Implantologie 15.03.2011
Gezielte Erhaltungstherapie in der Implantatprothetik
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Seit der Einführung der dentalen Implantologie in die zahnärztlichen Behandlungskonzepte vor mehr als 30 Jahren und dem Formulieren der Prinzipien der Osseointegration wurden große Fortschritte gemacht. Bis vor einigen Jahren war die Gewährleistung einer erfolgreichen Osseointegration das primäre Ziel einer implantologischen Behandlung. Heute kann diese durch Verbesserungen im Bereich der chirurgischen Vorgehensweise und der Implantate selbst als weitgehend gewährleistet angesehen werden. Im Rahmen dieser Optimierung hat sich auch das Indikationsspektrum dentaler Implantate stark ausgeweitet.
War zu Beginn der dentalen Implantologie der zahnlose Unterkiefer
das größte Indikationsgebiet, so werden heute alle Kieferbereiche mit
Implantaten versorgt (Gernhard und Ulbrich 2000). Der Wunsch des
Patienten nach festsitzendem Zahnersatz und die Verfügbarkeit wissenschaftlich
fundierter Implantationsmethoden haben dazu geführt, dass die
Implantologie als Teilgebiet innerhalb der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
immer stärker an Bedeutung gewonnen hat.
Die Zahl der Patienten, die mit Implantaten versorgt werden, steigt seit Jahren kontinuierlich an (Brägger et al. 2005). In vielen Indikationen sind die funktionellen und biologischen Vorteile von implantatgestützten Versorgungen offensichtlich. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage nach Implantatversorgungen in Zukunft weiter steigen wird. Aufgrund der hohen publizierten Erfolgsraten und einer zunehmenden Alterung der Weltbevölkerung wird ein weiterer Zuwachs erwartet (Norowski und Bumgardner 2009). Mit der zunehmenden Anwendung dentaler Implantate gewinnen neben der Erfolgssicherheit aber auch zunehmend gesundheitsökonomische Gesichtspunkte an Bedeutung. Eine Ausweitung implantatprothetischer Versorgungen kann nur empfohlen werden, wenn diese Therapie im Vergleich zur konventionellen Prothetik eine gleichwertige Effektivität gewährleistet. Die Effektivität einer Therapie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Langzeitresultate in Relation zu den entstandenen Kosten gesetzt werden müssen. Für diese Analyse ist es wichtig, möglichst umfassende Erkenntnisse zum Langzeitverhalten implantatprothetischer Versorgungen zu gewinnen.
In der verfügbaren klinischen Literatur zeichnet sich hier eine Abfolge unterschiedlicher Betrachtungsebenen ab. In den meisten früheren klinischen Untersuchungen wurden umfassende Daten lediglich zum Überleben oder zum Erfolg von enossalen Implantaten vorgelegt (Fiorellini und Weber 1994, Esposito et al. 1998b). Hier waren einerseits die Rate der erfolgreich osseointegrierten Implantate in unterschiedlichen Indikationsbereichen und Knochenqualitäten und andererseits der Einfluss unterschiedlicher Implantat-Designs von zentralem Interesse. Erst zu einem späteren Zeitpunkt rückten Implantatmisserfolge in der prothetischen Funktionsphase deutlicher in den Mittelpunkt klinischer Untersuchungen. Seit der Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurden zunehmend Daten publiziert, die wesentliche Erkenntnisse zu den Veränderungen von periimplantären Hart- und Weichgeweben in der Funktionsphase lieferten. Die ersten Studien waren auf die Auswertung von radiologisch nachweisbaren Veränderungen im periimplantären Knochenniveau beschränkt (Brägger 1998). Später wurden diese Untersuchungen durch klinische und mikrobiologische Parameter ergänzt (Lang et al. 2000). In einer dritten Phase wurden zunehmend Verfahren der evidenzbasierten Zahnmedizin (prospektive Studien und Metaanalysen) genutzt, um die gewonnenen Erkenntnisse zu Implantatmisserfolgen in der Funktionsphase näher zu untersuchen (Brägger et al. 2005, Kreissl et al. 2007). In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurden nach einer Beobachtungsdauer von zehn Jahren vergleichbare Überlebensraten für konventionelle Endpfeilerbrücken (89,2% Survival), rein implantatgetragene Brücken (86,7% Survival) und implantatgetragene Einzelkronen (89,45 % Survival) gezeigt (Pjeturrson und Lang, 2008) (Abb. 1).
Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass diese Versorgungsformen nach den Kriterien der evidenzbasierten Zahnmedizin derzeit die erste Wahl darstellen und dass die Überlebensraten einiger konven tioneller Therapiemittel (Extensionsbrücke und Adhäsivbrücke) deutlich reduziert sind (Pjetursson und Lang 2008). Gleichzeitig konnte jedoch auch gezeigt werden, dass implantatgestützte Versorgungen eine wesentlich höhere Rate an technischen Komplikationen aufweisen als Restaurationen auf natürlichen Zähnen. Die häufigsten technischen Komplikationen sind Schraubenlockerungen oder Frakturen der Verblendkeramik (Pjetursson et al. 2004), Nach fünf Jahren kann bei rein implantatgetragenen Versorgungen von einer technischen Komplikationsrate von sieben bis 14 Prozent ausgegangen werden. Diese Komplikationen führen zwar nicht regelmäßig zu einem Verlust, sie sind jedoch mit einem Aufwand an Behandlungszeit und eventuell auch mit zahntechnischen Korrekturen verbunden (Pjeturrson et al. 2004).
Aus der vorliegenden Literatur kann geschlossen werden, dass eine Osseointegration enossaler Implantate bei den heute etablierten chirurgischen Techniken und Implantatsystemen mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Da technische oder biomechanische Komplikationen Kosten verursachen, müssen sie unter dem Aspekt der Effektivität der Versorgung berücksichtigt werden. Der Verlust einer Implantatversorgung durch eine technische Komplikation stellt jedoch insgesamt ein seltenes Ereignis dar. Ein weiteres Misserfolgsrisiko für Implantatversorgungen in der prothetischen Funktionsperiode stellen biologische Fehler dar (Norowski und Bumgardner 2009). Sie treten in Form von periimplantären Entzündungsprozessen auf. Diese biologischen Fehler während der Spätphase sind nicht zu verwechseln mit biologisch bedingten Misserfolgen in der Einheilphase. Derartige Frühfehler treten vor der prothetischen Belastung als Folge einer bakteriellen Kontamination während der Implantationsinsertion, einer Hitzeschädigung des Knochens oder aufgrund gestörter Heilungsvorgänge auf (Tonetti 1998, zitiert nach Norowski 2009). Ursache für die biologisch bedingten Misserfolge in der Spätphase sind zumeist progrediente periimplantäre Entzündungen, die zu einer Zerstörung der periimplantären Hartgewebe und damit im finalen Stadium zum Implantatverlust führen (Lang et al. 2000) (Abb. 2).
Definition der periimplantären
Entzündungen
Bei den periimplantären Erkrankungen der Spätphase können zwei Formen differenziert werden: die periimplantäre Mukositis und die Periimplantitis. Definitionen dieser beiden Erkrankungen wurden in einem Konsensusreport des 1st European Workshop of Periodontology festgelegt (Lang et al. 2000): Die Mukositis ist definiert als reversible entzündliche Reaktion des periimplantären Weichgewebes eines Implantates unter Funktion. Symptome sind die Blutung auf Sondierung (BOP) und fakultativ auch die Suppuration. Eine Schwellung und Rötung der Weichgewebe ist nicht regelmäßig stark ausgeprägt. Demgegenüber ist die Periimplantitis definiert als entzündliche Reaktion in der Umgebung eines belasteten Implantates in Verbindung mit einem Knochenverlust. Typischerweise ist die Periimplantitis nicht mit einer Schmerz- empfindung für den Patienten verbunden (Mombelli 2002). Der knöcherne Defekt einer periimplantären Entzündung ist zumeist deutlich abgegrenzt und aufgrund der Tatsache, dass die Osseointegration im apikalen Teil erhalten bleibt, ist über eine langen Zeitraum trotz eines Fortschreitens des Entzündungsprozesses keine erhöhte Implantatmobilität nachweisbar (Mombelli 2002) (Abb. 3).
