Cosmetic Dentistry 15.03.2011

Funktionskieferorthopädische Therapie



Funktionskieferorthopädische Therapie

Funktionskieferorthopädische Therapie und ihre Wirkung auf die Funktion und dentofaziale Ästhetik

Einleitung

Das Konzept der funktionskieferorthopädischen Behandlung wurde von dem Dänen Viggo Andresen (1870–1950) und dem Österreicher Karl Häupl (1893–1960) Mitte der 1920er-Jahre entwickelt.1 Bei dieser Behandlungsmethode ist nicht eine mechanische Kraft Ursache für Zahnbewegungen und/oder skelettale Veränderungen von Ober- und Unterkiefer, sondern die durch geeignete Vorrichtungen ausgenutzten körpereigenen Zug- und Druckkräfte, die durch die Muskeln ausgelöst und durch den „Apparat“ auf die Zähne und das Skelett übertragen werden. Die Funktion wurde als wesentlicher Faktor für den Knochenumbau erkannt und zum Behandlungsprinzip erklärt. Grundlage waren die Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Form und Funktion, die Roux19 als das Gesetz der funktionellen Anpassung formulierte. Als Behandlungsgerät wurde von Andresen und Häupl der Aktivator eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein bimaxilläres Gerät, das den Unterkiefer in sagittaler, transversaler und vertikaler Richtung in eine bestimmte therapeutische Situation zum Oberkiefer bringt und Anpassungsreaktionen in den temporomandibulären Strukturen induziert.5–10,14–17, 27

 

 

Klinische Umsetzung: Falldarstellung Diagnose

Die Patientin war zu Behandlungsbeginn neun Jahre alt. Es lagen eine skelettale und dentoalveoläre Dysgnathie vor, die sich extraoral im Sinne eines Vorgesichts schräg nach hinten mit einer vertieften Supramentalfalte manifestiert (Abb. 1a, b).
Dental lag eine Angle-Klasse II/2 Dysgnathie und ein Überbiss von 5mm vor. Platzüberschuss war im Unterkieferzahnbogen und Platzmangel im Oberkieferzahnbogen zu erwarten (Abb. 2a–f). Die Oberkieferfront befand sich im Hochstand, die Unterkieferfront im Tiefstand. Bezüglich der transversalen Verhältnisse bestand in beiden Zahnbögen, wie bei Distallagen zu erwarten, eine Breitendiskrepanz; diese betrug ca. 4mm (Tabelle 1). Die FRS-Analyse (Abb. 3, Tabelle 1) verdeutlicht die zugrunde liegende Morphologie der Dysgnathie: Die metrischen Parameter bestätigten eine distobasale Kieferrelation. Bezüglich des Wachstums sprachen sowohl die metrischen Parameter als auch die strukturelle Analyse für ein ausgeglichenes Wachstumsmuster. Alle Zähne waren angelegt (Abb. 4).

Die sofortige Behandlungsnotwendigkeit bei diesem Patienten ergibt sich aus folgenden Gründen:

_ Fehlfunktion
_ Skelettale (distobasale Kieferrelation) und dento-alveoläre Dysgnathie
_ Ästhetische Beeinträchtigung
_Therapeutisches Vorgehen

Als erstes Gerät wurde eine aktive Platte für die Protrusion der Oberkieferfront eingesetzt, damit die notwendige ausreichende sagittale Frontzahnstufe für die spätere Bissverschiebung hergestellt wird. Nach sechs Monaten erfolgte eine Bissverschiebung mittels bimaxillärem funktionskieferorthopädischen Geräts (ein Bionator-Grundgerät). Für eine effiziente Behandlung wurde der Bionator mit einem extraoralen Hochzug (J-Haken-Headgear) und „up-and-down“ Gummizügen – „Würzburger Konzept“24–29 – für das nächtliche Tragen kombiniert (Abb. 5). Diese Hilfsmittel haben eine skelettale und dentoalveoläre Wirkung auf den Oberkiefer. Durch das Einschleifen wurde der Kunststoff im Gerät so eingeschliffen, dass der Durchbruch der bleibenden Zähne ermöglicht wurde. Zur Korrektur der transversalen Diskrepanz wurde das Gerät so eingeschliffen, dass eine Bukkalbewegung der Seitenzähne im Oberkiefer – unterstützt durch Unterfütterung mit Kunststoff – möglich war.


Durch die funktionskieferorthopädische Behandlung wurden die angestrebten Behandlungsziele hinsichtlich der Funktion und der Bisslagekorrektur erreicht. Zur Kontrolle der Stabilität der eingestellten Unterkieferlage wurde eine plane Aufbissschiene für zwei Wochen zur Entkopplung der Okklusion und somit zur Deprogrammierung der Kaumuskulatur eingegliedert.24 Zur Retention und weiteren Kontrolle der Bisslage und des Zahndurchbruches wurde ein neues Gerät eingegliedert. Die intraoralen Aufnahmen zeigen eine Klasse I-Okklusion mit physiologischer Frontzahnstufe in der Sagittalen und Vertikalen sowie harmonische Ober- und Unterkieferzahnbogen (Abb. 6a–e). Die Fotostatbilder zeigen die fazialen Veränderungen infolge der Behandlung (Abb. 7a–c). Der Vergleich der Fernröntgenbilder vom Anfang und zum Ende der Behandlung lässt die Veränderungen erkennen (Abb. 8, Tabelle 1). Der SNB-Winkel nahm wegen der wachstumsfördernden Therapie auf den Unterkiefer (Bissverschiebung) ab. Das Orthopantomogramm (Abb. 9) zeigt keine Auffälligkeiten.

Diskussion

Infolge der Behandlung wurden die für diesen Fall individuell festgelegten Behandlungsziele erreicht. Eine dentoalveoläre Kompensation sollte im vorgestellten Fall vermieden werden; die Extraktion von zwei Prämolaren im Oberkiefer schied aus ästhetischen Gründen aus.2–4,11,12,18 Bei der funktionskieferorthopädischen Behandlung traten skelettale und dentoalveoläre Effekte ein, wie sie in der Literatur beschrieben sind. Der skelettale Effekt der Therapie auf den Oberkiefer ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: zum einen auf den extraoralen Zug, der sowohl in der sagittalen als auch in der vertikalen Richtung einen hemmenden Effekt hatte, zum anderen auf die Rückstellkräfte der Retraktoren, die durch die ventrale Verschiebung des Unterkiefers und dessen Sperrung aktiviert werden.23,20–25,28

Zusammenfassung

Die Therapie von Klasse II-Dysgnathien in der Praxis macht über 70% der insgesamt behandelten Fällen aus. Für die Behandlung der Klasse II-Dysgnathien unter Berücksichtigung des Alters und Ausmaßes der Fehlbildung bestehen mehrere Möglichkeiten und Konzepte. Die zum Einsatz kommenden Therapiekonzepte sind zahlreich und führen alle mehr oder weniger zu einer zufriedenstellenden Okklusion. Für den Behandler sollte das erzielte Ergebnis aber nicht nur aus der Perspektive der Okklusion und Funktion, sondern auch der damit verbundenen Änderung der dentofazialen Ästhetik von Bedeutung sein, zumal dieser Gesichtspunkt für viele Patienten ausschlaggebend für die Beurteilung des Resultates ist.
Inwiefern durch das Therapiekonzept der Funktionskieferorthopädie zur Behandlung der Klasse II-Dysgnathien mit ausgeprägten Fehlfunktionen eine Verbesserung der fazialen Ästhetik erreicht wird, soll in dieser Arbeit dargestellt und diskutiert werden.

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