Implantologie 04.09.2013
Implantologischer Langzeiterfolg bei Patienten mit reduzierter Compliance
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Evidenzbasierte Behandlungsmethoden, wissenschaftliche, gut dokumentierte Implantatsysteme, gut ausgebildete Implantatchirurgen, regelmäßige Dentalhygienekontrollen und eine adäquate Mundhygiene sind erwiesenermaßen die Bedingungen für den Langzeiterfolg implantologischer Therapien. Aber auch die Compliance-Bereitschaft bzw. -Fähigkeiten der Patienten mit implantatgestütztem Zahnersatz selbst gehören zu den Hauptfaktoren, um periimplantären Entzündungen vorzubeugen oder einzudämmen. Dr. Bernd Neuschulz diskutiert hier in diesem Zusammenhang sowohl die zentralen ethischen und therapeutischen Herausforderungen als auch etwaige Lösungswege, die die Implantologie in den kommenden Jahren bestimmen werden.
In der nationalen wie internationalen Literatur sind die Erfolgsstatistiken der dentalen Implantologie kaum mehr zu überbieten. Auch D. Buser et al. (2012) kommen in einer retrospektiven Zehnjahresstudie zu dem Er gebnis, dass Zahnimplantate eine hohe Zuverlässigkeit und eine geringe Komplikationsrate haben, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören evidenzbasierte Behandlungsmethoden, wissenschaftlich gut dokumentierte Implantatsysteme, gut ausgebildete Implantatchirurgen, regelmäßige Dentalhygienekontrollen und eine gute Mundhygiene. Sind diese Bedingungen erfüllt, sollte der Langzeiterfolg eigentlich auch über eine mehr als zehnjährige Funktionsperiode sichergestellt sein. J. Lindhe et al. finden in ihrer Untersuchung 2008 allerdings bei 50 % aller Implantationsstellen eine Mukositis und in 12–40 % aller Implantationsstellen eine Periimplantitis. Das „Aktionsbündnis gesundes Implantat“ stellt im 4. Arbeitstreffen 2012 fest: „Angesichts der über 1 Mio. Implantate, die jährlich in Deutschland gesetzt werden, sind die Zahlen zur Verbreitung der periimplantären Erkrankungen erschreckend.“ Es ist anzunehmen und sehr wahrscheinlich, dass dieses Problem auch international besteht.
Abgesehen von Missachtung bestehender Risikofaktoren (lokal wie allgemein), chirurgischen und prothetischen Fehlern oder Gutgläubigkeit gegenüber den Versprechen der Hochglanzprospekte, die allein über das Material zum Erfolg kommen wollen, kann die Non-Compliance der Patienten ein Grund für den Misserfolg sein.
Die Akkumulation von bakteriellem Biofilm ist der primär ätiologische Faktor für die Entstehung und Progression periimplantärer Entzündungen (Berglundh et al. 1992; Lindhe et al. 1992; Mombelli und Lang 1998, Zitzmann et al. 2002, Hardt et al. 2002, Karoussis et al. 2002...). Mit Recht werden deshalb regelmäßige Dental-Hygienekontrollen und eine gute Mundhygiene gefordert, vorausgesetzt der Patient macht mit – er zeigt Compliance, also kooperatives Verhalten!
Die WHO definiert fünf Ebenen der Compliance:
- sozio-ökonomische Faktoren (Armut, Ausbildungsstand u.a.)
- patientenabhängige Faktoren (Wissen, Fähigkeit zur Selbstorganisation, Vergesslichkeit)
- krankheitsbedingte Faktoren
- therapiebedingte Faktoren (Nebenwirkungen)
- gesundheitssystem- und therapeutenabhängige Faktoren (Kosten, Kommunikation)
Während das kooperative Verhalten bei Patienten, die im aktiven Leben stehen, vorausgesetzt werden kann, stellt sich dies bei den Patienten, die bereits älter oder multimorbide sind, sehr häufig anders dar. Und genau hier stellt sich die Kernfrage: Wo beginnt unsere Verantwortung und wann endet diese? Es geht also um Patienten, die wir vor 10 oder 20 Jahren implantologisch versorgt haben und die mit einer unserer damaligen „High-End-Versorgungen“ inzwischen überfordert sein könnten.
