Endodontologie 14.08.2017

Behandlungskonzept des Generalisten: Eine Frage der Technik?



Behandlungskonzept des Generalisten: Eine Frage der Technik?

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„Du kannst nur behandeln, was du siehst.“ Dieser Leitspruch ist fest in der Zahnmedizin verankert und eine Grundvoraussetzung für den gewünschten Behandlungserfolg. Gerade das Wurzelkanalsystem in all seiner Komplexität verfügt jedoch über viele Bereiche, die trotz modernster Optiken für den Behandler unsichtbar bleiben.

Ramifikationen, welche miteinander verwoben sind, Seitenkanäle (Abb. 1), die ein nicht unerhebliches Reservoir an Bakterien darstellen und stark gekrümmte Kanäle, die die Gefahr einer Stufenbildung tragen, sind nur einige dieser optisch nicht zu erreichenden Zonen. Der vorliegende Artikel zeigt anhand ausgewählter Fallbeispiele, welche konkreten Hindernisse sich dem Behandler in den Weg stellen und welche Bausteine den Behandlungserfolg sichern oder zumindest die Prognose verbessern können. Zudem wird hinterfragt, ob am Ende die Technik maßgebend über den Erfolg einer Behandlung entscheidet.

Stellt sich die Indikation für eine Re­vi­­sion einer bereits vorhandenen Wurzelfüllung, so kommen zu den schon erwähnten anatomischen Strukturen weitere „externe, iatrogen verursachte Faktoren“ hinzu. Hierzu zählen unter anderem trägerbasierte Guttapercha-Stifte, inserierte Wurzelstifte aus Metall oder Glasfaser, Wurzelfüllungen nebst Guttapercha und Sealer oder frakturierte Instrumente. Jeder vorliegende Fall muss individuell beurteilt werden und der endodontisch tätige Generalist muss die dafür passenden Lösungsstrategien bereithalten. Nicht zuletzt muss er entscheiden, ob in einem für ihn nicht lösbaren Fall die Über­weisung zu einem Spezialisten indi­ziert ist.

Fallbeispiel 1: Sklerosierungen

Im ersten Fallbeispiel stellte sich der Patient mit leichten Aufbissbeschwerden an Zahn 25 vor. Die Provoka­tion mittels Perkussion verlief positiv. Anamnestisch gab der Patient eine bereits erfolgte Wurzelkanalbehandlung vor circa fünf Jahren an. Eine Schwellung oder Fistelung war nicht ersichtlich. Das daraufhin angefertigte Röntgenbild zeigte eine nicht bis zum Apex reichende Wurzelfüllung (Abb. 2). Eine apikale Osteolyse ließ sich nicht ein­deutig belegen, war jedoch durch die Projektion der Wurzel auf die Kiefer­höhle nicht auszuschließen.

Nach eingehender Aufklärung über die möglichen Behandlungsalternati­-ven vereinbarten wir mit dem Patien­ten Termine zur Revisionsbehandlung und anschließender Versorgung mittels einer laborgefertigten Restauration. Die Behandlung der profunden Karies an Zahn 27 fand simultan zur Revisions­behandlung statt.

Bei der Zugangskavität sollte ein ge­radliniger Zugang zu den Wurzelkanä­len angelegt werden, um eine gute Übersicht zu gewährleisten und um keine unnötigen Spannungen der rotieren­den Instrumente zu verursachen. In­strumentenfrakturen werden mit einer Prävalenz von 1 bis 6 Prozent ange­geben5, 6, dabei fallen circa 0,5 bis 5 Prozent der frakturierten Instrumente auf Ni-Ti-Instrumente.13 Nach Revision der alten Wurzelfüllung ließen sich die Wurzelkanäle mit feins­ten Handfeilen (ISO 6, Reamer, Coltène/Whaledent) bis zum Apex nachverfol­gen und anschließend vollständig aufbereiten (Abb. 3).

