Endodontologie 19.07.2023

HEDP in der Endodontie – Neue Wege in der Wurzelkanaldesinfektion

HEDP in der Endodontie – Neue Wege in der Wurzelkanaldesinfektion

Foto: Gregor Würfl, M.Sc.

Der Gebrauch von Etidronsäure (HEDP) in der Endodontie ermöglicht eine effektivere Reinigung und Desinfektion der Wurzelkanäle. Der folgende Fallbericht zeigt, wie durch die Kombination von HEDP mit Natriumhypochlorit (NaOCl) eine gewebsauflösende, desinfizierende und entkalkende Lösung entsteht, die den Smearlayer effizient entfernt und das Wurzelkanalsystem von Bakterien und infiziertem Dentin befreit.

Einleitung

Für eine erfolgreiche endodontische Therapie sind unterschiedliche Behandlungsschritte notwendig. Diese lassen sich grob in vier Hauptbereiche einteilen: 

(a) Die korrekte Trepanation mit einem geradlinigen Zugang zu den Wurzelkanälen und die Identifizierung aller Kanalstrukturen

(b) die mechanische Reinigung und Formgebung der Wurzelkanäle

(c) die möglichst vollständige Entfernung von vitalem und avitalem Pulpagewebe sowie des bakteriellen Biofilms und

(d) die dreidimensionale Füllung der Wurzelkanäle mit anschließendem bakteriendichten Verschluss der Kavität.

Am Ende entscheidet auch die Art der prothetischen Versorgung vor allem im Bereich der Prämolaren und Molaren über den langfristigen Erhalt endodontisch behandelter Zähne.1–3 Da der Entfernung von organischem Gewebe und des Biofilms sowie der Desinfektion des Wurzelkanalsystems eine entscheidende Rolle zukommen, soll dieser Aspekt hier näher betrachtet werden.

Anforderungen an Spüllösungen in der Endodontie 

Während einer endodontischen Therapie gilt es, mehrere Probleme zu lösen. Zum einen muss das Wurzelkanalsystem möglichst vollständig von organischem Gewebe befreit werden, um den Mikroorganismen das Substrat zu entziehen, welches ihnen als Ernährungsgrundlage dient. Zum anderen ist eine Zerstörung oder Inaktivierung des Mikrobioms, welches den Wurzelkanal besiedelt, erforderlich. Der im Rahmen der mechanischen Aufbereitung entstandene Smearlayer und sämtliche anorganischen Stoffe müssen entfernt werden, damit eine Reinigung der Dentintubuli und zusätzlicher Kanalstrukturen wie z.B. Isthmen ermöglicht wird. Zu guter Letzt sollten Spüllösungen ein geringes Risiko für Nebenwirkungen aufweisen und einfach anzuwenden sein.4 In den letzten Jahrzehnten wird Natriumhypochlorit (NaOCl) als Standardspüllösung in unterschiedlichen Konzentrationen von 1 bis 5,25 Prozent in der Endodontie eingesetzt. Erste Anwendungen wurden bereits 1920 beschrieben.5⁠

NaOCl zeigt eine hervorragende Wirkung bei der Auflösung von organischem Gewebe und weist zusätzlich auch sehr gute antibakterielle Eigenschaften durch Inaktivierung bzw. Lyse des Biofilms auf. Die gewebslösende Wirkung verbessert sich mit zunehmender Konzentration. Allerdings steigt damit auch das Risiko von Nebenwirkungen und die Stabilität der Lösung sinkt. Eine Konzentration von unter 1 Prozent zeigt keine gewebsauflösende Wirkung und sollte daher nicht verwendet werden. Klinisch ist es aus den genannten Gründen sinnvoll, NaOCl in Konzentrationen von 1 bis 3 Prozent anzuwenden und dafür die Spülmenge und noch wichtiger die Dauer der Exposition während der Behandlung zu erhöhen.⁠4, 6 NaOCl wird in Kontakt mit organischem Gewebe inaktiviert, sodass ein ständiger Austausch im Wurzelkanal stattfinden muss. Empfohlen wird eine Spülung der Wurzelkanäle nach jeder Feilenanwendung mit 1 bis 3 ml NaOCl pro Kanal. Je nach Zahn und Anzahl der Kanäle kann so eine Menge von 20 bis 60 ml pro Sitzung anfallen. Bei der Aufbereitung der Wurzelkanäle ist darauf zu achten, dass durch das mit Spüllösung geflutete Pulpenkavum hindurchinstrumentiert wird. Dies reduziert sowohl den Stress auf die Instrumente als auch die Akkumulation von Smearlayer und Debris.⁠7

