Cosmetic Dentistry 30.10.2012

Gesundheitsrisiken durch Komposite



Gesundheitsrisiken durch Komposite

Foto: © design36 / © rave, bildhandwerk.de

Hüft- und Knieschmerzen, Hausstauballergie oder Beinödeme – Fälle für den Zahnarzt? Auch wenn Komposite im Allgemeinen als gut verträglich gelten, können sie (Mit-)Ursache von Beschwerden und Erkrankungen außerhalb des zahnärztlichen Fachgebietes sein. Mögliche Gründe beschreibt Dr. Just Neiss, Heidelberg. Der erste Teil dieses Beitrages (Dental Tribune German Edition 9/12) behandelte systemische Wirkungen unterschiedlichster Art, ihre Diagnostik und Therapie, die Bedeutung der Verarbeitung der Komposite sowie Fallbeispiele.

Monomere in der Praxis

Die signifikanten Besserungen, die innerhalb kürzester Zeit durch Nachhärten erzielt werden können, lassen vermuten, dass ein hoher Polymerisationsgrad für die Biokompatibilität auch von Kompositen von größter Bedeutung ist – was seit Jahrzehnten bekannt ist: Je höher der Polymerisationsgrad, desto härter und verträglicher ist das Material.8,9,10 Im Prinzip besteht infolgedessen – zumindest theoretisch – ein breiter Konsens über die Notwendigkeit, Monomere auf ein Minimum zu reduzieren. Prothesenkunststoffe betreffend hat diese Erkenntnis längst Eingang in die Zahntechnik und die Praxis gefunden. Was heißt es aber, dieses Wissen auf die lichthärtenden Komposite zu übertragen, bei denen der materialtechnisch bedingte maximale Polymerisationsgrad mit 65 bis 77 Prozent angegeben wird? Es müsste zumindest Einigkeit darin bestehen, dass ein Polymerisationsgrad in dieser Höhe anzustreben ist. Eine solche Zielvorgabe wird aber bereits durch eine Belichtungsempfehlung von 20 oder gar 10 Sekunden gänzlich ad absurdum geführt, die gemäß der ISO-Norm 4049 (Prüfung der Durchhärtungstiefe) völlig korrekt ermittelt wird. Das Problem: Diese Norm entspricht in den nachfolgenden drei wesentlichen Aspekten nicht den klinischen Gegebenheiten, bildet aber die Grundlage für alle Biokompatibilitätsprüfungen nach ISO 10993 (Biologische Beurteilung von Medizinprodukten) und EN ISO 7405. Folge: Sämtliche Biokompatibilitätsprüfungen werden mit Prüfkörpern durchgeführt, die einen deutlich höheren Polymerisationsgrad aufweisen dürften als die Komposite im klinischen Alltag – und damit auch einen höheren Biokompatibilitätsgrad. Begründung:

1. Der in der Praxis nahezu stets vorhandene Abstand zwischen Lichtquelle und Material bleibt in der ISO 4049 völlig unberücksichtigt, spielt aber für den Polymerisationsgrad jeder Kompositschicht eine immense Rolle – insbesondere bei den unteren. Denn die Lichtintensität nimmt mit zunehmendem Abstand signifikant ab: mit dem Quadrat der Entfernung! Bereits der Abstand zwischen Komposit und Höckern, auf denen die LED aufliegt, spielt hier eine Rolle. Selbstverständlich müssen also Kompositschichten in der Tiefe einer Kavität länger (öfter) belichtet werden als an der Oberfläche, um denselben Polymerisationsgrad zu erreichen.11 Anders formuliert: Je tiefer die Kavität, desto höher der Monomergehalt bei gleichbleibender Belichtungszeit.

2. Nach unseren Ergebnissen lassen sich Kompositrestaurationen in der Regel nur in einen biokompatiblen Zustand überführen, wenn sie auch von vestibulär und lingual polymerisiert werden. Mögliche Erklärung: Der Polymerisationsgrad des Bondings und der untersten Kompositschichten an den senkrechten, unebenen oder unter sich gehenden Kavitätenwänden ist zu gering. Denn je flacher der Winkel des auftreffenden Lichtbündels der LED, desto schwächer die Lichtintensität. Schließlich erwarten wir bei tief stehender Sonne ja auch nicht denselben Bräunungseffekt wie um die Mittagszeit.

