Digitale Zahnmedizin 07.09.2016
Digitale Medien in der Zahnmedizin
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Wie „digital“ sind wir bereits heute?
„Digital“, dieses Wort darf heute auf keinem Kongress fehlen. Von Zukunft ist die Rede, modern soll der Zahnarzt wirken, soll sich neu erfinden. Doch wie digital sind wir bereits heute, ist digital schon Alltag, eigentlich ein Muss für jeden jungen Zahnarzt?
Digitale Medien halten seit Jahren Einzug in die Zahnmedizin. Aus einer modernen Praxis sind sie nicht mehr wegzudenken. So wird z.B. der Intraoralscan immer schneller und einfacher. Er erreicht Genauigkeiten, die sehr nahe an hochpräzise Silikonabformungen heranreichen1 und bietet viele Möglichkeiten, die auf konventionellem Wege bisher nicht möglich waren. Im direkten Vergleich ist er nicht wie ein Gipsmodell der Abnutzung ausgesetzt, bietet Farbinformationen, ist schnell und einfach versendbar und nimmt lediglich Festplattenspeicher, ein extra Stauraum im Keller erübrigt sich (Abb. 1).
Computer Aided Design
CAD ist heute so effizient, dass der Zahnarzt selbst chairside überzeugende, langzeitstabile2 und hochästhetische Ergebnisse in sehr kurzer Zeit liefern kann. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Behandlungskosten, sondern auch auf die Gesamtbehandlungszeit aufgrund der reduzierten Anzahl an Sitzungen (Abb. 2).
Individuell einstellbare, virtuelle Artikulatoren sind in kürzester Zeit zum Standardrepertoire der modernen CAD-Software geworden (Abb. 3) und ermöglichen selbst hochkomplexe Prothetik, wie die Bisshebung, auf rein digitalem Wege effizient mit neuem Workflow durchzuführen3 (Abb. 4). Tools wie Facescanner ermöglichen die Berücksichtigung der Weichteilstrukturen, um z. B. die Gesichtssymmetrie zu erfassen. Die digital designte Prothetik lässt sich nun direkt, auch in Bezug auf die Weichteilstrukturen, zum Gesicht anpassen und mühsame und teure Wax-up-Anproben werden teilweise obsolet (Abb. 5). Selbst der Bereich der herausnehmbaren Prothetik mit Modulen zum Design der Prothesenbasis und der Prothese selbst wird zunehmend in die Softwarelösungen implementiert. Verschiedenste Hersteller drängen mit Aligner-Lösungen zur Umstellung der Zähne mittels digital geplanter Schienen auf den Markt.
Computer Aided Manufacturing
Auch im Bereich des CAM hat sich in den letzten Jahren bei der Präzision, der Materialvielfalt, der Geschwindigkeit, der Ästhetik sowie der Möglichkeit von sehr schlanken und auslaufenden Restaurationen4,5, welche bisher der konventionellen Zahntechnik vorbehalten waren, viel getan (Abb. 6). Neue Materialklassen mit neuen Materialeigenschaften entstehen, wie die Hybridkeramiken, welche nur in einem CAD/CAM-Workflow verarbeitbar sind, sich in Langzeitstudien aber erst noch bewähren müssen.
Diagnostik
Digital bedeutet aber noch mehr. Auf dem Feld der Diagnostik ergeben sich neue und interessante Möglichkeiten. Eine Diagnosesoftware (OraCheck, Cyfex, Zürich) ermöglicht das schnelle und einfache Überlagern von zwei Situationsmodellen. Hier lassen sich Unterschiede objektiv und auch für den Patienten gut verständlich darstellen. Volumendifferenzen, die mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar sind, werden visualisiert. So lassen sich z.B. Gingivaverläufe vor und nach Parodontaltherapie, Volumenveränderung nach Weich- oder Hartgewebeaugmentation oder nach Extraktionen (Abb. 7), Abrasionen bei Bruxismus (Abb. 8), Zahnumstellungen/Verschiebungen/Rotationen (Abb. 9), Chippings und vieles mehr für den Patienten verständlich darstellen. Im Weiteren können diese Daten für den Behandler quantifiziert und in der Forschung effizient eingesetzt werden.