Entfernung des Smearlayers 

Auch wenn die Bedeutung des Smearlayers auf den Erfolg der endodontischen Therapie nicht abschließend geklärt ist, erscheint eine Entfernung klinisch aus mehreren Gründen als sinnvoll. Bakterien besiedeln neben den Hauptkanälen auch Nebenkanäle, Isthmen und die Dentintubuli. Der Smearlayer führt zu einer Art Schutzwall für diese Keime, die sich so der Lyse durch NaOCl entziehen. Da eine mechanische Bearbeitung der Nebenstrukturen bisher nicht möglich ist, kommt der chemischen Wirkung der Spüllösung gerade in diesen Bereichen eine entscheidende Bedeutung zu. Außerdem führt die Entfernung der Schmierschicht zu einer besseren Abdichtung der Wurzelkanäle und der Nebenstrukturen bei der Wurzelkanalfüllung. Die Entfernung des Smearlayers erfolgt klassischerweise mit 17-prozentiger Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) oder mit 10-prozentiger Zitronensäure. Die klinische Wirkung der beiden Lösungen unterscheidet sich kaum. Zitronensäure zeigt eine stärkere Entmineralisierung als EDTA, was bei einer Einwirkzeit von mehr als 60 Sekunden auch zu ausgeprägteren Säureschäden im Dentin führen kann. EDTA und Zitronensäure inaktivieren NaOCl, weshalb eine Wechselspülung während der Aufbereitung nicht empfohlen wird. Dadurch kann es gerade in größeren Nebenkanälen oder Isthmen zu einer stärkeren Ansammlung von Debris und damit auch von Bakterien und infiziertem Dentin kommen, was unter Umständen zu einem Misserfolg der endodontischen Therapie führen kann⁠.8, 9 Daher erscheint es sinnvoll, die gewebsauflösende und Schmierschicht-entfernende Wirkung der Spüllösungen zu kombinieren. Dies würde nebenbei auch das Spülprotokoll und damit den Behandlungsablauf deutlich vereinfachen.

Anwendung von HEDP

Eine alternative Möglichkeit zur Entfernung des Smearlayers besteht in der Anwendung von HEDP (Hydroxyethyliden-Diphosphonat) bzw. dessen Salz, dem Etidronat (Abb. 1). Es handelt sich hierbei um ein stickstofffreies Bisphosphonat, welches beispielsweise in Spülmaschinen-Tabs und Seifen zur Anwendung kommt. HEDP ist ein Komplexbildner oder Chelator, der wie EDTA zweiwertige Metallionen bindet, in diesem Fall Ca²+. HEDP wird vorportioniert in Kapseln geliefert (Dual Rinse® HEDP, Medcem). Die Herstellung der kombinierten Spüllösung zur alleinigen Anwendung erfolgt klinisch einfach, indem 10 ml NaOCl mit dem Inhalt einer Kapsel HEDP angemischt werden (Abb. 2). Der Mischprozess dauert, je nachdem wie stark gerührt wird, zwischen ein und zwei Minuten. Das HEDP muss danach vollständig gelöst sein. Damit erhält man eine gewebsauflösende, desinfizierende und entkalkende NaOCl-Lösung. HEDP reduziert bei einer höheren Konzentration des NaOCls die Menge an freiem Chlor etwas schneller als bei niedrigeren Konzentrationen. Bei Konzentrationen bis 3 Prozent bleibt der Chlorgehalt über Stunden nahezu stabil. Wichtig, zu beachten: Die kombinierte NaOCl/HEDP-Lösung ist für ca. eine Stunde stabil, sollte also unabhängig von der NaOCl-Konzentration idealerweise erst direkt vor der endodontischen Therapie hergestellt werden. Aufgrund des einfachen Prozesses lässt sich dies aber ohne Probleme während des Einwirkens der Anästhesie und dem Anlegen des Kofferdams vorbereiten. Alternativ kann die Lösung auch am Morgen angemischt und bis zur Verwendung am gleichen Tag im Kühlschrank gelagert werden.

