Implantologie 19.10.2015

Bedingt herausnehmbare Brücke auf sechs Implantaten



Bedingt herausnehmbare Brücke auf sechs Implantaten

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Die implantatprothetische Versorgung älterer Patienten rückt durch den demografischen Wandel in den meisten hoch entwickelten Industriestaaten vermehrt in den Mittelpunkt des fachlichen Interesses. Dass die damit verbundenen Weiterentwicklungen in der Implantologie eine vorhersehbare Versorgung auf wenigen Implantaten ohne umfangreiche Vorbehandlungsmaßnahmen ermöglichen, zeigt der folgende Fallbericht einer 73-jährigen Patientin.

Die Patientin stellte sich in unserer Praxis mit dem Wunsch nach einer festsitzenden Versorgung im Oberkiefer vor. Sie war seit zwölf Jahren mit einer schleimhautgelagerten Teilprothese versorgt. Diese war am letzten noch vorhandenen Zahn 27 mittels gebogener Halteelemente fixiert (Abb. 1). Im Unterkiefer war die Patientin ebenfalls mit einer herausnehmbaren Teilprothese versorgt, die mittels gebogener Halteelemente auf den drei Restzähnen 33, 32 und 43 befestigt war.

Diagnostik

Der Ankerzahn 27 war aufgrund des Verlustes parodontaler Haltegewebe und seines hohen Lockerungsgrades (Grad II) nicht mehr erhaltungswürdig. Obwohl die Zähne im Oberkiefer aufgrund einer Parodontalerkrankung verloren gegangen waren, konnte röntgenologisch ein ausreichendes Knochenangebot ermittelt werden (Abb. 2). Eine digitale Volumentomografie (DVT) bestätigte den Röntgenbefund.

Therapieplanung

Nach eingehender Aufklärung der Patientin entschlossen wir uns für eine Versorgung mit insgesamt sechs Implantaten und einer bedingt herausnehmbaren verschraubten prothetischen Rekonstruktion aus Zirkondioxid-Keramik. Aufgrund des ausreichend dimensionierten Knochenlagers waren keine aufwendigen Augmentationsmaßnahmen notwendig. In Anlehnung an das „All-on-Six“-Konzept (Pomares 2010) wurde eine Insertion von sechs wurzelförmigen Implantaten (BEGO Semados® RSX, BEGO Implant Systems GmbH & Co. KG, Deutschland) geplant. Abweichend von dem oben genannten Behandlungskonzept wurde die Implantatinsertion nicht transgingival, sondern unter Bildung eines Mukoperiostlappens geplant, um eine ausreichende Sicht auf das OP-Feld zu ermöglichen. Weiterhin sollte die Belastung der Implantate nicht sofort, sondern erst nach Ablauf einer zweimonatigen geschlossenen Einheilung verzögert erfolgen. Die prothetische Versorgung nach Freilegung der Implantate sollte mit einer verschraubten provisorischen Brücke erfolgen. Die definitive Versorgung sollte nach Ablauf einer drei- bis sechsmonatigen Tragezeit der Interimsbrücke mit einer bedingt abnehmbaren Brückenrekonstruktion aus Zirkondioxid auf Sub-Tec MultiPlus-Aufbauten (BEGO Implant Systems GmbH & Co. KG, Deutschland) durchgeführt werden.

Operatives Vorgehen

Nach Bildung eines Mukoperiostlappens wurden unter Lokalanästhesie in Regio 14, 12, 11, 22, 23, 25 insgesamt sechs Implantate in einer Sitzung inseriert. In Regio 14 wurde ein Implantat mit 15 mm Länge und 4,5 mm Durchmesser gewählt. In Regio 12, 23 und 25 erfolgte die Insertion von Implantaten mit einem Durchmesser von 4,1 mm und einer Länge von 13 mm, während im Bereich der Schneidezähne 11 und 22 Implantate mit der gleichen Länge, aber mit einem geringeren Durchmesser von 3,75 mm verwendet wurden. Das relativ gute Knochenangebot ließ es zu, dass die beiden endständigen Implantate in Regio 14 und 25 nicht wie in der Mehrzahl der Patientenfälle anguliert, sondern parallel zu den übrigen Implantaten inseriert werden konnten. Nach Abschluss der Implantatinsertion wurden die Implantate mit Verschlussschrauben versehen und die Mukoperiostlappen anschließend spannungsfrei adaptiert und mittels Einzelnähten dicht miteinander vernäht (Abb. 3 bis 5). Die postoperativ angefertigte Panoramaschichtaufnahme zeigte eine gute Positionierung der Implantate im Alveolarknochen (Abb. 6). Obwohl Parallelpins verwendet wurden, konnte nicht bei allen Implantaten eine optimale achsengerechte Ausrichtung erzielt werden. Auf der Übersichtsröntgenaufnahme war ersichtlich, dass die Implantate in Regio 12, 11 und 22 im Vergleich zu den übrigen Implantaten leicht nach mesial anguliert eingesetzt worden waren. Der prothetische Ausgleich der geringgradigen Implantatdivergenzen konnte mittels der systemeigenen Aufbauten im Labor auf elegante Weise ermöglicht werden. Zahn 27 wurde während der zweimonatigen Einheilphase der Implantate zunächst zur Stabilisierung der Teilprothese erhalten. Die Prothese der Patientin wurde unterfüttert und diente bis zur Freilegung der Implantate als Provisorium.