Unverzichtbar
In der Prothetik sowie auch zunehmend in der Kieferorthopädie sind digitale Medien nicht mehr wegzudenken. Wie sieht es in der Chirurgie aus? Hier kommt der engen Vernetzung mit der Radiologie eine entscheidende Rolle zu. Die Fusionierung von DVT-Datensätzen mit gescannten Kiefermodellen hat völlig neue Möglichkeiten eröffnet (Abb. 10). Inzwischen ist die Planung implantologischer Versorgungen rückwärts von der intendierten prothetischen Rehabilitation ausgehend unter Berücksichtigung der individuellen Patientenanatomie Standard (Abb. 11). Durch die computeranimierte Visualisierung der Implantatposition ist es z. B. möglich, im Vorfeld genau an dieser Position Knochen aufzubauen. Dies erfordert nur wenig Augmentationsmaterial, das ohne nennenswerte Entnahmemorbidität lokoregionär im Kieferbereich entnommen werden kann. Damit ist die autogene Lösung von knöchernen Volumenproblemen in den meisten Fällen im selben Quadranten möglich. Dank der digitalen Planungen kann der behandelnde Zahnarzt bei höherer Sicherheit und Patientenzufriedenheit9 genauer arbeiten.6,7,8 Mit einem überschaubaren Zeitaufwand lässt sich eine Bohrschablone designen, drucken oder fräsen (Abb. 12). Gerade im ästhetisch anspruchsvollen Bereich ermöglichen Schablonen die bestmöglichen Ergebnisse.6,7 Nach der Implantation ist es möglich, mittels eines Scans des Abformpfostens (Abb. 13) das Emergenzprofil und die Restauration individuell an den Patienten anzupassen (Abb. 14) und selbst herzustellen (Abb. 15). Diese Techniken ermöglichen weniger Invasivität bei chirurgischen Eingriffen, bessere Voraussagbarkeit der Ergebnisse und kürzere Chirurgiezeiten.10
Die Fusionierung von Radiologie und Chirurgie bietet weitere interessante Möglichkeiten. Dies ist z. B. die Funktionsdiagnostik an segmentierten DVT-Datensätzen unter Einbeziehung von individuellen Kieferbewegungen, abgenommen an digitalen Gesichtsbögen, zur Übertragung der individuellen Bewegung auf das DVT sowie die Herstellung von Unterkieferprotrusionsschienen bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe unter Berücksichtigung des Airway Space im DVT. CAD-Schienenmodule bei Myoarthopathien ermöglichen bei Bruxismus die individualisierte Herstellung von Schienen (Abb. 16) unter Beachtung der Kondylenpositionen. Auch klassische Operationsmethoden können durch digitale Techniken eine Renaissance erleben. So kann z.B. eine Zahntransplantation in einen anderen Kieferabschnitt unter vorheriger digitaler Planung der Operation vereinfacht durchgeführt werden. Mittels eines geplotteten Zahns kann das Transplantatbett individuell nach diesem Zahn gestaltet werden, bevor der eigentliche Zahn transplantiert wird.
Fazit
Über die letzten Jahre hinweg hat sich das Spektrum der digitalen Möglichkeiten massiv erweitert. In der Zukunft werden Themen wie die geführte Endodontologie, die geführte Hartgewebeaugmentation, mehr und mehr die Totalprothetik, additive Verfahren zur Restaurationsherstellung und sicherlich noch viele weitere interessante Themen Einzug in die digitale Zahnmedizin halten. CAD/CAM ermöglicht hochpräzises, effizientes, schnelles und günstigeres Arbeiten. Digital ist keine Zukunftsmusik mehr und in vielen Bereichen der Zahnmedizin längst eingezogen, in anderen Fachgebieten der Zahnmedizin nimmt es stark an Bedeutung zu.
Literatur:
1 Ender, A., T. Attin, and A. Mehl: In vivo precision of conventional and digital methods of obtaining complete-arch dental impressions. J Prosthet Dent, 2016. 115(3): p. 313–20.
2 Otto, T. and W.H. Mormann: Clinical performance of chairside CAD/CAM feldspathic ceramic posterior shoulder crowns and endocrowns up to 12 years. Int J Comput Dent, 2015. 18(2): p. 147–61.
3 Bosch, G., A. Ender, and A. Mehl: Nonand minimally invasive full-mouth rehabilitation of patients with loss of vertical dimension of occlusion using CAD/CAM: an innovative concept demonstrated with a case report. Int J Comput Dent, 2015. 18(3): p. 273–86.
4 Kunzelmann KH, R.s.P., Schäfer S: Fatigue testing of ultrathin occlusal veneers, in EFCD Conseuro 2015, 2015.
5 Schlichting, L.H., et al.: Novel-design ultra-thin CAD/CAM composite resin and ceramic occlusal veneers for the treatment of severe dental erosion. J Prosthet Dent, 2011. 105(4): p. 217–6.
6 Vercruyssen M, Laleman I, Jacobs R: Quirynen M. Computer-supported implant planning and guided: a narrative review. Clin. Oral Impl. Res. 26 (Suppl. 11), 2015: p. 69–76.
7 Pozzi A, Polizzi G, Moy PK. Guided surgery with tooth-supported templates for single missing teeth: A critical review. Eur J Oral Implantol, 2016;9(2):135-53.
8 Tahmaseb, A., et al.: Computer technology applications in surgical implant dentistry: a systematic review. Int J Oral Maxillofac Implants, 2014. 29 Suppl: p. 25–42.
9 Youk, S.Y., et al., A survey of the satisfaction of patients who have undergone implant surgery with and without employing a computer-guided implant surgical template. J Adv Prosthodont, 2014. 6(5): p. 395–405.
10 Arisan, V., C.Z. Karabuda, and T. Ozdemir: Implant surgery using bone- and mucosa-supported stereolithographic guides in totally edentulous jaws: surgical and post-operative outcomes of computer- aided vs. standard techniques. Clin Oral Implants Res, 2010. 21(9): p. 980–8.
Co-Autor: Prof. Dr. Dr. Martin Rücker