Zahntechnik 08.10.2014

Eine komplexe Restauration und ein schlüssiges Konzept



Eine komplexe Restauration und ein schlüssiges Konzept

Nur mit einem konzeptionell durchdachten Vorgehen können in der Zahnmedizin nachhaltige Ergebnisse erzielt werden. Der folgende Artikel zeigt dies anhand eines umfangreichen und strukturierten Behandlungskonzeptes mit einem gelungenen ästhetischen und funktionellen Ergebnis. Die Grundlage für die Versorgung bildete ein exakt aufeinander abgestimmtes Materialsystem.

Konzipieren bedeutet, eine Grundvorstellung von etwas zu erhalten oder etwas zu entwerfen. Vom lateinischen Wort „conceptus“ abgeleitet, beschreibt es die „Zusammenfassung“ beziehungsweise den „Vorsatz“.

Praxis- und Behandlungskonzept

Bestimmendes Element in unserem Praxiskonzept sind „Freiräume“. Nichts ist nur schwarz oder nur weiß – ein Blick über den Tellerrand eröffnet neue Perspektiven. Nach diesem Denkmodell arbeiten wir mit unseren Patienten sowie beim Management unserer Praxis. Ohne ein strukturiertes Vorgehen bei der Behandlung kann schnell eine unübersichtliche Situation entstehen, die den Arbeitsablauf lähmt und das effektive Erreichen eines Resultates verhindert. Mit nachfolgendem Patientenfall soll aufgezeigt werden, wie sich zum strukturierten Behandlungskonzept ein ebenso durchdachtes Materialkonzept gesellt.

Materialkonzept

Wir arbeiten seit Jahren mit dem IPS e.max®-System und können hiermit eine Vielzahl der Indikationen abdecken. Die Produkte sind von der Anfertigung bis zur Befestigung und Nachsorge exakt aufeinander abgestimmt. Die wissenschaftlich fundierte Datenlage garantiert die notwendige Sicherheit. Für uns ist es wichtig, mit einem Materialsystem zu arbeiten, das sich gut in unser Praxiskonzept einfügt; es sollte schlüssig aufgebaut sein und effektive Arbeitsabläufe gewährleisten.

Patientenfall

Die Patientin stellte sich erstmals im März 2009 in unserer Praxis vor. Sie zeigte sich unzufrieden mit ihrer oralen Situation und konsultierte uns mit dem Anliegen, ihre prothetischen Versorgungen erneuern zu lassen. Es wurde ein Zahn- und Parodontalstatus erhoben sowie eine funktionsdiagnostische und röntgenologische Untersuchung vorgenommen. Die Situation war von insuffizienten prothetischen Versorgungen geprägt (Abb. 1). Teilweise waren die metallkeramischen Restaurationen frakturiert, Ränder lagen frei. Folge war unter anderem eine abgesunkene Bisslage. Außerdem diagnostizierten wir ausgeprägte parodontologische Defekte mit generalisiertem horizontalen Knochenabbau und teilweise vertikalen Einbrüchen. Besonders das Weichgewebe im oberen Frontzahnbereich zeigte entzündliche Veränderungen, begünstigt durch den mangelhaften Randschluss der Kronen. Der Unterkieferseitenzahnbereich von Zahn 44 bis 47 war mit einer Brücke versorgt; Zahn 44 war gelockert und von seiner Wurzel ging eine Fistel aus. Der Kieferkamm war vertikal so stark atrophiert, dass knochenaufbauende Maßnahmen nicht umgangen werden konnten (Abb. 2).

