Prophylaxe 17.11.2011
Zahnstellungskorrekturen mit Invisalign
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Ein Gewinn für die Dentalhygiene
Die kieferorthopädische Behandlung mit konventionellen Brackets kann die Dentalhygiene erheblich erschweren und hat dann unzweifelhaft eine negative Auswirkung auf Zähne und Zahnfleisch. Demineralisationen im Bereich der Brackets, Karies im Bereich der Molarenbänder, aber auch Gingivitiden können im Falle einer reduzierten Mundhygiene als Folgen von Multibandbehandlungen auftreten. Durch moderne, herausnehmbare Schienensysteme könnten diese Probleme in Zukunft der Vergangenheit angehören.
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass vor allem erwachsene Patienten mit Zahnfehlstellungen aus rein ästhetischen Antrieben eine kieferorthopädische Behandlung in Erwägung ziehen (Scott et al. 2007). Betrachtet man die zahlreichen kieferorthopädischen Behandlungsmethoden, so lässt sich feststellen, dass erwachsene Patienten vor allem durchsichtige Schienensysteme favorisieren.
Herausnehmbare Schienensysteme bieten jedoch noch weitaus mehr als bisher erwartet. Verbesserte kieferorthopädische Funktionen, vermindertes Risiko in Bezug auf Demineralisationen und Karies, Eliminierung von traumatischer Okklusion sowie Aufrechterhaltung der parodontalen Gesundheit sind nur einige wenige Faktoren, die eine bogen- und bracketfreie Behandlung stützen (Kessler 1976; Ashley et al. 1998; Diedrich 2000). Invisalign (invisible: unsichtbar/align: ausrichten) ist zweifelsohne ein System, welches neben der zwischenzeitlich großen Forschungserfahrung ausreichenden klinischen Hintergrund mitbringt, um die Wünsche der Kieferorthopäden, der Zahnärzte und der Patienten in Einklang zu bringen.
Grundsätzliche Überlegungen
Invisalign (Align Technology, Santa Clara, Kalifornien) steht für eine neue Form der kieferorthopädischen Therapie, die gleichzeitig die oralen Strukturen rund um die Zähne respektiert. Gingivitiden, Hyperplasien aufgrund von allergischen Reaktionen bis hin zur parodontalen Destruktion mit irreversiblem Knochenverlust sind häufige Befunde während der Multibandbehandlung (Nelson et al. 1997; Miethke et al. 2005). Es liegt auf der Hand, dass herausnehmbare Schienensysteme die häusliche Mundhygiene vereinfachen. In Deutschland wurde das Invisalign-Verfahren zur Korrektur von Zahnfehlstellungen – anfangs nur für Erwachsene – im Februar 2001 eingeführt. Das Konzept umfasst unterschiedliche Arbeitsschritte, die sowohl in der Praxis als auch direkt bei Align Technology erfolgen. Auf der Basis des Dysgnathiebefundes erfolgt nach Vorgabe des Behandlers eine computergestützte, dreidimensionale Simulation der gewünschten Zahnbewegungen. Jede Schiene wird 14 Tage lang getragen, ehe die nächste eingesetzt wird. Die Schienenanzahl variiert von Patient zu Patient und ist abhängig vom Ausmaß der Fehlstellung. Die Aligner müssen mit Ausnahme der Mahlzeiten, nach denen eine gründliche Zahnreinigung zu erfolgen hat, ständig getragen werden.