Ätiologie
der Periimplantitis
Die Ätiologie der Periimplantitis wird heute
als multifaktoriell angesehen. Dabei sind primär mikrobielle
Einflussgrößen zu nennen (Mombelli 2002). Aber auch Umwelt- oder
erworbene Risikofaktoren sowie genetische Risikofaktoren können eine
Rolle spielen (Mombelli und Lang 1998, Kotosovillis 2008). Das
ätiologische Modell der Periimplantitis baut somit auf dem Modell der
Parodontitis auf (Abb. 4). Aus der vorliegenden Literatur gibt es eine
hinreichende Evidenz, die belegt, dass es eine Assoziation zwischen den folgenden
Risikofaktoren und der Periimplantitis gibt (Heitz-Mayfield 2008):
–
Schlechte Mundhygiene (Ferreira et al. 2006, Lindquist et al. 1997)
–
Parodontale Vorerkrankung (Van der Weijden et al. 2005, Schou et al. 2006, Karaoussis
et al. 2007,
Quirynen et al. 2007)
– Rauchen (Strietzel et al. 2007)
Demgegenüber
gibt es nur eine schwache Evidenz, die eine Assoziation der folgenden
Faktoren mit der Periimplantitis belegen:
– Diabetes (Ferreira et al.
2006)
– Alkoholkonsum (Galindo-Moreno et al. 2005)
Widersprüchliche
Ergebnisse gibt es hinsichtlich einer möglichen Assoziation der folgenden
Faktoren und einer Periimplantitis:
– Genetische Faktoren (Laine et
al. 2006, Wilson + Nunn 1999, Lachmann et al. 2007, Feloutzis et al. 2003,
Gruica et al. 2004, Jansson et al. 2005)
– Implantatoberflächen
(Astrand et al. 2004, Wennström et al. 2004)
Diagnostik und
Therapie periimplantärer Erkrankungen
Die Diagnose einer Mukositis kann anhand von klinischen Parametern gestellt werden, bei der Periimplantitis ist eine zusätzliche röntgenologische Beurteilung des Knochenabbaus notwendig. Leitsymptome der reversiblen Mukositis sind erhöhte Sondierungstiefen und eine Blutung auf Sondierung. Dabei sind die absoluten Sondierungswerte weniger wichtig als eine Verlaufskontrolle, die das frühzeitige Erkennen einer Zunahme der Sondierungstiefen in der Umgebung der Implantate ermöglicht. Implantate mit einer festsitzenden Suprakonstruktion zeigen zumeist eine erschwerte Zugänglichkeit bei der Sondierung. Um eine möglichst reproduzierbare Sondierung bei Implantaten sicherzustellen, sind daher flexible Kunststoffsonden mit einer möglichst exakten Kalibrierung gegenüber metallischen Sonden zu bevorzugen (Abb. 5). Die Diagnose einer periimplantären Mukositis ist bei einer Zunahme der Sondierungstiefen und einem positiven BOP-Befund zu stellen.