Versorgung

Die Abformung für die Herstellung der Interimsbrücke erfolgte nach Ablauf der zweimonatigen Einheilzeit im offenen Verfahren mittels eines individuellen Abformlöffels. Dazu wurden farbcodierte Abformpfosten für die unterschiedlichen Implantatdurchmesser verwendet. Als Abformmaterial diente das A-Silikon Variotime Putty/Variotime Light Flow (Heraeus Kulzer GmbH, Hanau, Deutschland), das sich durch eine kurze Abbindezeit im Mund, eine hohe finale Härte und eine sehr gute Dimensionsstabilität auszeichnet (Abb. 7). Anhand der Abformung erfolgte anschließend die Herstellung des Meistermodells im Labor. Nach Auftragen der Zahnfleischmaske wurden die Abutments eingesetzt und auf diese anschließend die Aufbauten geschraubt (Abb. 8 und 9). Bei Implantaten im Frontzahnbereich ist aus ästhetischen Gründen die palatinale Positionierung der Befestigungsschrauben ein wichtiges Behandlungsziel. Das MultiPlus-System bietet zu diesem Zweck angulierte Abutments an. Auf den vier vorderen Implantaten wurden aus diesem Grund vier um 20 Grad angulierte Abutments verwendet, während auf den beiden distalen Implantaten gerade Aufbauten eingesetzt werden konnten (Abb. 8). Ausbrennfähige Aufwachshülsen aus Polyoxymethylen (POM; Abb. 9) wurden als Verbindungselemente für die Wachsmodellation des Metallgerüsts der Interimsversorgung verwendet (Abb. 10 und 11). Als Verblendung dienten vorfabrizierte Kunststoffverblendschalen (artVeneer, Merz Dental GmbH, Deutschland), die sich durch eine sehr gute Ästhetik auszeichnen. Vor Einsetzen der Interimsbrücke wurden die Abutments mit einem Torque von 30 Ncm auf den Implantaten verschraubt. Die Verschraubung der provisorischen Brücke auf den Abutments erfolgte anschließend entsprechend den Herstellerangaben mit 20 Ncm. Die abschließende Kontrolle der Funktion und Ästhetik ergab ein gutes klinisches Ergebnis (Abb. 12 und 13). Nach einer Tragedauer von vier Monaten, in welcher sich das Hart- und Weichgewebe im OP-Gebiet konsolidieren konnte, erfolgte die definitive prothetische Versorgung mit einer mittels CAD/CAM-hergestellten Zirkondioxid-Brücke. Diese wurde aus einem polychromen Hochleistungs-Zirkondioxid-Rohling hergestellt (Katana Zirconia Multi Layered ML, Kuraray Noritake Dental Inc., Japan; Abb. 14). Diese Rohlinge werden in einem speziellen Schichtverfahren ab Werk bereits mit Zahnschmelz-, Dentin- und Zahnhalsfarbabstufungen geliefert, wodurch ein natürlicher Farbverlauf bereits beim Zirkondioxid-Gerüst erzielt wird (Abb. 15). Die Herstellung des CAD/CAM-gefertigten Brückengerüsts erfolgte mittels der Software dentCare! (REITEL Feinwerktechnik GmbH, Bad Essen, Deutschland). Eine Individualisierung der vestibulären Flächen der Rekonstruktion wurde mittels Bemalung der Keramik erreicht. Mehrere Brennvorgänge führten schließlich zu einer homogenen porenfreien Oberfläche und zu exzellenten optischen Eigenschaften (Abb. 16). Anschließend wurden die MultiPlus-Titan-Abutments mittels dualhärtendem Kompositzement (PermaCem 2.0, DMG Dental-Material GmbH, Hamburg, Deutschland) auf dem Zirkondioxid-Gerüst verklebt (Abb. 17). Zuvor wurden die Titanpfosten mit Wachs ausgeblockt und mit Aluminiumoxid gesandstrahlt. Das Sandstrahlen der Oberfläche dient dazu, mechanische Mikroretentionen für eine optimale Verbindung zwischen Metall und Kompositzement zu erhalten. Die Ausarbeitung und Politur der zervikalen Übergangszonen ergab eine hochwertige fugenfreie Verbindung zwischen Abutment und Gerüst (Abb. 18 und 19). Abbildung 20 zeigt die endgültige Versorgung nach Eingliederung. Da die wichtigen klinischen Parameter „Zahnlänge, Zahnaufstellung, Ästhetik, Sprache und Kaufunktion“ bereits zum Zeitpunkt der temporären Versorgung ausgetestet und auf die endgültige prothetische Suprakonstruktion übertragen worden waren, gestaltete sich die Eingliederung des Zahnersatzes in funktioneller und ästhetischer Hinsicht weitestgehend unproblematisch (Abb. 21 und 22). Sollten dennoch Korrekturen notwendig sein, ermöglicht die bedingt herausnehmbare Suprakonstruktion ohne großen Aufwand eine Bearbeitung und Nachbesserung außerhalb des Mundes. Die nach Eingliederung des Zahnersatzes gefertigte Panoramaschichtaufnahme zeigte stabile Knochenverhältnisse und eine optimale Passung der Konstruktion (Abb. 23).