3. Für ein so wichtiges Material wie das Bonding existiert nicht einmal eine ISO-Norm, nach der die Belichtungszeit zu bestimmen ist. Also prüft man zunächst seine physikalischen Eigenschaften und bestimmt dann die zu empfehlende Belichtungszeit mittels standardisierter Proben auf glattem Trägermaterial. Testen wir nun zum Vergleich ein beliebiges Bonding a) auf einem glatten Probenträger und b) auf Dentin (klinischer Alltag), stellen wir fest, dass die Proben auf Dentin vergleichsweise wesentlich längere Gesamtbelichtungszeiten erfordern. Mögliche Erklärung: Da das Bonding „weit in die Kollagenstruktur des Dentins eindringt“12, kann es dort nur unter erheblich erschwerten Bedingungen vom Polymerisationslicht erreicht werden – zumal dadurch noch ein zusätzlicher Abstand entsteht. Auf diese Weise wird in dieser wichtigen Grenzzone, die per se den größten Abstand zur LED hat, die Lichtintensität noch weiter reduziert. Anmerkung: Unterschiedliche Bondingsysteme zeigen zusätzlich äußerst unterschiedliches Verhalten: Die getesteten einschichtigen All-in-one-Bondings erfordern so viel Gesamtpolymerisationszeit, dass ich auf ihren Einsatz inzwischen vollständig verzichte, die zweischichtigen benötigen im Durchschnitt etwas weniger; mit der relativ kürzesten Belichtungszeit kommen wir bei einem klassischen 3-Flaschen-System aus.

Die Missachtung dieser drei grundlegenden, extrem wichtigen Verarbeitungsfaktoren bei der Erstellung der ISO 4049 resp. der Bestimmung der Belich- tungsempfehlungen, ist nach meinem Verständnis ein grober Verfahrensfehler, der erheblich zur systemischen Nichtbiokompatibilität von Kompositrestaurationen mit weitreichenden Folgen beiträgt. Auch eine sicherheitshalber darin vorgesehene Verdoppelung der minimal für notwendig befundenen Belichtungszeit löst dieses Problem in keiner Weise. Selbst ein Faktor 5 wäre unzureichend. Insbesondere gilt dies für fließfähige Materialien – und ebenso für Bondings. Interessantes Detail: Alte Kompositfüllungen ohne Bonding und Flow testen in der Regel vergleichsweise signifikant weniger unverträglich. Fazit: Die Belichtungsempfehlungen gehen davon aus, dass in der Praxis 1. zwischen LED und Material kein Abstand besteht, 2. stets mit optimalem Belichtungswinkel gearbeitet wird (90°) und 3. Dentin ein glatter Probenträger ist.

