Cosmetic Dentistry 24.08.2023
Fraktografie: Das Versagen von Vollkeramikrestaurationen
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Dieser Fachbeitrag ist unter dem Originaltitel „Übertragung fraktografischer Erkenntnisse auf klinische Anwendungen“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Der Aphorismus, dass man aus Misserfolgen am meisten lernt, wird auch in der zahnärztlichen Praxis zur Realität. Das Versagen von Vollkeramikrestaurationen ist einer dieser Rückschläge und frustriert alle Beteiligten: den Zahnarzt, den Zahntechniker, den Hersteller und den Patienten. Diese Enttäuschung rührt nicht nur von der Erwartung an eine langlebige Restauration her, sondern auch von der Unkenntnis über die Ursachen, die zu einem Bruch führen. Hier wird ein Instrumentarium vorgestellt und erörtert, das zur Klärung der meisten Frakturursachen beiträgt, nämlich die Untersuchung von Bruchflächen – auch Fraktografie genannt. Abschließend werden einige Empfehlungen gegeben, die auf einer langjährigen Erfahrung mit der forensischen Methode der Fraktografie von in vivo gebrochenen keramischen Zahnrestaurationen beruhen und dazu beitragen können, ein vorzeitiges Versagen von Zahnersatz zu vermeiden.
Fallbericht: Ausgangssituation
Ein 57-jähriger männlicher Patient stellte sich in der Hochschulambulanz der Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Erlangen vor und berichtete über eine gebrochene Krone, die vor etwa sieben Jahren eingesetzt worden war. Das Fragment wurde vom Patienten in einem geschlossenen Behältnis aufbewahrt und zur Begutachtung vorgelegt. Als klinisches Szenario bei Erstvorstellung zeigte sich ein endständiger, für eine Krone präparierter Zahnstumpf mit positiven Vitalitätszeichen (Abb. 1a). Röntgenologisch konnten apikale Entzündungsprozesse ausgeschlossen werden. Auf dem präparierten Zahn war ein Rest eines zahnfarbenen Materials zurückgeblieben, das nicht das Gegenstück des frakturierten Fragments ergänzte. Vermutlich handelte es sich hierbei um Überreste einer provisorischen Versorgung, die nach dem ersten Frakturereignis angefertigt wurde. Das ursprüngliche Kronenfragment wurde nach einer zweistündigen Reinigung mit NaOCl zur Beseitigung aller organischen Verunreinigungen in Auf- und Durchlicht fotografiert (Abb. 1b), wobei sich in der Mitte ein Riss zeigte, der von der Frakturfläche nach mesial verlief. Von der Lateralfläche aus betrachtet erstreckte sich dieser Riss von der dem Kronenlumen zugewandten Oberfläche bis zur Okklusalfläche (rote Pfeile in Abb. 1b). Bei der Betrachtung unter dem Operationsmikroskop schien der Querschnitt der Krone aus drei verschiedenen Materialschichten zu bestehen, was durch die unterschiedlichen Farben, den Glanz und die Oberflächenrauigkeit deutlich wurde. Obwohl dieser Fall einfach durch die Betrachtung des klinischen Szenarios und des Fragments unter dem Lichtmikroskop hinreichend gut lösbar wäre, können zusätzliche Informationen wie die Materialklasse und der Rissursprung durch die höheren Vergrößerungen, die ein Rasterelektronenmikroskop bietet, gewonnen werden.
Fraktografie
Als Vorbereitung für weitere Untersuchungen wurde die Keramikkrone mittels Kohlenstoffkleber auf einen Metallträger befestigt und mit einer nanometrischen Goldschicht besputtert. Eine Aufnahme des Fragments unter dem Rasterelektronenmikroskop ist Abbildung 2a zu entnehmen, wobei vergrößerte Bildausschnitte in Abbildung 2b und c detaillierte Bereiche von Interesse wiedergeben. Dabei sind drei Schichten unterschiedlichen Materials zu identifizieren: Die okklusale, dunkel erscheinende Schicht besteht aus reinem Glas, höchstwahrscheinlich aus einer Glasur; das Material im Kronenlumen weist die übliche Mikrostruktur eines Befestigungskomposits auf; das Material in der Mitte zeigt das typische Aussehen von Lithiumdisilikat-Kristallen (Li2Si2O5), einem Schichtsilikat, das aus gestapelten, länglichen, gewellten SiO4-Kristalliten besteht (Abb. 2c), eingebettet in eine Glasmatrix. Anhand des Maßstabs in Abbildung 2a und b kann man deutlich erkennen, dass die Dicke der einzelnen Materialschichten über den gesamten Querschnitt der Krone ungleichmäßig ist: Im Zentrum, wo sich der Riss befindet, weist die Lithiumdisilikat-Glaskeramik nur etwa eine Schichtstärke von 0,2 mm auf, während die schwache Glasur und das Befestigungskomposit in ihrer Dicke erhebliche Ausmaße annehmen. Der dünnste Bereich einer Keramikkrone konzentriert die mechanische Spannung unterhalb des Belastungspunkts auf ein Maximum, was in diesem Fall durch die ausgeprägte Schichtstärke des wenig steifen, nachgiebigen Befestigungskomposits begünstigt wurde. Damit könnte eine schwache Verbindung zwischen Befestigungskomposit und Zahn zur Schwächung des gesamten Systems beigetragen haben. Der Bruch entstand an der Oberfläche der Lithiumdisilikat-Glaskeramik im Kronenlumen – eben nicht auf der okkludierenden Kaufläche – und bahnte zeitgleich seinen Weg durch die angrenzenden Schichten. Es bleibt ein Rätsel, warum diese Krone mit einem gefährlich dünnen Querschnitt, der ein übermäßiges Platzangebot für Zement und Glasur zulässt, so mangelhaft konstruiert war.