Die soziodemografische Entwicklung in Deutschland gibt Anlass, mit Nachdruck an Konzepten zu arbeiten, um auch für das dargestellte Problem Lösungsansätze zu schaffen. Tun wir dieses nicht, negieren wir unsere Verantwortung für das, was wir im Vorfeld mit bester Absicht für den Patienten geplant und realisiert haben.
Manifestierende Plaqueakkumulation
Das Problem manifestierender Plaqueakkumulation stellt sich in Kurzform wie folgt dar:
- mit zunehmendem Alter lassen manuelle Fähigkeiten und Sehfähigkeit nach
- gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit geriatrischer Erkrankungen (Multimorbidität)
- durch Medikation ist Xerostomie möglich – bekannt dafür sind mehrere Hundert Stoffklassen
- sirup- oder saftartige Medikamente, Dragees, Filmtabletten, Sprays
- Fruchtsäfte, Milchprodukte, „Dauermedikation“ mit Hustenbonbons u.ä.
- Mundatmung und Schnarchen (50 % der Senioren)
- Änderung von Prioritäten (Allgemeinerkrankungen, Arztbesuche, Reha-Maßnahmen)
- Abnahme der Alltagskompetenz (unbeabsichtigte Non-Compliance)
- Fremdhilfe bei der Mundhygiene
Selbst wenn der Wille da wäre, führen die angeführten Faktoren dazu, dass die Wahrscheinlichkeit einer Mukositis oder Periimplantitis drastisch zunimmt. Die Folge sind, neben der Gefährdung von Implantaten und Suprakonstruktion, Schmerzen und damit eine eingeschränkte Lebensqualität. In einer Befragung für „BZÄK Mundgesundheitsziele 2020“ gaben 60,6 % der Senioren an, zweimal täglich eine Mundpflege zu betreiben (Baseline – DMS IV 2006), übrig bleiben fast 40 %, deren Mundhygiene nicht dem geforderten Standard entspricht.
Die Grundforderung nach einer möglichst optimalen Mundhygiene sowie Dental-Hygienekontrollen bleibt bestehen, ist aber angesichts der komplexen Problematik so nicht umsetzbar. Gleichwohl würden wir die Verantwortung wiederum auf den Patienten, auf die Angehörigen oder Pflegekräfte delegieren. Der Ausweg kann nur sein, dass wir aktiv werden, um den Schaden zu begrenzen. Nach der morphologischen Matrix der Verantwortung (Ropohl) sind wir verpflichtet, prospektiv und aktiv zu handeln, wenn sich Probleme abzeichnen, die zu einer Verschlechterung der Situation führen können. Wir sollten zudem bei der Behandlung Grenzen erkennen, die Therapieentscheidung muss vom Patientenwohl bzw. der ärztlich-wissenschaftlichen Ethik bestimmt werden, wir haben uns grundsätzlich von der ärztlichen Intuition leiten zu lassen (nach G. Maio).
Oberstes Ziel unserer Bemühungen sollte demnach sein, die Plaqueakkumulation zu verhindern, auch wenn die Mundhygiene des Patienten suboptimal oder nicht vorhanden ist. Der Weg dazu heißt in vielen Fällen Rückbau einer festsitzenden Suprakonstruktion zu einer herausnehmbaren Lösung, um im Idealfall eine habituelle Selbstreinigung zu erreichen. Dies gilt in erster Linie für Patienten mit erheblichen Mobilitätsproblemen, bei Multimorbidität mit entsprechender Medikation (Xerostomie), bei inadäquater Compliance und bei Patienten, die bei der Mundhygiene auf Fremdhilfe angewiesen sind. Wenn es notwendig wird, dann sollten zur diagonalen Abstützung auch zusätzliche Implantate eingebracht werden. Dies wäre dann eine Investition für die Zukunft und muss mit dem Patienten oder, im Bedarfsfall, mit deren Angehörigen diskutiert werden.
Fazit
Es geht um den Erhalt von Lebensqualität unserer Patienten, die wir in ihrer aktiven Lebensphase versorgt haben. Wenn sich abzeichnet, dass Korrekturen unseres Versorgungskonzeptes notwendig werden, dann sollten wir mit aller Konsequenz auch darauf hinarbeiten. Dies gilt es mit dem Patienten oder deren Angehörigen zu besprechen. Mit dem Erkennen von Problemen und dem ernsthaften Versuch, diese zu lösen, zeigen wir Verantwortung und Kompetenz.