Polymerisationsbedingungen


Werfen wir noch einen kritischen Blick auf die Polymerisationsbedingungen im Praxisalltag. Alle Behandler kennen die Schwierigkeiten, im Seitenzahnbereich eine exakte Positionierung des Lichtaustrittsfensters über die gesamte Belichtungsdauer zu gewährleisten, insbesondere wenn der Krümmungswinkel des Lichtleiters bei eingeschränkter Mundöffnung des Patienten nicht optimal ist, sodass das Lichtbündel dann nicht die gesamte Kavität gleichermaßen erreicht. Außerdem ist so man- cher Lichtleiterdurchmesser schlicht zu klein, um größere Kavitäten relevant zu belichten. Wenn zudem im Laufe der Benutzungsjahre die Lampe schwächer geworden ist, das Austrittsfenster verklebt oder verkratzt ist oder ein zusätzlicher Abstand eingehalten wird, um genau dieses zu verhindern, außerdem ein Blendschutz die Kontrolle der Position am Zahn behindert und der Behandler hin und wieder doch der Versuchung erliegt, Schichtdicken von mehr als 2 mm zu legen (cave diagonale Schichtung!), dann darf man wohl davon ausgehen, dass Kompositfüllungen unter Praxisnormalbedingungen einen höheren Monomergehalt aufweisen als uns lieb sein kann. Befestigungskomposite unterliegen selbstverständlich derselben, gesamten Polymerisationsproblematik. Insbesondere erweisen sich die gingivanahen Approximalflächen als die unterbelichtetsten, da dort die ankommende Lichtintensität grundsätzlich am geringsten ist – selbst wenn zusätzlich von vestibulär und lingual polymerisiert wurde. Ergänzend möchte ich an dieser Stelle auf den Abschnitt „Cytotoxicity“ in Schmalz et al.5, S. 111, hinweisen, in dem folgende In-vitro-Ergebnisse an isolierten Zellen zitiert werden: 1. Die Zytotoxizität von Kompositen ist abhängig vom Polymerisationsgrad. 2. Je kürzer polymerisiert, desto zytotoxischer (60, 30, 15 Sekunden). 3. Flowables sind zytotoxischer als Komposite mit höherem Fülleranteil. 4. Bei Dentinadhäsiven wurde in den meisten Fällen eine ausgeprägte Zytotoxizität beobachtet. Der Effekt von unterschiedlichen Polymerisationszeiten auf die Eluierung (Freisetzung) von Monomeren wurde von Polydorou et al.13,14 in zwei Studien untersucht (20, 40 und 80 Sekunden, kein Abstand zwischen LED und Probe). Ergebnis: Je länger die Komposite polymerisiert wurden, desto geringer war die Freisetzung von Monomeren. Im Bemühen um Minimierung von systemischen Wirkungen kommt dem Parameter „Verarbeitungstechnik und Sorgfalt des Behandlers“ aus den beschriebenen Gründen eine Schlüsselposition zu. Auch im Kontext moderner Komposite hat offenbar das uralte Thema (Rest-)Monomere nichts von seiner Aktualität verloren.

Flowables, ein- und zweiphasige Bondingsysteme brauchen länger

Besondere Erwähnung verdienen Materialien, die zwar lichthärtend sind, aber so exorbitant viele Belichtungseinheiten benötigen, dass eine sehr kritische Bewertung ihrer Indikation unumgänglich ist – falls man auch den Faktor Biokompatibilität berücksichtigt: 1. Alle nicht festen Komposite wie „Flowables“, Versiegelungen und sämtliche Materialien, die laut Hersteller in 4 oder 5 mm Schichtdicke verarbeitet werden können, 2. die ein- oder zweiphasigen Bondingsysteme. Sie alle zeigen im kinesiologischen Regulationstest dasselbe Verhalten: Selbst dünnste Schichten am Kavitätenboden benötigen extrem viel mehr Belichtungseinheiten als eine 2-mm-Schicht eines festen Komposits als Deckschicht – vgl. auch Schmalz Punkt 3 und 4 am Ende des letzten Abschnitts. Wir dürfen uns auch nicht wundern, wenn wir „mal eben“ 2 mm Flow o.ä. legen oder eine Milchzahnkavität mit bondingintegriertem Komposit füllen oder eine aufgezogene Fissur mit einer Versiegelung versorgen, die bis zu 2 mm eindringt, dass 40 bis 60 x 40 Sekunden (!) mit MfP vonnöten wären (s.u.) – statt der empfohlenen 20 Sekunden. Applizieren wir eine 4-mm- oder 5-mm-Schicht von einem der modernen, genial verarbeitungsfähigen Bulk-Materialien, liegen die Belichtungszeiten zwischen 50 und 80 x 40 Sekunden – die notwendigen Pausenintervalle einmal außer Acht gelassen. Da nach unseren Ergebnissen die Bondings – insbesondere die ein- und zweiphasigen – ebenfalls erheblich zur Unverträglichkeit von Kompositrestaurationen beitragen, seien hier die Belichtungszeiten auf einer horizontalen Dentinfläche eines 6 mm tiefen approximalen Kastens erwähnt – ohne Berücksichtigung der senkrechten Fläche (!): 15 bis 20 x 40 Sekunden. Mein Fazit: Da wir unsere Zeit nicht – im wahrsten Sinne dieses Wortes – mit „stunden“langem Polymerisieren verbringen wollen, verzichten wir in meiner Praxis lieber auf ihren Einsatz.

