Implantologie 04.12.2023

Sofortige oder verzögerte Belastung im zahnlosen Oberkiefer



Sofortige oder verzögerte Belastung im zahnlosen Oberkiefer

Foto: Dr. Yassine Harichane

Die orale Implantologie hat enorme Fortschritte gemacht und ermöglicht den Patienten klinische Ergebnisse, die denen eines natürlichen Gebisses ähneln. Durch implantatgetragene Prothesen erhalten zahnlose Menschen tägliche Zufriedenheit und können das Essen sowie soziale Interaktionen genießen. Folgender Fachbeitrag beschäftigt sich mit der Integrierung des digitalen Workflows in der modernen Implantologie.

Obwohl im Bereich der Zahnmedizin wissenschaftliche und technische Fortschritte erzielt wurden, gibt es nach wie vor viele Patienten, die entweder teilweise oder vollständig zahnlos sind. Zahnlosigkeit hat negative Auswirkungen auf die Zahngesundheit und die allgemeine Gesundheit und führt zu physischen Problemen wie Essstörungen sowie psychischen Problemen wie einem Rückgang des Selbstwertgefühls.

Bei Einzel- oder Mehrfachzahnverlust werden festsitzende Lösungen empfohlen. Bei vollständiger Zahnlosigkeit kann der Patient jedoch zwischen einer Deckprothese oder einer Brücke auf Implantaten wählen.

Der McGill-Konsens empfiehlt eine Deckprothese mit zwei Implantaten als erste Wahl für den zahnlosen Unterkiefer. Zahlreiche Protokolle beschreiben chirurgische, prothetische sowie technische Aspekte, sei es bei sofortiger oder verzögerter Belastung. Während der McGill-Konsens eine Prothese für den Oberkiefer als unproblematisch ansieht, möchten einige Patienten möglicherweise eine komfortablere Lösung zur Verbesserung ihrer Zahngesundheit. Ist es möglich, diesen Patienten eine Implantatlösung für den Oberkiefer anzubieten, die durch wissenschaftliche Forschung gestützt wird? Kann das Patientenmanagement durch Änderungen in den Implantations- und Belastungsprotokollen verbessert werden? Diese beiden Fragen möchten wir mithilfe aktueller wissenschaftlicher Literatur beantworten.

Chirurgische Schritte 

In der Implantatchirurgie ist die Berücksichtigung anatomischer Hindernisse von entscheidender Bedeutung. Im Oberkiefer stellen die Nasenhöhle und die Kieferhöhlen eine Herausforderung dar, während im Unterkiefer der Nervus alveolaris inferior und das Foramen mentalis problematisch sein können (Abb. 1). Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Bereichen ist die Knochendichte. 

Um anatomische Hindernisse wie die Kieferhöhle zu überwinden, können axiale Implantate entweder durch Anheben des Sinusbodens oder durch die Verwendung von Zygomaimplantaten zur Umgehung des Hindernisses eingesetzt werden (Abb. 2). Viele Implantatdesigns wurden entwickelt, um unabhängig von der Knochendichte eine zufriedenstellende Primärverankerung zu gewährleisten. Die Arbeit von Brånemark in der oralen Implantologie hat Erfolgskriterien etabliert, die zur Standardpraxis geworden sind. Wissenschaftliche Forschung hat Fortschritte in der oralen Implantologie ermöglicht, wie beispielsweise die Sofortimplantation einzelner oder mehrerer Zähne im Ober- und Unterkiefer nach der Extraktion.

Während der McGill-Konsens eine Deckprothese auf zwei Implantaten für den Unterkiefer empfiehlt, gibt es für den Oberkiefer keine etablierte Lehrmeinung. Dies ist auf die Heterogenität der Ergebnisse zurückzuführen, und die Durchführung systematischer Überprüfungen zu diesem Thema gestaltet sich schwierig. Malò et al. haben die klinischen Grenzen der Implantation im Oberkiefer mit dem All-On-Verfahren erweitert (Abb. 3), das anspruchsvoll, aber effektiv und zufriedenstellend für die Patienten ist.

Digitale Abläufe haben auch chirurgische Protokolle durch statische Führungen und dynamische Navigation verbessert (Abb. 4). Statische Führungen umfassen die Planung der Implantatposition in einer Software und deren Umsetzung in eine chirurgische Führung, während die dynamische Navigation Anpassungen in Echtzeit ermöglicht, basierend auf der CBCT-Bildgebung während der Operation, und somit eine höhere Präzision bietet. 

Prothetische Schritte 

Brånemark empfahl ursprünglich, mehrere Monate für die Ausheilung der Implantate einzuplanen. Die aktuelle Literatur unterstützt jedoch die Möglichkeit einer sofortigen Belastung, sei es für ein einzelnes Implantat oder mehrere Implantate im Ober- oder Unterkiefer (Abb. 5).