Planung

Für die prothetische Planung wurden Situationsmodelle sowie ein Fotostatus angefertigt. Es folgten Modellanalyse, Fotoanalyse, Digital Smile Design, Wax-up, Mock-up sowie die Therapieplanung. Die Art der Therapieempfehlung istebenfalls ein konstitutives Element unseres Praxiskonzeptes. Wir bieten jedem unserer Patienten das „ästhetische und funktionelle Optimum“ an. Anhand der objektiven Kriterien schlagen wir ihm verschiedene Therapieoptionen vor. Das „Optimum“ ist eines der drei angebotenen Therapieziele, wobei auch die Alternativen im Ergebnis nur wenig von diesem Level abweichen. Alle entsprechen einer hochwertigen State of the Art-Versorgung. In diesem Fall entschied sich die Patientin für folgendes Behandlungskonzept:

  • Hygienisierung und parodontologische Behandlung
  • Entfernung der Brücke von Zahn 44 bis 47, Extraktion des Zahnes 44 sowie Knochenaufbau in Regio 44 bis 46
  • provisorische Brücke von Zahn 43 bis 47
  • funktionelle Kiefergelenkvermessung
  • 3-D-Röntgenbild für die Planung der Implantatpositionen
  • Implantatinsertion im Unterkieferseitenzahnbereich mit Knochenaufbau
  • Langzeitprovisorien im Unterkiefer mit schrittweiser Bisshebung in zentrischer Okklusion
  • Implantate im Oberkieferseitenzahnbereich mit externem Sinuslift
  • minimalinvasive chirurgische Kronenverlängerung unter Beachtung der biologischen Breite
  • Langzeitprovisorien im Oberkiefer mit schrittweiser Bisshebung in zentrischer Okklusion
  • mindestens sechs Monate Tragezeit der Langzeitprovisorien
  • definitive prothetische Umsetzung in zentrischer Okklusion

Der Zahn 17 war aufgrund fehlender Abstützung stark rotiert. Da für die Patientin eine kieferorthopädische Behandlung nicht infrage kam, wurde erörtert, ob der Zahn überkront werden sollte. Allerdings sprach das unbegründete Beschleifen gesunder Zahnhartsubstanz dagegen. Wäre der Zahn zum damaligen Zeitpunkt mit in die prothetische Versorgung einbezogen worden, hätte dies eine massive Präparation gesunder Zahnhartsubstanz erfordert und das Risiko einer endodontischen Komplikation hervorgerufen.

Präprothetische Behandlung

Die parodontologischen Schädigungen wurden nach Vorbehandlung (PZR und Mundhygieneinstruktion) im Verlauf einer engmaschigen Therapie mit umfassenden Maßnahmen (Deep Scaling etc.) behandelt. Nach der Hygienisierung des sub- und supragingivalen Bereiches bildeten sich entzündungsfreie Weichgewebsverhältnisse. Nach Abnahme der Brücke von Zahn 44 bis 47 wurde der Zahn 44 vorsichtig extrahiert und eine Zyste entfernt. Um eine knöcherne Grundlage für die Implantate zu erhalten, wurde der Kieferkamm bei diesem Eingriff mit Knochenersatzmaterial sowie mit einer geschlossenen Membran aufgebaut. Nach dem operativen Eingriff wurden Eierschalenprovisorien unterfüttert und eingesetzt (Telio CAD). Sechs Monate später erfolgte die Insertion der Implantate in Regio 44, 45 und 46 sowie 35 und 36 in mehreren Schritten. Der aufgebaute Kieferkamm in Regio 44 bis 46 bot ein stabiles Fundament. Das erarbeitete Wax-up beinhaltete die konzeptionellen Gedanken hinsichtlich Form und Funktion. Basierend darauf wurden im Labor provisorische Kronen und Brücken angefertigt. Die provisorische Versorgung der Unterkieferfrontzähne erfolgte mit der direkten Composite-Technik über eine Schiene. Im Oberkiefer wurden in Regio 15 und 16 nach einem externen Sinuslift zwei Implantate inseriert.