Licht-, dual- und chemisch härtende Komposite

Kurz erwähnen möchte ich noch die nicht methacrylathaltigen lichthärtenden Komposite. Die gesamte beschriebene Problematik findet sich auch bei diesen Materialien wieder: Wenn sie nach Herstellerangaben polymerisiert werden, stellen auch sie (starke) Dauerstressfaktoren dar. Ein wichtiger Hinweis gilt den Kompositen, die in der Zahntechnik als Verblendungen, Kleber, Haftvermittler, Opaker oder auch zum „Coating“ Verwendung finden. Da die Polymerisation im „Lichtofen“ grundsätzlich völlig unzureichend ist – selbst bei fünffacher GPZ – und ihr Bestimmungsort ebenfalls der Mund des Patienten ist, können auch sie in sehr relevantem Maß zu Beschwerden und Erkrankungen außerhalb unseres Fachgebietes beitragen. Wer käme auf die Idee, dass sich seit vielen Jahren bestehende, therapieresistente Beinödeme innerhalb einer Woche zurückbilden können und nie mehr auftreten, nachdem „lediglich“ die 10 PO-Verblendungen einer Konusarbeit extrem oft mit einer Praxis-LED nachgehärtet wurden? Die chemisch härtenden Komposite erfreuen sich aus gutem Grund für Aufbauten und als Corematerialien zunehmender Beliebtheit. Aber alle bisher getesteten Materialien dieser Art beeinträchtigen die Regulation deutlich, z.T. sogar sehr stark, und wirken damit als (sehr starke) Dauerstressfaktoren. Werden chemisch härtende Komposite entfernt, berichten manche Patienten von einem „anfallsartigen“, „totalen Powerzustand“ am selben Tag: „Ich wusste gar nicht, dass ich so viel Kraft habe.“ Dualhärtende Materialien wirken ebenfalls als permanente (starke) Stressoren, solange sie nicht maximal lichtgehärtet sind: Je weniger lichtgehärtet, desto stärker.5 Alle bisher getesteten kunststoffhaltigen „Schutzlacke“ für Dentin oder Zahnhälse sind aus meiner Sicht ebenso als nicht biokompatibel zu werten oder müssen extrem oft gehärtet werden.

Postoperative Sensitivität

Leider haben wir Zahnärzte keinerlei Beurteilungskriterien für die Qualität der Polymerisation eines Komposits. Insbesondere einen Hinweis auf ungenügende Polymerisation gibt es jedoch: die sogenannte postoperative Sensitivität, falls sie denn auftritt. Alle Kollegen und zu viele Patienten kennen sie. Bisher nicht übliche, aber meist erfolgreiche Therapie: Das Komposit von allen Seiten (wichtig!) sehr oft nachhärten, auch approximal, ggf. in mehreren Sitzungen. Manchmal bedarf es großer Geduld, bis der erwünschte Effekt schrittweise eintritt und damit auch die postoperative Sensitivität dauerhaft therapiert ist: z.B. 10 bis 20 x 20 Sekunden GPZ pro Fläche (s.u. MfP), je nach verwendeten Materialien und sonstigen Bedingungen. Falls einphasige Bondings, fließfähige und/ oder Bulk-Materialien verwendet wurden, sind selbst diese Zeiten in der Regel (völlig) unzureichend. Zwei weitere Effekte lassen sich ebenso therapieren: 1. „therapieresistente“ Gingivitis nach dem Legen von Zahnhalsfüllungen oder dem Eingliedern von Keramikrestaurationen, 2. übler, fauliger Geschmack an einer bestimmten Stelle. Derartige, erfolgreiche Therapie werte ich als Hinweis darauf, dass die Belichtungsempfehlungen der Hersteller überarbeitungswürdig sind. Dennoch ist sie kein Indikator für ein biokompatibles Ergebnis.