Vorteile der Aligner-Systeme
Die kieferorthopädische Behandlung mit herausnehmbaren Schienen hat einen eindeutigen Vorteil in Bezug auf die Hygienisierbarkeit (Chenin et al. 2003). Eine Speichelzirkulation innerhalb der Schiene ist auch während der Tragezeiten sichergestellt und verhindert so unerwünschte Demineralisationseffekte (Boyd 2008). Parodontale Probleme, die den Ausgang einer konventionellen Bracketbehandlung negativ beeinflussen, können bei herausnehmbaren Invisalign-Schienen minimiert werden (Miethke et al. 2005). Eventuelle Hygienemängel im Bereich der Schiene lassen sich durch den regelmäßigen Wechsel kompensieren und ein zusätzlicher Einsatz von Spüllösungen, der bei Gingivairritationen mit festen Zahnspangen häufig zu beobachten ist, erscheint nicht mehr zwingend notwendig (Schaefer et al. 2010). In diesem Zusammenhang wird häufig das Problem der allergisch bedingten Zahnfleischveränderungen diskutiert. Eine Monomerfreisetzung mit anschließender zytotoxischer Wirkung konnte bei Einsatz von Invisalign nicht festgestellt werden (Eliades 2009). Die Behandlung mit Alignern beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die Auflösung einfacher frontaler Engstände mittels approximaler Schmelzreduktion. Moderne Planungsmethoden machen es möglich, die Aligner bei verschiedenen Formen der Zahnfehlstellungen einzusetzen (Chenn et al. 2003; Miller und Derakhshan 2002; Miller et al. 2007).
Behandlungsproblematik klassischer Systeme
Betont man den Vorteil der Schienensysteme lediglich mit Blick auf die ästhetischen Ansprüche der Patienten, so ist unstrittig, dass sich diese auch mit klassischen, festsitzenden Apparaturen erfüllen lassen. Transparente Brackets und Bögen in Zahnfarbe erhöhen die Akzeptanz bei allen Altersgruppen, ohne an Funktionalität zu verlieren. Ungeachtet dessen bleibt das intraorale Volumen der festsitzenden Geräte vergleichbar. Auch moderne Bögen lassen sich – unabhängig von der äußeren Erscheinung – nach wie vor nur schwer reinigen. Vorteile in Bezug auf die tägliche Zahnhygiene moderner Bracketsysteme sind daher kaum erkennbar. Entscheidend ist im Hinblick auf die Karieshäufigkeit wohl eher die Tatsache, dass vorwiegend Kinder mit festsitzenden Apparaturen behandelt werden, bei denen eine optimale Mundhygiene bereits ohne Zahnspange häufig nicht gegeben ist (Kukleva et al. 2002). Die Verkleinerung der Brackets oder die Verbesserung der Ästhetik beseitigen nicht das Problem der Nischenbildung und der damit verbundenen, erhöhten Plaqueretention; hieraus resultieren in der Folge erhöhte Demineralisationszeiten.
Die Problematik von Gingivitiden und parodontal erkrankten Zähnen bei klassischen Multibandbehandlungen ist also nach wie vor ein zentrales Problem der festsitzenden Apparaturen. Insbesondere junge Patienten sind stark gefährdet, denn mit einer festsitzenden Apparatur kann der erste Impuls für chronische Erkrankungen des den Zahn umgebenden Weichgewebes gesetzt werden (Martignon et al. 2010). Die kieferorthopädische Behandlung kann also das Parodontium negativ beeinflussen und die Entstehung plaqueassoziierter Gingivitiden begünstigen; dies führt zu Gingivaschwellungen und erhöhten Sondierungstiefen (Ong und Wang 2002).
Zudem werden häufig Allergien beobachtet, die zusätzlich Hyperplasien und somit Pseudotaschen verursachen können (Pazzini et al. 2010). Die Pseudotaschen, die bis in die Bögen einwachsen können, erschweren die Zahnreinigung zusätzlich und führen zu einer Verschiebung des bakteriellen Gleichgewichts. Ist die Hyperplasie allergisch bedingt, kann dies den Abbau des parodontalen Halteapparates befördern (Pazzini et al. 2010). Bei Patienten mit einem erhöhten Allergiepotenzial können sich die Allergien auch extraoral manifestieren und unabhängig von der klassischen Nickel-Titan Unverträglichkeit vorkommen (Kolokitha et al. 2008).
