Endodontologie 14.11.2014
Adhäsive Techniken in der Zahnerhaltung
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Mit der Entwicklung der adhäsiven Zahnmedizin wurde die Zahnmedizin revolutioniert. Die minimalinvasive Füllungstechnik wurde erst dank der adhäsiven Befestigung auf der Zahnoberfläche möglich. Die Patienten können heute stark von neuen Techniken profitieren, die die Zahnhartsubstanz schonen.
Dabei ist nachvollziehbar, dass die Risiken für den Zahn umso kleiner sind, je schonender bei der Zahnversorgung vorgegangen wird. Der Erfolg der adhäsiven Restauration ist maßgeblich abhängig von der richtigen Anwendung der Haftvermittler. Es ist im Rahmen des vorliegenden Artikels nicht möglich, alle Indikationsbeispiele für adhäsive Techniken zu erläutern. Es soll aber an ausgewählten Fällen gezeigt werden, was heute im Rahmen der adhäsiven minimalinvasiven Zahnmedizin möglich ist.
Grundlagen
Damit die adhäsive Restauration funktioniert, ist die korrekte Anwendung des Haftvermittlers (Adhäsivs) entscheidend. Das scheint auf den ersten Blick trivial zu sein, ist es aber in der Praxis nicht. Denn die unterschiedlichen Produkte auf dem Markt müssen stets gemäß Packungsanweisung verwendet werden. Dabei sollte zwingend auf einige Details wie Einwirkzeit, Art des Verblasens etc. geachtet werden. Zusätzlich erschwerend kommt die Patientensituation dazu (Zugang, Trockenlegen etc.). Man unterscheidet heute zwei Hauptgruppen von Adhäsivsystemen:
- Haftvermittler, bei welchen die Zahnoberfläche mit einer Säure geätzt und diese im Anschluss mit Wasserspray entfernt wird (Etch&Rinse-Systeme).
- Haftvermittler, bei welchen auf ein separates Ätzen mit Phosphorsäure verzichtet werden kann (selbstätzende Systeme oder Self-Etch-Systeme)
Ungeachtet dessen, was die Industrie verspricht, werden die besten Haftwerte auf Schmelz nach wie vor nach einer Ätzung mit Phosphorsäure erreicht. Deshalb gilt v.a. im ästhetischen Bereich: Schmelz immer ätzen, auch bei Haftvermittlern, bei welchen auf die Schmelzätzung verzichtet werden kann. Aber Achtung: Wenn zusätzlich Dentin exponiert ist, muss darauf geachtet werden, dass bei den selbstätzenden Systemen keine Phosphorsäure auf das Dentin gelangt, da sonst die Haftkraft deutlich abnimmt.
Bei der Haftung auf Dentin sind heute die Self-Etching-Systeme gut. Ihr Vorteil liegt v.a. darin, dass es zu weniger postoperativen Hypersensibilitäten kommt. Vorsicht ist einzig nach wie vor bei den Einflaschensystemen gegeben. Die Self-Etching-Systeme, die aus einer ein zigen Adhäsivkomponente (Einflaschensystem) bestehen, stellen eine enorm heterogene Gruppe dar, was den langfristigen Haftverbund angeht. Deshalb können diese Produkte nicht vorbehaltlos empfohlen werden.
Die Haftvermittlerflasche sollte vor Gebrauch kurz geschüttelt und das Adhäsiv stets frisch aus dem Behälter entnommen werden. Es empfiehlt sich, davon abzusehen, das Adhäsiv über Minuten in einem lichtgeschützten Behälter (z.B. Viviapad) zu lagern, bevor es gebraucht wird (Gefahr der Evaporation von Lösungsmitteln und all fälliger Phasenseparation des Adhäsivs). Bei Adhäsivsystemen und Kompositzementen, welche im Kühlschrank gelagert werden, ist es von Vorteil, diese möglichst rasch ins Behandlungszimmer zu nehmen, da die Konversionsrate (Polymerisationsgrad) bei Raumtemperatur höher ist. Eine suffiziente Polymerisation des Haftvermittlers, Komposits und Kompositzements ist wichtig, um eine hochwertige Restauration zu erhalten (bessere Haftkraft, weniger Verfärbung). Deshalb ist es empfohlen, den Lichtleiter kontinuierlich auf seine Sauberkeit und Unversehrtheit hin zu prüfen. Zusätzlich sollte die Lichtleistung der Polymerisationslampe regelmäßig geprüft werden, um einen etwaigen Verlust der Lichtintensität recht zeitig zu erkennen.