Verträglichkeitstests

Da der entscheidende Faktor für die biologische Wirkung eines lichthärtenden Komposits anscheinend seine Verarbeitung ist, sind Verträglichkeitstests – welcher Art auch immer – vor ebendieser Verarbeitung im Mund im Grundsatz nutzlos. Die Herstellung der Materialtestproben findet zudem unter sehr anderen, günstigeren Bedingungen statt (z.B. dünnere Schicht, glatter Probenträger, Direktkontakt der LED) als die spätere Verarbeitung desselben Materials im Zahn des Patienten – mit der Folge von Fehlinterpretationen. Falls möglich wäre zu prüfen, ob der in München entwickelte Allergietest, mit dem alle bekannten Reaktionsprodukte eines bestimmten Komposits vor seiner Anwendung getestet werden,7 die Patienten nicht nur vor allergischen Reaktionen, sondern auch vor systemischen Wirkungen beschriebener Art schützen kann.

Grundlagen der Mehrfachpolymerisation (MfP)

Die nachfolgenden Regeln sollten grundsätzlich eingehalten werden, um weder das Komposit noch die Pulpa durch zu hohe Arbeitstemperatur des Polymerisationsgerätes oder durch zu starke Lichtabsorption thermisch zu schädigen – auch bei der Nachhärtung an devitalen Zähnen oder Kompositen aus dem Zahntechniklabor. Um lange Gesamtpolymerisationszeiten (GPZ) pro Fläche unter diesen Bedingungen realisieren zu können, ist es notwendig, 1. nach jedem Polymerisationsintervall ein Pausenintervall einzulegen: Belichtungszeit pro Gerät (1.000 bis 1.400 mW/cm2) und Situation 20 bis 40 Sekunden, Pausenintervalle ebenso lang wie die Belichtungszeit oder ggf. länger, 2. von occlusal max. 40, von den Seiten max. 20 Sekunden zu polymerisieren, 3. nach drei bis fünf Belichtungsintervallen das Polymerisationsgerät zu wechseln, um es abkühlen zu lassen, 4. lichtstarke Geräte mit niedriger Arbeitstemperatur einzusetzen, 5. grundsätzlich einen Sicherheitsabstand von 1 bis 2 mm einzuhalten, falls nicht bereits durch die Höcker ein solcher vorgegeben ist, und u.U. noch längere Pausen einzulegen. Dies gilt bei: a) dünneren Schmelzdentinschichten (betr. Frontzähne, sämtliche vest. und ling. Flächen, präparierte Zähne), b) dunklen Zähnen bzw. Komposit-Farben, c) bei möglichem Direktkontakt der LED zum Komposit (z.B. vestibuläre Füllung, Aufbaufüllung), 6. bei häufiger Belichtung einer einzigen Restauration die Pausen zu verlängern, 7. die Polymerisation u.U. erst in einer späteren Sitzung fortzusetzen.

Ein nicht anästhesierter Zahn gibt uns sofort und sehr unmissverständlich Auskunft darüber, wie lange er eine Belichtung toleriert, ein anästhesierter leider nicht. Deshalb ist ganz besondere Vorsicht und Zurückhaltung unter Anästhesie geboten, des Weiteren bei Pulpitis, pulpennaher Kavität, dünner Dentinschicht (Sicherheitsabstand!), ebenso bei dunklem Dentin bzw. dunklen Materialien wegen ihrer höheren Lichtabsorption und damit höheren Wärmeentwicklung. Einen maximal ungünstigen Fall treffen wir also bei einem anästhesierten, pulpitischen, dunklen unteren Frontzahn nach direkter Überkappung oder einer Aufbaufüllung im Rahmen einer Kronenpräparation an. Vorsichtshalber verteilen wir die Polymerisation derartiger Komposite auf mehrere Sitzungen und verwenden nur (sehr) kurze Belichtungsintervalle. Durch eine Serie von Temperaturmessungen an unterschiedlich lange belichtetem Dentin und Komposit habe ich versucht, ergänzende Informationen über deren kritische Erwärmung zu erhalten, die ich mit einem extrem empfindlichen Messinstrument aus dem Max-Planck-Institut Heidelberg durchgeführt habe. Da mir nicht die Möglichkeit zur Verfügung steht, zu prüfen, ob die infolge MfP beobachteten gesundheitlichen Besserungen tatsächlich mit einem erhöhten Polymerisationsgrad einhergehen, kann dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur als ein plausibles Erklärungsmodell gelten. Falls es sich als falsch herausstellen sollte, hat dies zwar keinen Einfluss auf die beobachteten Phänomene, jedoch bedarf es dann weiterer Überlegungen und – in jedem Fall – geeigneter wissenschaftlicher Forschung. Sämtliche Angaben sind unsere Erfahrungswerte von über sechs Jahren. Weitere Angaben finden Sie unter www.dr-just-neiss.de.