Dem Spülprotokoll kommt insbesondere bei der Revisionsbehandlung eine wichtige Rolle zu. So lässt sich das Bakterium Enterococcus faecalis bei reinfizierten Wurzelfüllungen nachweisen. Natriumhypochlorit (NaOCl), wenn auch gegen die Mehrzahl der rele­vanten Keime wirksam4, 9, 11, zeigt bei Enterococcus faecalis eine Wirkungs­lücke. Eine effektive Entfernung dieses Bakteriums lässt sich durch Chlorhexidingluconat (CHX) realisieren, welches den Einsatz desselbigen, insbeson­-dere bei Revisionsbehandlungen, notwendig macht. Wichtig hierbei ist das korrekte Anwenden der verschiedenen Spüllösungen untereinander.

Vor je­dem Wechsel der beiden Spül­lösungen sollte ausgiebig mit Alkohol (70 bis 95 Prozent) zwischengespült werden, da es ansonsten zur Ausfäl­­lung eines orange-braunen Präzipitats kommt. Das Problem neben der dadurch entstehenden ästhetisch kompromittierenden, rötlichen Verfärbung des Zahnes ist die mögliche mecha­nische Verblockung der Dentinkanäle oder gar der apikalen Konstriktion sowie einer möglichen Entstehung von Parachloranilin. Dieses besitzt grundsätzlich toxisches und kanzerogenes Potenzial.2

Eine finale Spülung mit Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) vor der Wurzelfüllung löst den Smear Layer1 auf den Wurzelkanaloberflächen auf und ermöglicht die Penetration des Wurzel­füllzementes bzw. der erwärmten Guttapercha in die Dentinkanäle bzw. in die vorhandenen Ramifikationen. Nach ausführlicher mechanischer und chemischer Reinigung konnte das Wurzelkanalsystem mittels thermo­plastischer Obturation kompakt gefüllt werden (Abb. 4).

Der vorliegende Fall zeigt, dass es nicht zwingend einer speziellen Zu­satzausstattung bedarf, um „unkomplizierte“ Revisionen durchzuführen. Eine gute Übersicht, fehlende starke Krümmungen der Wurzelkanäle und eine minder stark ausgeprägte Sklerosierung ließen eine vollständige Revision und ein vollständiges Aufbereiten der Kanäle zu.

Fallbeispiel 2: Offenes Foramen

Im zweiten Fall stellte sich die Patientin nach bereits erfolgter endodontischer Behandlung an Zahn 47 mit Beschwerden vor, welche sich insbesondere beim Aufbiss darstellten. Die Provokation mittels Perkussion fiel zusätzlich positiv aus. Das daraufhin angefertigte Röntgenbild (Abb. 5) zeigte eine bis zum Apex reichende Wurzelfüllung mit apikaler Aufhellung und Ausdehnung der Osteolyse bis zum Dach des N. alveolaris inferior. Insgesamt ist die Wurzelfüllung als inhomogen zu bewerten. Nach Aufklärung über die Thera­piealternativen entschied sich die Pa­ti­entin für einen Revisionsversuch.

Es erfolgte die Trepanation des Zah­­nes mit Darstellung der Kanaleingänge. Nach Entfernung der alten Wurzel­füllung, klagte die Patientin bei der Spülung der Kanäle über ein leichtes Brennen, und auch das Trocknen mit­tels Papierspitzen wurde durch die Pa­tientin als unangenehm beschrieben. Das vorsichtige „Ertasten“ mit einer Papierspitze (ISO 40) und der damit einhergehende Schmerzreiz ließen auf ein offenes Foramen schließen. Die medikamentöse Einlage erfolgte mit Calciumhydroxid (UltraCal XS, Ultradent Products) für vier Wochen. Darauf folg­ten zwei weitere Wechsel der medi­kamentösen Einlage für erneut jeweils vier Wochen, mit dem Ziel der Ausbildung einer Barriere des apikal offenen Foramens.7, 14

Bei dem darauffolgenden Termin war die Patientin beschwerdefrei und das erneute vorsichtige Tasten mit der Papierspitze war ohne Anspannung für die Patientin möglich. Um eine Exten­­sion des plastischen Wurzelfüllmaterials über den Apex hinaus zu vermeiden sowie eine Apexifikation zu erreichen, wurde ein apikaler Plug mit Mineral Trioxid Aggregat (MTA, z.B. ProRoot MTA, Dentsply Sirona) durchgeführt.3, 10 Alternativ wäre ein Widerlager mit re­sorbierbarem Kollagen zur Absicherung einer Extrusion des Wurzelfüll­materials als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, jedoch mangels optischer Hilfen in Form eines Dentalmikroskops nicht sicher zu realisieren gewesen.