Nach deren Einheilphase und Freilegung folgten die Präparation der Oberkieferzähne und die Vorbereitung der Stümpfe für die Aufnahme von Langzeitprovisorien. Um für die spätere definitive prothetische Versorgung natürlich verlaufende Weichgewebskonturen zu erhalten, wurde im Frontzahnbereich 12 bis 22 eine minimalinvasive chirurgische Kronenverlängerung unter Beachtung der biologischen Breite vorgenommen (Abb. 3). Vom Zahntechniker wurden Langzeitprovisorien (Telio CAD) gefertigt, die kurze Zeit später eingegliedert werden konnten. So erfolgte in zwei Teilschritten eine Erhöhung der Bisslage in zentrischer Okklusion. Die funktionelle Grundlage für die Erstellung der Langzeitprovisorien bildete eine computergestützte Funktionsdiagnostik mit dem CADIAX-System. Nach der Adaptionsphase wurden die Bisssituation neu bewertet und die Langzeitprovisorien korrigiert (Abb. 4). Nach einer Tragezeit von zehn Monaten erfolgte die Weiterbehandlung. Während dieser Phase kam die Patientin regelmäßig zur Kontrolle und Prophylaxe in die Praxis.

Prothetische Behandlung

Die Implantate waren mit individuellen Zirkoniumoxidabutments versorgt. Der Gingivaverlauf im Frontzahnbereich präsentierte sich nach der minimalinvasiven chirurgischen Kronenverlängerung sauber und natürlich. Jetzt waren alle Risiken beseitigt: Die Implantate waren eingeheilt, die Weichgewebe ausgeformt und die Patientin funktionell sowie parodontologisch stabil. Die Langzeitstabilität des Gewebes sowie der gesamten oralen Situation bildete die optimale Basis für die definitive Versorgung. Nach Abnahme der Provisorien erfolgte eine Nachpräparation. Das Arbeiten mit der Lupenbrille oder dem Mikroskop ist für uns bei allen Arbeitsschritten Pflicht. Ebenso wichtig für das langzeitstabile Ergebnis ist ein konzeptionelles Vorgehen bei der Präparation. Die Regeln für vollkeramische Restaurationen wurden strikt eingehalten: keine Ecken und Kanten, Stufenpräparation mit abgerundeter Innenkante und ausreichende Dimensionen (Abb. 5 und 6). Mithilfe eines im Labor gefertigten Silikonschlüssels konnte die Präparation überprüft werden. Letztlich wurden die Präparationsgrenzen mit einem Ultraschallansatz nachbearbeitet, Retraktionsfäden in den Sulkus gelegt und die Situation mit einem Polyethermaterial abgeformt. Bei der Beratung zur Zahnfarbe wurde deutlich, was sich die Patientin wünschte: Sie entschied sich für eine helle Zahnfarbe, was mit dem gewählten Materialkonzept keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Trotz des sehr hellen Farbwunsches konnte der Zahntechniker mit der verwendeten Keramik lebendig wirkende Zähne gestalten. Neben der Auswahl der Zahnfarbe wurde deshalb auch die Farbe der Stümpfe bestimmt (Abb. 7).

Labor

Auf Grundlage der korrigierten Langzeitprovisorien erstellte der Zahntechniker die definitiven Einzelzahnkronen. Als Material wählten wir für diese ästhetisch anspruchsvolle Situation die Lithiumdisilikat (LS 2)-Glaskeramik IPS e.max Press. Das Material vereint Ästhetik, Effizienz und zahnsubstanzähnliche Festigkeitswerte. Mittels Presstechnik sowie nachfolgender individueller Keramikschichtung mit IPS e.max Ceram wurde die sukzessiv erarbeitete Situation in Vollkeramik umgesetzt. Die teils verfärbten Stümpfe konnten mit einem Pressrohling in der entsprechenden Opazität ideal kaschiert werden. Die Kronen wurden mit einem Rohling mit niedriger Transluzenz (IPS e.max Press LT BL4) gepresst und über das Cut-back-Verfahren individuell geschichtet. Die Zahnfarbe entsprach abschließend wie gewünscht einer A1 (Abb. 8).