Lingualtechnik – aus dentalhygienischer Sicht keine Innovation
Die Lingualtechnik, bei der individuelle oder konfektionierte Brackets auf die Palatinal- bzw. Lingualflächen der Zähne aufgebracht werden, hat gegenüber der konventionellen Methode eindeutige ästhetische Vorteile. Heute stehen dem Behandler grazile individualisierte Brackets und computergestützt fabrizierte Lingualbögen zur Verfügung, die die Akzeptanz dieser Behandlung eindeutig erhöhen (Wiechmann 2002, 2003; Stamm et al. 2005). Dennoch führen die Lingualsysteme durch die Einengung des Zungenraums zu unvermeidlichen Sprachbehinderungen (Nedwed und Miethke 2005).
Das Problem der eingeschränkten Hygienisierbarkeit kann das linguale System jedoch ebenfalls nicht lösen. Plaque und Zahnstein können vom Patienten nicht wahrgenommen werden und erhöhen so die Gefahr der Kariesbildung (Ogaard 1989; Hägg et al. 2004). Aufgrund der erhöhten Plaquemenge kann es zu einer qualitativen Bakterienverschiebung kommen, die eine erhöhte Prävalenz von parodontopathogenen Keimen wie des Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa) und des Porphyromonas gingivalis (Pg) nach sich zieht (Paolantonio et al. 1997; Lee et al. 2005). Klinisch ist diese Bakterienverschiebung mit einer erhöhten Inzidenz parodontaler Nebenwirkungen verbunden (Demling et al. 2010; Ong und Wang 2002).
Medicus curat, natura sanat
Der Arzt hilft, die Natur heilt. Dieser hippokratische Grundgedanke verdeutlicht eindrucksvoll die Tragweite des Fortschritts, welcher mit dem Aligner-System einhergeht. Die Behandlung mit Invisalign sollte heute – vor allem mit dem wissenschaftlichen Hintergrund und der enormen Anzahl an erfolgreich behandelten Patienten – im Fokus der kieferorthopädischen Behandlung stehen. Kinder und Jugendliche mit Zahnfehlstellungen können nur langfristig therapiert werden, wenn während und im Anschluss an die kieferorthopädische Behandlung kein Anstieg von Karies und Parodontopathien zu erwarten ist. Es wurde lange angenommen, dass sich während der Therapie entstandene Parodontopathien nach Entfernen der kieferorthopädischen Geräte als reversibel darstellen (Alexander 1991; Kloehn und Pfeifer 1974). Eine aktuelle Studie konnte jedoch zeigen, dass sich die parodontale Situation bei 11% der Patienten verschlechtert und 7,6% positiv in Bezug auf die Parodontogene bleiben (Choi et al. 2009).
Einen entscheidenden Vorteil bietet Invisalign vor allem im Bereich der Erwachsenenbehandlung, die häufig parodontale Grunderkrankungen ausweisen, welche sich durch eine konventionelle kieferorthopädische Behandlung deutlich verschlechtern können. Zudem unterziehen sich Erwachsene vorwiegend aus ästhetischer Motivation einer kieferorthopädischen Behandlung und stellen daher auch erhöhte Ansprüche an Aussehen, Tragekomfort und Funktion. Durch die geringe Adaptationszeit von Patienten unterschiedlichen Alters ist die Akzeptanz gegenüber den Alignern deutlich höher als die gegenüber konventionellen Brackets oder den ebenfalls ästhetischen, jedoch festsitzenden Lingualsystemen (Miller et al. 2007). Ungeachtet des subjektiven Wohlbefindens ist aus zahnmedizinischer Sicht bestimmend, dass im Hinblick auf die langfristige Gesundheit der Zähne und des Zahnhalteapparates die Aligner-Systeme eine eindeutige Präventionswirkung aufweisen. Weitere Entwicklungen werden zeigen, ob langfristig alle Patienten von dieser innovativen Methode profitieren können.