MTA hat sein Indikationsspektrum innerhalb der Endodontie im Bereich der Perforationsdeckung, einschließlich des Verschlusses eines apikal offenen Fo­ramens.8, 12 Dabei weist MTA eine ausgezeichnete Biokompatibilität auf17, mit Anlagerung von Odontoblasten auf die Oberfläche von MTA.20 Optische Vergrößerungshilfen, idealerweise ein Dentalmikroskop, auf der einen Seite und Erfah­r­ungen in der Handhabung mit diesem Material auf der anderen Seite bilden die Grundlage für die Anwendung von MTA.

Das nach Applikation von MTA angefertigte Kontroll­bild zeigt den suffizienten apikalen Verschluss der Konstriktion in einer Schichtstärke von circa 4 mm (Abb. 6). Gleichzeitig wird in der Aufnahme die ausgedehnte Kanalstruktur des Zahnes 47 deutlich. Im zweiten Schritt wurde durch plastisch erwärmte Guttapercha im Sinne der Back-Fill-Phase das Kanalsystem vollständig ge­füllt und der Zahn anschließend adhäsiv verschlossen (Abb. 7). Zwölf Monate nach der Revisionsbehandlung ist die Patientin weiterhin beschwerdefrei und die Kon­trollaufnahme zeigt den deutlichen Rückgang der apikalen Osteolyse (Abb. 8).

Der Fall zeigt den Vorteil der thermoplastischen Obtu­ration im Gegensatz zur kalten Fülltechnik (z.B. late­ra­le Kondensation). Durch das offene Foramen wäre die Gefahr einer Extension der Guttapercha bzw. des Sealers über den Apex hinaus6, 15, 18, 19 sowie die Ver­letzung der fragilen apikalen Barriere durch die Guttapercha-Stifte oder den Spreader im Zuge der lateralen Kondensation sehr hoch. Durch die anatomischen Gegebenheiten und das verhältnismäßig hohe zu füllende Volumen im Bereich des Wurzelkanals ließen sich Hohlräume im Zuge der lateralen Fülltechnik mit multiplen Guttapercha-Stiften zudem nicht sicher ausschließen. Dieser Fall zeigt ferner, dass bei der Behandlung die­ser komplexen Situation ein erweitertes Repertoire an speziellen Materialien und Instrumentarien essenziell notwendig ist, will man auch diese Fälle mit Erfolg lösen.

Fallbeispiel 3: Wurzelstift

Beim vorliegend letzten Fall stellte sich der Patient mit reizunabhängigen Beschwerden und Perkussionsempflindlichkeit an Zahn 17 vor. Begleitend lag eine Lockerung Grad I–II vor. Das daraufhin angefertigte Röntgenbild (Abb. 9) zeigte eine insuffiziente Wurzel­füllung nebst Wurzelstift und einer umfangreichen apikalen Osteolyse. Auch Zahn 16 schien apikal be­herdet zu sein, bei gleichzeitig vorliegendem Instru­mentenfragment in der mesialen Wurzel.

Nach ausführlicher Erklärung der vorhandenen The­rapiealternativen entschied sich der Patient für die Revisionsbehandlung. Diagnostisch wichtig in diesem Fall war die Bestimmung des inserierten Wurzelstiftes. Röntgenologisch unterscheiden sich Glasfaser- und Metallstifte aufgrund der physikalischen Eigenschaften des Materials deutlich, sodass es sich hier zweifelsfrei um einen Metallstift handelte.