Einsetzen

Als Befestigungsart wurde in diesem Fall überwiegend das adhäsive Vorgehen gewählt. Die provisorischen Restaurationen wurden entfernt und die Stumpfoberflächen von den Resten des provisorischen Befestigungszementes gereinigt. Jede Restauration wurde mit Try-in-Paste im Mund überprüft und das ästhetische Ergebnis bewertet. Es erfolgte eine vorsichtige Okklusionskontrolle. Das Einsetzprotokoll gestaltete sich wie folgt:

  • Restaurationen 13 bis 23 adhäsiv mit Variolink® II
  • Restaurationen 14 bis 27, 34, 37, 33 bis 43, 47 adhäsiv mit Multilink® Automix
  • Restaurationen (implantatgetragene Kronen) Regio 15, 16, 35, 36, 44 bis 46 mit Glasionomer-Befestigungszement

Entsprechend der Herstellerangaben wurden die vollkeramischen Kronen definitiv eingesetzt. Anschließend wurden die Okklusion sowie die Funktion überprüft und eine finale Politur der Ränder sowie der gesamten Restaurationen vorgenommen (Abb. 9 bis 11). Die Patientin wurde mit einer Schutzschiene aus der Praxis entlassen.

Ergebnis

Die Restaurationen gliederten sich ideal in die Mund- und Gesichtssituation der Patientin ein (Abb. 12 und 13). Das Weichgewebe war entzündungsfrei und die Papillen waren schon in diesem frühen Stadium nahezu verschlossen. Alle funktionellen Parameter wurden individuell angepasst und entsprachen den Wünschen der Patientin. In den folgenden Monaten konsultierte sie uns in regelmäßigen Recalls und zeigte hierbei keinerlei Beschwerden oder funktionelle Interferenzen während des Kauens. Die helle Zahnfarbe war von der Patientin erwünscht, entsprach ihren Vorstellungen und passt auch unserer Meinung nach gut in das Gesamtbild. Betrachtet man den Zahn 17 im Abschlussbild (Abb. 10), wird bestätigt, dass der Erhalt des Zahnes der richtige Weg war. Der Zahn rotiert und elongiert nach und nach in die Zahnreihe. Sicherlich wäre die kieferorthopädische Behandlung eine elegante Lösung gewesen, doch die Patientin wollte diese zusätzliche Therapie umgehen. So weist die Natur den Weg; in einigen Monaten wird der Zahn voraussichtlich über ein Table Top in die Zahnreihe inkliniert werden können. Zahn 38 galt während der therapeutischen Phase als „Rettungsanker“. Im Fall, dass die Implantate nicht erfolgreich eingeheilt wären, hätte er als Pfeiler für eine Brückenversorgung fungieren können. Daher wurde er während der Behandlung nur zwischenversorgt und wird nun – nach erfolgreicher Einheilphase – entfernt.

Schlussfolgerung

Ein ästhetisch orientiertes Behandlungskonzept auf funktioneller Basis ergibt sich aus einer Sinfonie vieler Einzeldisziplinen. Gerade bei umfangreichen Restaurationen ist ein durchdachtes und schlüssiges Behandlungskonzept die Grundlage für ein gelungenes Ergebnis. Wird hierzu das passende Materialsystem gewählt, werden Restaurationen möglich, die funktionell sowie ästhetisch alle geforderten Kriterien erfüllen. Doch trotz aller Konzepte – das Behandlungsteam sollte sich immer einen gewissen Freiraum lassen, denn jeder Patientenfall ist individuell und bedarf eines gesonderten Vorgehens. Derart komplexe Arbeiten sind nur in einem ausgezeichneten Team möglich. Die implantologische Umsetzung dieses Patientenfalles führte mein Praxispartner Dr. Nico Lindemann aus. Die zahntechnische Umsetzung erfolgte durch Zahntechniker Frank Zalich.

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