Worin liegen die Vorteile in der Anwendung?

Hauptvorteil ist sicherlich das vereinfachte Anwendungsprotokoll während der Behandlung. 

Man benötigt keine unterschiedlichen Spritzen mehr und muss sich auch nicht überlegen, wann welche Lösung zum Einsatz kommt. Die Stärke im klinischen Einsatz liegt in der gleichzeitig entkalkenden und desinfizierenden Wirkung. Durch die sofortige Auflösung von Debris kommt es erst gar nicht zu dessen Einlagerung in Nebenkanäle oder Sekundärstrukturen. Außerdem findet eine permanente Lyse des organischen Gewebes und des Biofilms während der gesamten mechanischen Aufbereitung statt (Abb. 4–10). Studien haben gezeigt, dass eine Kombination aus NaOCl und HEDP infiziertes Dentin besser desinfizieren kann als NaOCl alleine.9, 10 Sollte es doch einmal durch zu hohen Druck oder während der Aktivierung der Lösung zu einem Transport der Spülflüssigkeit über den Wurzelkanal hinaus kommen, treten Blutungen aus dem apikalen Bereich deutlich seltener und weniger stark auf als bei Verwendung von reinem NaOCl. Gerade bei Perforationen oder großen apikalen Öffnungen, wie z.B. nach einer Wurzelspitzenresektion bzw. bei erweiterten Foramina bei jungen Patienten, erweist sich dies als sehr günstige Eigenschaft und erleichtert das Management solcher anatomischen Besonderheiten deutlich. 

Im Rahmen einer Revisionstherapie stellt die zügige und effiziente Reinigung des infizierten Wurzelkanalssystems nochmals höhere Anforderungen. Hierbei kann der Transport von infiziertem Gewebe, aber auch von altem Wurzelfüllmaterial in schwer erreichbare Kanalabschnitte den Erfolg der Behandlung negativ beeinflussen. Bei der Anwendung der kombinierten Spüllösung zeigt sich klinisch unter dem Operationsmikroskop, dass Fremdmaterial und Debris deutlich besser und schneller aus dem Kanalsystem entfernt werden. Diese Eigenschaft erleichtert außerdem das Auffinden von verkalkten oder noch nicht behandelten Kanälen. Zu guter Letzt führt die mild entkalkende Wirkung zu einer optimalen Konditionierung des Dentins vor der Wurzelkanalfüllung. Biokeramische oder epoxidharzbasierte Sealer können an HEDP-vorbehandeltem Dentin besser haften als an Dentin, welches nur mit NaOCl gespült wurde⁠.11

Welche Änderungen im Behandlungsablauf ergeben sich durch die Anwendung von HEDP?

Wie bereits beschrieben, ist die angemischte Lösung nicht lange lagerstabil, was eine Vorbereitung vor der Behandlung erforderlich macht. Dies hat einen nur geringfügigen Mehraufwand, welcher im Praxisalltag vernachlässigt werden kann. In der Literatur wird immer wieder auf die höhere Wirksamkeit von erwärmtem NaOCl hingewiesen. Inwiefern dies im klinischen Alltag tatsächlich eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Behandlung spielt, konnte bisher nicht gezeigt werden. Erwärmtes NaOCl gleicht sich relativ schnell der Außentemperatur bzw. der Körpertemperatur an, sodass die Erwärmung, wenn überhaupt, klinisch nur einen geringen Nutzen haben kann. NaOCl, in dem HEDP in Lösung gebracht wurde, darf nicht erwärmt werden, da die Reaktivität der Komponenten dazu führt, dass die Lösung für die Dauer der Anwendung nicht ausreichend lange stabil bleibt.⁠12 Ob dies einen Nachteil darstellt, ist eher fraglich. Es gilt zu bedenken, dass Dentin ein mineralisiertes Bindegewebe ist, welches seine mechanischen Eigenschaften benötigt, um Kaubelastungen standzuhalten. NaOCl wirkt proteolytisch und zerstört – abhängig von seiner Konzentration und Temperatur – das Kollagen im Dentin.