Diskussion

Bei der Versorgung mit implantatgetragenem Zahnersatz stellen laut der aktuell gültigen S3-Leitlinie „Implantatprothetische Versorgung des zahnlosen Oberkiefers“ der Arbeitsgemeinschaft Medizinischer Fachgesellschaften e.V. (AWMF) Periimplantitiden/Mukositiden mit einem nachfolgenden Verlust der Osseointegration sowie Lockerungen/Frakturen von Implantat- und Zahnersatzkomponenten mögliche biologische und technische Langzeitkomplikationen dar (Schley et al. 2013). Bedingt herausnehmbare prothetische Suprakonstruktionen sind im Falle solcher Komplikationen eine ideale Versorgung, da durch die Entfernbarkeit der Rekonstruktion für den Zahnarzt ein guter Zugang zu den Implantaten besteht und Reparaturen außerhalb der Mundhöhle ermöglicht werden. Die Verwendung einer reduzierten Anzahl Implantate wie im vorliegenden klinischen Fall, entspricht den derzeit verfügbaren Erkenntnissen und bildet den aktuellen Trend in der Implantologie ab. Ergebnissen einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit zufolge konnten bei Verwendung von vier bis sechs Implantaten über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer hohe kumulative Erfolgsraten ermittelt werden (Mericske-Stern und Worni 2014). Sogar bei Patienten mit mittleren und hohen Knochenresorptionsraten waren gute klinische Langzeitergebnisse mit bedingt herausnehmbaren, verschraubten Prothesen auf vier bis sechs mittels Stegen verblockten Implantaten im zahnlosen Oberkiefer zu beobachten (Bueno-Samper et al. 2010). Weitere klinische Untersuchungen konnten zeigen, dass bei verschraubten Oberkiefer-Suprakonstruktionen auch auf sechs unverblockten Implantaten nach einer mittleren Beobachtungsdauer von acht Jahren hohe Erfolgsraten beobachtet werden konnten (Mertens und Steveling 2011). Die Wahl des Belastungsprotokolls kann mitentscheidend für den Erfolg einer implantatgetragenen Versorgung sein, wie ein aktueller systematischer Review ergab (Schimmel et al. 2014). Demnach scheinen die Misserfolgsraten bei sofortbelasteten Implantaten nach Ablauf des ersten Jahres unter Belastung höher zu sein als bei verzögerter bzw. konventioneller Belastung. Aus diesem Grund erschien die verzögerte Belastung der implantatgetragenen Rekonstruktion die günstigere Lösung als eine Sofortbelastung zu sein. Bei Versorgungen mit Vollrestaurationen aus einem Zirkondioxid-Gerüst und geschichteter Keramikverblendungen stellt das Chipping der Verblendungen die häufigste Komplikation dar (Heintze und Rousson 2010). Im vorliegenden Fall wurde daher eine CAD/CAM-gefräste monolithische Zirkondioxid-Brücke ohne geschichtete Keramikverblendung eingesetzt.

Schlussfolgerung

Der vorliegende Fallbericht zeigt, dass die Versorgung mit sechs Implantaten und einer bedingt herausnehmbaren, mittels CAD/CAM hergestellten Brücke aus Zirkondioxid-Keramik zu einem funktionell und ästhetisch ansprechenden klinischen Ergebnis führt. Erst nach einer längeren Tragezeit wird sich hierbei zeigen, inwieweit die in der Literatur beschriebenen technischen und biologischen Komplikationen mit der gewählten Rekonstruktion einerseits vermieden werden können und andererseits bei Eintreten einer Komplikation eine zahnärztliche Intervention ermöglicht wird. Die Übertragung der funktionellen und morphologischen Parameter von der Interimsversorgung auf die Gestaltung der definitiven Rekonstruktion führte zu einem vorhersehbaren klinischen Ergebnis und zu einer hohen Patientenzufriedenheit.

Danksagung

Für das Fräsen der KATANA ML Zirkondioxid-Rohlinge möchten wir uns sehr herzlich bei Herrn ZTM Nondas Vlachopoulos, Athen, bedanken.

Autoren: Dr. med. dent. Kleanthis Manolakis, ZTM Diamantis Tsifoutakos, ZTM Georgios Nikolaou

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