeln des Zahnarztes gewahrt bleiben. Das damalige Zitat des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann stärkt die Intention der zahnärztlichen Berufspolitik: „Ich habe mich für diese Regelung entschieden, weil ich überzeugt bin, dass die zahnärztliche Selbstverwaltung gegenüber anderen staatlichen oder halbstaatlichen Stellen die wohl beste fachliche Kompetenz zur Verbesserung der Hygienestandards in Zahnarztpraxen aufzuweisen hat.“
Innerhalb kurzer Zeit wurden mehr als 2.700 Praxen und mehr als 4.000 Mitarbeiterinnen in Westfalen-Lippe geschult. Das Modellvorhaben wurde schließlich um ein weiteres Jahr verlängert. Die folgenden Gesetzesänderungen am MPG und die wachsende Kritik der Zahnärzteschaft im Hinblick auf die zunehmende Diskrepanz zwischen hohen Hygieneauflagen für die Zahnarztpraxen und den Notwendigkeiten der Infektionsprävention nahmen über längere Zeit die Berufs- und Gesundheitspolitik in Anspruch. Schließlich entschlossen sich beide Zahnärztekammern in NRW, gemeinsam mit dem Landesministerium, intensiv über eine neue Vereinbarung zu verhandeln. Diese konnte im Juli vergangenen Jahres mit einer Laufzeit bis Ende 2012 abgeschlossen werden.
Beide Kammern betonten den Patientenschutz als oberste Prämisse, den Beitrag zur Entbürokratisierung und die Stärkung der zahnärztlichen Selbstverwaltung. Entscheidend ist auch, dass die Zahnarztpraxen wieder mehr Planungssicherheit bekommen. „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“, dann ist in unserem Bereich die Selbstverwaltung in hohem Maße gefordert. Politik kann häufig keinen Bezug zu den Bedürfnissen der von ihren Regelungen betroffenen Menschen herstellen. Das ist originär unsere Aufgabe. Wir müssen antizipieren, wohin politische Vorgaben die Zahnärzte führen, ihnen diese Situation so gestalten, dass sie die Bedingungen nicht nur ertragen, sondern bestenfalls positiv für sich nutzen. Die zahnärztliche Selbstverwaltung gestaltet die Wirklichkeit, denn sie ist ihr so nahe, wie kein anderer in diesem Zusammenspiel. Darum ist das Modellvorhaben in Nordrhein-Westfalen ein Erfolg der Zahnärzteschaft.