Aktivierung der Spüllösung 

Eine physikalische Aktivierung der Spüllösung mit Schall oder Ultraschall ist ohne Einschränkungen möglich und verbessert durch das Microstreaming das Herauslösen von organischem Gewebe und Debris.11

Zusätzliche Spüllösungen 

Derzeit spielen zusätzliche Präparate wie Chlorhexidin, Wasserstoffperoxid oder Alkohol bei der endodontischen Therapie nur noch eine untergeordnete oder gar keine Rolle mehr. Lange Zeit galt Chlorhexidin gerade in der Revisionstherapie als wichtiges Adjuvans zur Eliminierung von Enterococcus faecalis. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Wirkung von NaOCl auf diesen Keim unterschätzt und dessen Bedeutung in der Endodontie überschätzt wurden⁠.13 Somit besteht für die Anwendung von CHX keine Notwendigkeit mehr. Ganz im Gegenteil führt die gleichzeitige Verwendung von NaOCl und CHX zur Bildung eines schwer löslichen, rot-bräunlichen Chloranilinniederschlags. Dieser ist umweltschädlich, giftig und zeigt im Tierversuch kanzerogene Eigenschaften. Da abschließend nicht geklärt ist, ob eine Zwischenspülung mit EDTA oder Wasserstoffperoxid CHX wirklich vollständig aus dem Kanal entfernt, sollte aufgrund der genannten negativen Effekte auf die Anwendung von CHX verzichtet werden. Alkohol kann zur Trocknung des Wurzelkanals vor der Wurzelkanalfüllung mit epoxidharzbasierten Sealern angewendet werden. Inwieweit dies tatsächlich notwendig und nützlich ist, bleibt offen, da die Flüssigkeit aus den Dentintubuli auch durch Alkohol nicht entfernt wird. Bei Anwendung biokeramischer Sealer sollte auf die Spülung mit Alkohol verzichtet werden, da diese Sealer für eine optimale Abbindereaktion eine gewisse Restfeuchtigkeit im Kanal benötigen.

Zusammenfassung:

Mit HEDP steht in Kombination mit NaOCl eine Lösung zur Verfügung, die alle Anforderungen erfüllt, die derzeit an endodontische Spüllösungen gestellt werden. Sie ist in der Lage, bei gleichzeitiger Reduktion unerwünschter Ereignisse, wie der übermäßigen Schädigung der Dentinstruktur oder dem Auftreten von Blutungen aus der periapikalen Region oder aus Perforationen, organisches Gewebe und Biofilm sowie Debris effizient aus dem Wurzelkanalsystem zu entfernen. Die Herstellung lässt sich ohne Aufwand in die tägliche Praxis integrieren und vereinfacht zugleich die Reinigung und chemomechanische Aufbereitung des Wurzelkanalsystems v. a. bei Revisionsbehandlung. Auch wenn HEDP im Vergleich zu EDTA oder Zitronensäure etwas mehr Investition im Einkauf bedeutet, ist dieser Faktor im Rahmen der Gesamtkosten einer endodontischen Therapie zu vernachlässigen. 

HEDP stellt eine interessante Alternative für alle Zahnärzte dar, unabhängig von einer Spezialisierung oder der Komplexität des einzelnen Behandlungsfalls.

Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur verfügung.

Autor: Gregor Würfl, M.Sc.

Der Beitrag ist im EJ Endodontie Journal 3/2023 erschienen.

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