„Kratztests“ oder ähnliche Methoden sind diesbezüglich nicht zuverlässig! Ganz wichtig ist nach wie vor, dass das Arbeitsfeld gut isoliert ist, wobei der Kofferdam sicherlich die beste Lösung zur Trockenlegung ist. In gewissen Situationen leisten aber auch Wangenabhalter (z.B. Optragate) oder spezielle Wattepads (z.B. DryTips) gute Dienste.
Zahnverbreiterungen
Das beste Beispiel für minimalinvasive Zahnmedizin stellt sicherlich die rein additive Veränderung der Zahnform dar. Dabei wird die Zahnoberfläche nur gereinigt und das Adhäsiv ohne vorgängige Präparation des Zahnes aufgebracht. In jedem Fall muss in diesen Situationen der Zahnschmelz mit Phosphorsäure geätzt werden. Idealerweise wird ein Etch&Rinse-Adhäsiv verwendet. Bei der Applikation des Haftvermittlers ist entscheidend, dass das Adhäsiv in die Mikrostruktur des Zahnes penetrieren kann, bevor es ausgehärtet wird.
Je nach Situation kann das Kompositmaterial frei Hand geschichtet werden (Abb. 1a und b), oder man kann sich mithilfe eines Silikonschlüssels die Formgestaltung erleichtern. Die Vorteile der rein additiven Formveränderung liegen auf der Hand: Die Veränderung ist reversibel und kann bei Nichtgefallen jederzeit geändert werden. Kommt es zu einem etwaigen Misserfolg, kann die Restauration einfach repariert werden. Gerade bei umfassenden Formveränderungen von Zähnen (z.B. bei Nichtanlagen) kann es sinnvoll sein, zunächst die Zähne mit Komposit zu versorgen und die Situation einige Jahre zu belassen, bevor dann später mit Keramikschalen die Zähne „definitiv“ versorgt werden (Abb. 2a und b). Mit diesem Vorgehen kann sich der Patient an das neue „Lächeln“ gewöhnen, und die Kompositfüllungen dienen als Vorlage für die definitive Gestaltung der Keramikarbeiten.
Traumazähne: Reattachment
Es ist sinnvoll, den Patienten mittels Merkblättern oder mit entsprechenden Artikeln auf der Praxis-Homepage mitzuteilen, dass sie im Falle einer Zahnfraktur das abgebrochene Fragment feucht lagern und unbedingt alle abgebrochenen Zahnstücke in die Praxis mitbringen sollen. Die optisch schönste Zahnfüllung bei einem Trauma ist diejenige, die mit der eigenen Zahnhartsubstanz erfolgt. Wenn man ein Zahnfragment erneut am Zahn befestigen will, kommen adhäsive Techniken zur Anwendung, wie sie beim Befestigen von Veneerschalen angewendet werden (in der Regel reichen rein lichthärtende Kompositmaterialien). Wichtig ist, dass das Fragment sicher reponierbar ist. Dazu muss das Teilstück einprobiert werden. Bei unklarer Positionierung kann es hilfreich sein, sich einen Positionierschlüssel über die Schneidekante mit einem Pattern Resin- oder Flowable-Material zu machen (Abb. 3). Das Fragment ist in der Regel einfacher zu positionieren, wenn die Kanten nicht präpariert oder abgerundet werden. Das Fragment muss für das Reattachement rehydriert sein. Die Literatur liefert leider keine präzise Zeitangabe, wie lange das Bruchstück nach trockener Lagerung rehydriert werden muss, damit der Haftverbund gut funktioniert. Für die Praxis gilt, dass das Fragment möglichst rasch feucht gelagert wird, während der Patient für die Behandlung vorbereitet wird.
Der Zahn, aber auch das Zahnfragment, wird entsprechend den Vorgaben des Adhäsivsystems behandelt. Bei einem Adhäsivsystem mit hohem Fülleranteil wird auf die Lichtpolymerisation vor der Befestigung des Fragmentes verzichtet und das Adhäsiv wird dann zu sammen mit dem Zement oder Flowable (evtl. auch vorgewärmtes oder schallaktiviertes Komposit) zusammen ausgehärtet. Ist bei der Nachkontrolle die Klebefuge sichtbar, kann diese leicht anpräpariert und mit Kompositmaterial maskiert werden. Die Wiederbefestigung von frakturierten Zahnfragmenten führt zu ästhetisch guten Ergebnissen und die Akzeptanz seitens des Patienten ist sehr hoch (Abb. 4a und b).