Durch das röntgenologisch sichtbare Gewinde ließ sich die Art des Stiftes bestimmen. So war nach Entfernen der Krone das vorsichtige Freischleifen des Stiftkopfes wichtig (Abb. 10), um den Stift durch einen speziellen Schlüssel am „Kopf“ auch wieder ausdrehen zu können (Abb. 11; Radix-Anker-Standard, Dentsply Sirona). Somit lässt sich die laterale Belastung des Siftes durch ungewolltes Hebeln weitestgehend vermeiden und einer Wurzelfraktur vorbeugen. Zum zusätzlichen Lockern des Stiftes ist das vorsichtige „Abtasten“ des Stiftes mit einem Ultraschall-/Schall­instrument hilfreich, da dieser zumeist mit einem Phosphat­zement eingesetzt wird.

Nach Stiftentfernung folgte die Ent­fernung des vorhandenen Wurzelfüll­materials. Die Revision des mesio-­bukkalen Kanals gestaltete sich aufgrund der ausgeprägten Sklerosierung sehr schwierig und musste letztend­lich frustran abgebrochen werden, da sich der apikale Bereich der Wurzel auch nach zeitintensivem Einsatz nicht weiter aufbereiten ließ. Nach der Revision und der Aufbereitung der Wurzel­kanäle wurde eine medikamentöse Einlage mit Calciumhydroxid (UltraCal XS, Ultradent Products) für eine Woche durchgeführt. Mb2 konnte auch nach intensiver Suche nicht aufgefunden werden. Vor Wurzelfüllung kam es durch Abtragen eines Überhanges im Bereich des Kanaleinganges zu einer Perforation im Furkationsbereich.

Diese ungewollten Komplikationen machten ein ausführliches Spülproto­-koll umso wichtiger, um optimale Voraussetzungen für eine „sterile“ Wurzelfüllung zu schaffen und einen Erhalt des Zahnes zu ermöglichen. NaOCl (4,5 Prozent) als „Basisspülung“, CHX (2 Prozent) zum Schließen der Wirkungslücke von NaOCl, Alkohol (70 bis 95 Prozent) als Zwischenspülung zur Vermeidung einer Wechselwirkung zwischen NaOCl und CHX sowie EDTA (19 Prozent) zum Entfernen des Smear Layer kamen zum Einsatz. Die Wirkung der Spüllösungen kann durch die Ak­tivierung mit Ultraschall1 noch weiter erhöht werden. Überdies wird dadurch eine vollständige Irrigation aller Nischen der Kanäle gewährleistet.

Um das Verschließen des umfangreich aufbereiteten Wurzelkanals (mb) zu garantieren, wurde im vorliegenden Fall die warme vertikale Obturation angewendet (BeeFill 2in1, VDW GmbH). Der apikale Bereich des Kanals konnte somit kompakt gefüllt werden. Das letzte Drittel wurde mit MTA aufgefüllt, um gleichzeitig die Perforation zu decken (Abb. 12). Das Kontrollröntgenbild zeigt die vollständige Obturation der Kanäle (Abb. 13).

Konklusion

„Einfache“ Revisionen lassen sich ohne zusätzlichen technischen Aufwand gut voraussagbar durchführen. Dabei sollte, wie bei jeder endodontischen Be­handlung, vor allem dem Spülprotokoll be­sondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das zusätzliche Anwenden von CHX zum Erfassen des gesam­ten bakteriellen Milieus verbessert, unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen der Spüllösungen untereinander, die Prognose der Behandlung nach­haltig. Bei komplexeren Situationen, wie dem weit offenen Foramen, Per­forationen sowie im Rahmen eines erfolgreichen Komplikationsmanagements, kommt auch der allgemein tä­­-tige Zahnarzt nicht um die Überlegung herum, sich zusätzliches Material bzw. Instrumentarium zuzulegen. Dabei sind neben den wirtschaftlichen Aspekten auch der Zeitaufwand für das Erlernen der Techniken sowie der zeitliche Behandlungsbedarf mit in die Betrachtung einzubeziehen.

Ein ausführliche Literaturliste steht hier zum Download bereit.

Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 7+8/2017 erschienen.

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