Vorgehensweise
Die Herausforderung bestand darin, die Vitalität des Pfeilerzahns nicht durch weiteren Zahnhartsubstanzabtrag zu gefährden, die biologische Breite einzuhalten und dennoch eine ausreichende Stumpfhöhe zu generieren. Deshalb wurde okklusal Platz geschaffen, indem die antagonistische, aufgrund einer Trepanationsöffnung bereits geschädigte Goldkrone durch Einschleifen und Politur reduziert wurde. Im Vergleich zur klinischen Ausgangssituation konnte so ein okklusaler Raum von mehr als 1,0 mm (die von der Leitlinie der DGPro und DGZMK empfohlene Mindestkeramikschichtstärke) gewonnen werden (Abb. 3a und b). Zusätzliche, mechanische Stabilität wurde durch das Platzieren der Präparationsgrenze in subgingivale Bereiche und das Anlegen paralleler Wände forciert. In Hinblick auf die beobachtete, geschädigte Okklusalfläche der Krone und der Bruxismus-Anamnese des Patienten wurde eine Krone aus einer gepressten Lithiumdisilikat-Glaskeramik aufgrund ihrer höheren Bruchzähigkeit angefertigt, die einen minimalen Spalt für das Befestigungskomposit und eine dünne Glasurschicht aufwies.
Schlussfolgerung
Obwohl bei Auswertung komplizierter Frakturen die Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops erforderlich sein kann, lassen sich einfache Fälle durch die Inspektion von Frakturfragmenten unter einem Operationsmikroskop und unter Berücksichtigung grundlegender, mechanischer Kenntnisse lösen. Fehlerhafte Konstruktionen, wie zum Beispiel konische Ränder und zu dünne, okklusale Querschnitte (wie in diesem klinischen Fall) sowie Schleifschäden bei mangelhafter Politur – sei es durch Anpassung der Okklusions- bzw. Artikulationskontakte oder des Kronenlumens – haben sich in unseren fraktografischen Analysen gebrochener Keramikrestaurationen als Hauptursachen für ein vorzeitiges Versagen der Versorgung herausgestellt.
Lernen Sie unsere Autorin kennen!
Frau Dr. Lubauer, Sie haben 2021 den DGZ-Publikationspreis für Ihre Studie „Grasping the Lithium hype: Insights into modern dental Lithium Silicate glassceramics“ (Dent Mater 2022, 38:318–332) gewonnen – können Sie uns die zentrale Fragestellung erläutern, der sie nachgegangen sind.
Heutzutage wird die Zahnmedizin regelrecht überflutet von neuartigen Restaurationsmaterialien wie zum Beispiel dentalen Lithiumdisilikat-Glaskeramiken, was Zahnärzte vor die Herausforderung stellt, das richtige keramische Material für jeden spezifischen klinischen Fall herauszufiltern. Dies sollte keine blinde Wahl sein, wobei sich der Praktiker nicht ausschließlich auf die Entscheidung des Zahntechnikers oder auf Empfehlungen des Herstellers verlassen sollte. Durch die Untersuchung geläufiger, auf dem Markt erhältlicher Glaskeramiken auf Lithiumbasis hinsichtlich ihrer Glaszusammensetzung, kristallinen Struktur, physikalischen Eigenschaften und mechanischen Leistung bietet dieser Beitrag erste Anhaltspunkte, diese Aufgabe zu meistern. Er sensibilisiert dafür, dass die Produkte nicht identisch sind, obwohl sie seitens der Industrie mit demselben Namen bezeichnet werden. Es gibt erhebliche Leistungsunterschiede, die sich in der klinischen Lebensdauer widerspiegeln – daher sollte die Materialauswahl meiner Ansicht nach eine fundierte Entscheidung sein.
Sie sind am Uniklinikum Erlangen in der Abteilung Zahnerhaltung tätig – was macht die aktuelle Forschung an Ihrem Standort aus?
Unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Galler arbeiten wir in der Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie da ran, unsere Forschungsschwerpunkte so auszurichten, dass sie die Belange der Zahnerhaltung von zwei Seiten her beleuchten: Dies betrifft einerseits den renommierten, werkstoffwissenschaftlichen Forschungshintergrund, zum Beispiel durch das Design neuer Materialzusammensetzungen und biomimetisch strukturierter Glaskeramiken. Andererseits wird derzeit ein neuer Forschungsbereich mit Laboren für Zellkultur und Molekularbiologie etabliert, um die Be reiche der Schmerzforschung, Immunologie und Regeneration in der Oralen Medizin voranzutreiben.
Was hat Sie bewogen, an der Uni zu bleiben und nicht in die Niederlassung zu gehen?
Die Verbindung aus Forschung, Klinik und Lehre bietet einen spannenden, abwechslungsreichen Arbeitsalltag mit der Möglichkeit stetiger Weiterentwicklung und zwischenmenschlichen Austauschs. Während wissenschaftliches Arbeiten einerseits dazu beitragen kann, durch neue Forschungsergebnisse – wenn auch in kleinen Schritten – das Fachgebiet voranzubringen, erlaubt es andererseits eine evidenzbasierte Behandlung von Patienten am Puls der Zeit, wobei besonders der Zahnerhalt auch in komplexen, anspruchsvollen Fällen eine positive Herausforderung darstellt. Zudem motiviert mich die Ausbildung der Studierenden, denen ich viele gute Erfahrungen kombiniert mit Wissen und Spaß am Beruf mitgeben möchte.
Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.