Klebebrücken
Marylandbrücken hatten lange Zeit einen schlechten Ruf. Oftmals kam es zur einseitigen Dezementierung und das Metallgerüst schimmerte gerne durch die Pfeilerzähne hindurch. Dank leistungsstarker Keramiken, aber auch durch die Weiterentwicklung von faserverstärkten Komposits, haben die Klebebrücken einen neuen Aufschwung erfahren. Die minimalinvasive Technik und die Erkenntnis, dass im Frontzahnbereich einflüglige Brücken eine sehr gute Prognose haben, machen die Anfertigung von Klebebrücken in der Praxis interessant. Eine gute Adhäsion ist v.a. bei Zirkondioxidkeramik nicht einfach zu erzielen. Eine Vorbehandlung mit CoJet und nachfolgender Silanisierung scheint die zuverlässigsten Haftwerte zu erzielen. Wichtig ist auch hier, dass die Trockenlegung während der Befestigung gewährleistet ist. Gerade im Unterkiefer müssen linguale „Klebearme“ als eher kritisch eingestuft werden, da die Einsicht für den Behandler meist eingeschränkt und die Trockenlegung erschwert ist (Abb. 5).
Keramikklebebrücken im Frontzahnbereich können heute ästhetisch sehr gute Resultate erzielen (Abb. 6a und b). Im Sinne von kostengünstigen Alternativen oder langzeitprovisorischen Lösungen können heute mittels direkter Kompositklebebrücken Patienten neue Behandlungsmethoden angeboten werden (Abb. 7a–c). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verarbeitung der Fasermaterialien (z.B. Everstick oder Dentapreg) nicht ganz einfach ist und eine entsprechende Fertigkeit vom Zahnarzt verlangt. Es ist durchaus möglich, diese faserverstärkten Kompositbrücken vom Zahntechniker herstellen zu lassen. Nachteilig ist einzig, dass man bei der indirekten Methode die Einschubrichtung berücksichtigen und allenfalls Zahnhartsubstanz wegpräparieren muss. Die Materialauswahl sollte mit dem Zahntechniker besprochen werden. Es ist entscheidend, dass die Glasfasern industriell mit der Kompositmatrix benetzt werden, da ansonsten eine Abplatzung des Verblendkomposits riskiert wird.
Proximal Box Elevation (PBE)
Die Idee bei der sogenannten Proximal Box Elevation oder auch Marginal Elevation ist es, bei sehr ausgedehnten Defekten, den approximalen Kasten mit einem ersten Inkrement aus Komposit nach koronal zu verschieben, damit dann in einem zweiten Schritt die definitive Komposit- oder auch die Keramikrestauration (Abb. 8) unter optimalen Bedingungen gelegt werden kann. Im Falle der Kompositfüllung ist die Gestaltung des Kontaktpunktes vereinfacht, da der Keil dank PBE nicht die Matrize eindrückt. Bei der Keramikfüllung ist erstens die Darstellung des Präparationsrandes einfacher (z.B. bei CEREC-Restaurationen) und zweitens kann die Zementierung unter optimaler Trockenlegung erfolgen. Die Technik funktioniert in der Praxis durchaus – Grundvoraussetzung ist dabei, dass das erste Kompositinkrement unter suffizienter Trockenlegung erfolgt. Dies kann mit speziellen blutstillenden Pasten erfolgen oder auch unter Verwendung des Lasers. Zudem können relativ steife Matrizen gut in den Sulcus gelegt werden, um die PBE durchzuführen. Obschon die biologische Breite bei dieser Technik unterschritten werden kann, scheint es bei adäquatem Randschluss möglich zu sein, ein langfristig stabiles Resultat zu erzielen.
Zusammenfassung
Die adhäsive Zahnmedizin macht nach wie vor große Schritte bezüglich Erweiterung des Behandlungsspektrums. Ziel bei allen vorgestellten Techniken ist es, möglichst viel Zahnhartsubstanz zu erhalten, auf unnötige endodontische Behandlungen und Stiftinsertionen zu verzichten und somit eine möglichst lange Lebensdauer des Zahnes zu ermöglichen. Die vorgestellten Techniken decken längst nicht das ganze Spektrum ab, sollen aber moderne Ansätze in der Zahnerhaltung aufzeigen. Wie bei allen anderen zahnmedizinischen Fachgebieten gilt aber auch hier: Es liegt in der Fertigkeit und Indikationsstellung des Zahnarztes, ob die adhäsive Restaurationstechnik funktioniert. Die modernsten Techniken weisen Misserfolge auf, wenn man sich zu wenig Zeit für eine adäquate Behandlung nimmt oder die Grundkonzepte bei der Behandlung missachtet (Abb.9a und b).