Durch diesen beschleunigten Pflegeansatz konnte verhindert werden, dass Patienten unter einer beeinträchtigenden Zahnlosigkeit leiden, und es hat sich gezeigt, dass sich ihre allgemeine Zufriedenheit und ihre orale Lebensqualität verbessern. Studien haben belegt, dass implantatgetragene Deckprothesen das allgemeine Wohlbefinden zahnloser Patienten verbessern können. Implantatgetragene Prothesen erweisen sich in dieser Hinsicht sogar als noch wirkungsvoller (Abb. 6).

Die Forschung bestätigt die Möglichkeit der sofortigen Belastung im völlig zahnlosen Oberkiefer, unabhängig davon, ob konventionelle oder Zygomaimplantate verwendet werden, und weist auf hohe Erfolgsraten hin. Es ist jedoch zu beachten, dass bestimmte Bedingungen berücksichtigt werden müssen. 

Diskussion 

Die Wirksamkeit der sofortigen Implantatbelastung ist mit der verzögerten Belastung vergleichbar, wenngleich die Evidenz nicht ausreichend stark ist, um eine definitive klinische Empfehlung abzugeben. Studien haben gezeigt, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied in den Überlebensraten zwischen sofortiger und verzögerter Implantatbelastung sowie Prothesenbelastung gibt. Es ist jedoch anzumerken, dass frühes Implantatversagen im Oberkiefer ziemlich häufig auftritt, wobei die Hälfte der betroffenen Implantate innerhalb der ersten sechs Monate verloren geht. Dies wird oft auf die geringere Knochenqualität im Oberkiefer zurückgeführt.

Obwohl Patienten, unabhängig von der Belastungszeit, mit einer funktionalen festsitzenden Prothese möglicherweise zufriedener sein können, stützen nur begrenzte Beweise diese Behauptung. Auch die Prothesenstabilität kann zu unterschiedlichen Belastungszeiten variieren. Zum Beispiel zeigte eine Studie nach 3 Monaten keinen Unterschied in der Patientenzufriedenheit zwischen sofortiger und verzögerter Belastung, obwohl Patienten in der verzögerten Belastungsgruppe unterfütterte Provisorien trugen. Nach 12 Monaten war die Patientenzufriedenheit ähnlich, was darauf hindeutet, dass sich die Prothesenwahrnehmung im Laufe der Zeit nicht wesentlich verändert.

Neuere Forschungen haben die Indikationen für Zygomaimplantate erweitert, die ausreichende Primärstabilität bieten, aber dennoch anfällig für seitliche Kräfte sein können, die zu Schraubenfrakturen führen. Dies ist besonders problematisch in Fällen, in denen die festsitzende Oberkieferprothese dem natürlichen Unterkiefergebiss gegenübersteht. Eine mögliche Lösung könnte der Einsatz einer Hybridprothese auf einem Steg sein.

Daten zum marginalen Knochenverlust deuten darauf hin, dass im Oberkiefer nach 10 Jahren Anwendung ein Verlust von 1,67 mm auftritt, unabhängig von der Art des verwendeten Implantats. Ab dem fünften Jahr der Nachbeobachtung wurde jedoch bei Implantaten, die Acrylprothesen trugen, ein stärkerer Verlust beobachtet als bei Keramikprothesen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Polierens der Prothesenoberfläche zur Reduzierung der Plaquebildung bei Verwendung von Acrylprothesen.

Schlussfolgerung

Die verfügbare Literatur bietet nur begrenzte Belege für die vergleichende Wirksamkeit der sofortigen im Vergleich zur verzögerten Belastung von Implantaten. Zygomaimplantate stellen eine zuverlässige und vorhersehbare Methode zur Rekonstruktion des Oberkiefers dar. Zusätzlich sind Sofortbelastung und festsitzende Hybridrestaurationen die am häufigsten angewendeten Ansätze für die Rehabilitation. Verzögerte Belastung und Stegprothesen sind ebenfalls wirksam und werden von den Patienten gut toleriert. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit sofortiger Belastung sehr zufrieden sind und das Protokoll im Allgemeinen gut vertragen wird, vorausgesetzt, es erfolgt eine sorgfältige prä-, per- und postoperative Betreuung.

Die dynamische Navigation ist eine vielversprechende Technik, die eine präzise Implantatinsertion bei vollständig zahnlosen Patienten ermöglicht.

Die Entscheidung für eine Sofortbelastung sollte auf der fachlichen Expertise des behandelnden Arztes in Bezug auf diese Vorgehensweise sowie auf der sorgfältigen Auswahl der Patienten basieren. Es gibt Evidenz dafür, dass Sofortbelastung bei festsitzenden Vollprothesen erfolgreich eingesetzt werden kann, ohne eine Knochenaugmentation durchführen zu müssen. Die Patienten scheinen mit der sofortigen Belastung mindestens genauso zufrieden zu sein, und klinische Komplikationen können vergleichbar mit denen bei verzögerter Belastung sein. Dennoch sind weitere Untersuchungen mit einer großen Stichprobe und einer langfristigen Nachbeobachtung erforderlich, um die Einschränkungen bestehender Studien zu überwinden.

Weitere Autoren: Dr. Rami Chiri, Dr. Benjamin Droz Bartholet

Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.

Dieser Artikel wurde erstmals in der implants 02/2023 veröffentlicht.

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