Einwände

Die MfP betreffend ist wichtig zu wissen: 1. dass sie keinen Einfluss auf die Schrumpfungswerte hat, da die entscheidende Schrumpfung in den ersten 20 Sekunden stattfindet15 und 2. dass Komposite nie zu viel polymerisiert werden können, da es kein „Zuviel“ der Umsetzung von Monomeren in Polymere geben kann.16 Der vermeintlich schwerwiegende Einwand, es könne durch „Überbelichtung“ eine Überhitzung des Materials mit Bruch von schon polymerisierten Ketten auftreten, basiert auf der Unkenntnis oder Nichtanwendung der Grundlagen der MfP.

Zusammenfassung und Ausblick

Komposite können (Mit-)Ursache unterschiedlichster Beschwerden und Erkrankungen außerhalb unseres Fachgebietes sein. Nach Herstellerangaben verarbeitete lichthärtende Komposite wirken als Dauerstressfaktoren. Da sich alle bisher getesteten lichthärtenden Komposite unabhängig von ihrem Alter durch Mehrfachpolymerisation von allen Seiten (MfP) in einen nicht stressenden, verträglichen Zustand überführen ließen, nehme ich bis auf Weiteres an, dass dies für alle lichthärtenden Komposite gilt. Durch Nachhärten mittels MfP können sofortige signifikante und anhaltende Besserungen oder vollständige Symptomremissionen erzielt werden – z.B. von therapieresistenten Schulter- oder Knieschmerzen. Der entscheidende Faktor für die Biokompatibilität dieser Materialien scheint deshalb nicht ihre Zusammensetzung, sondern deren Verarbeitung zu sein. Ein- und zweiphasige Bondingsysteme, fließfähige Komposite und Bulkmaterialien erfordern praxisuntaugliche Belichtungszeiten, um sie in einen biokompatiblen Zustand zu überführen. Alle bisher getesteten dualhärtenden Komposite, die nicht zusätzlich extrem oft von allen Seiten lichtgehärtet wurden, und chemisch härtende Komposite wirken ebenfalls als (starke) Dauerstressfaktoren. Aufgrund meiner inzwischen reichhaltigen Erfahrung und angesichts insgesamt steigender chronischer Beschwerden und Erkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten und Befindlichkeitsstörungen betrachte ich mit sehr großer Sorge die Tendenz in unserer Zahnheilkunde, noch kürzer zu polymerisieren und Materialien zu verwenden, die exorbitant oft polymerisiert werden müssten, um nicht systemische Wirkungen entfalten zu können. Auch wenn meine Ergebnisse für viele Kollegen völlig unvorstellbar scheinen, so prägen sie inzwischen doch sehr unseren Arbeitsalltag. Denn durch die in diesem Bericht beschriebene noninvasive, äußerst effektive und letztlich sehr einfache Therapie lassen sich gerade ebensolche Symptomatiken bei diversen Patienten signifikant verbessern. „Wegen der bis heute geringen Kenntnisse über systemische Effekte durch zahnärztliche Materialien tragen Ärzte und Zahnärzte eine große Verantwortung“, stellte Staehle 1994 fest.17 Da nach bald 20 Jahren auch heute noch dieser Feststellung die volle Zustimmung gebührt, wäre es mein dringender Wunsch, dass die Kenntnis um das Risikopotenzial von Kunststoffen und Kompositen und deren zunehmende Nebenwirkungen sehr viel ernster genommen werden als bisher und zu einer breit angelegten, intensiven und sehr viel schneller fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung über systemische Wirkungen führen, wie sie von einigen Autoren auch immer wieder angemahnt wird. Sie käme einer Vielzahl von chronisch kranken Menschen und ebenso den Kostenträgern sehr zugute. Mögen meine Beobachtungen dazu einen Beitrag leisten.

Mehr Fachartikel aus Cosmetic Dentistry

ePaper