Ziel ist es, möglichst frühzeitig eine reversible periimplantäre Mukositis zu erkennen und zu therapieren. Für die Therapie einer Mukositis ist die effiziente Biofilmentfernung in den periimplantären Taschen erforderlich. Dies kann mit geeigneten Handinstrumenten oder auch mit schallgestützten Verfahren und speziellen Aufsätzen zur Implantatreinigung erfolgen (Abb. 6a und 6b). Zumeist ist eine Kombinationstherapie mit manuellen und schallgestützten Verfahren sinnvoll. Ergänzt wird die Reinigung der periimplantären Taschen durch die Instillation eines antiseptischen Depots. Hierfür können bevorzugt Chlorhexidin- Gele angewendet werden. Ebenso ist das Einbringen eines Depots eines Lokalantibiotikums (z.B. Arestin, Orapharma Inc., Warminster, PA, USA) möglich. Eine rein visuelle Diagnostik reicht nicht aus, um eine periimplantäre Erkrankung sicher zu erkennen (Abb. 7a–7c). Somit ist die Sondierung eine essenzielle diagnostische Maßnahme im Rahmen der Erhaltungstherapie. Sofern eine periimplantäre Mukositis festgestellt wurde, ist in jedem Fall eine ergänzende radiologische Diagnostik durchzuführen, um eine Differenzial diagnose zur Periimplantitis zu ermöglichen. Sofern mit dem Nachweis eines radiologisch nachweisbaren Knochenabbaus die Diagnose einer Periimplantitis zu stellen ist, ist eine weitergehende Therapie zu fordern. Problematisch ist dabei jedoch die Tatsache, dass es derzeit kein evidenzbasiertes The rapiekonzept für die Behandlung einer Periimplantitis gibt. Die Zahl der verfügbaren randomisierten kontrollierten und/oder vergleichbaren klinischen Studien ist begrenzt, die Follow-up-Zeiten sind kurz und es wurden nur wenige Patienten untersucht. Dies birgt ein hohes Risiko der Verzerrung (bias). Es wurde noch nicht eindeutig ermittelt, welche therapeutischen Strategien hinsichtlich Morphologie, Ausmaß und Bedeutung am wirksamsten bei der Behandlung periimplantärer Läsionen sind (Abb. 7c).
Stellenwert der Erhaltungstherapie in der
Implantatprothetik
Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, dass periimplantäre Entzündungen möglichst früh – also in der Phase der reversiblen Mukositis – erkannt und auch behandelt werden. Dies gelingt nur durch eine systematische Erhaltungstherapie. Rinke et al. (2010) konnten in einer praxisbasierten Querschnittsstudie nachweisen, dass die regelmäßige Durchführung einer systematischen Erhaltungstherapie ein effizientes Mittel darstellt, um periimplantäre Entzündungen zu vermeiden. Ziel der Querschnittsstudie war die Bestimmung der Prävalenzrate für die periimplantäre Mukositis und Periimplantitis bei teilbezahnten Patienten in einer privaten Praxis. Es wurden die Daten von 89 Patienten im Alter von 20 bis 70 Jahren erfasst, die zwischen Januar 1999 und Juni 2006 mit Implantaten desselben Typs (Ankylos, DENTSPLY Friadent, Mannheim) versorgt worden waren. Die patientenbezogene Prävalenzrate der periimplantären Mukositis (BOP und Sondierungstiefen > 4 mm) in der Gesamtstichprobe betrug 45 Prozent. 30 Prozent der nicht rauchenden Patienten ohne parodontale Vorerkrankung hatten eine periimplantäre Mukositis.
Bei den Rauchern mit parodontaler Vorerkrankung waren es 80 Prozent. Die patientenbezogene Prävalenzrate der Periimplantitis (Sondierungstiefe > 5 mm, BOP oder Pus, röntgenologisch feststellbarer Knochenabbau) lag in der der Gesamtstichprobe bei 11 Prozent. Für Raucher mit parodontaler Vorerkrankung wurde eine Rate von 53 Prozent bestimmt (Nichtraucher: 2,8 Prozent). Bei nicht rauchenden Patienten ohne parodontale Vorerkrankung und mit guter Compliance in der posttherapeutischen Betreuung wurde keine Periimplantitis gefunden. Patienten mit einer guten Compliance – also regelmäßiger Teilnahme an Maßnahmen der Erhaltungstherapie – hatten ein zwölffach geringeres Risiko an einer Periimplantitis zu erkranken als Patienten, die nur unregelmäßig an einer Prophylaxemaßnahme teilnahmen. Vor dem Hintergrund der unzureichenden Erkenntnisse zu effizienten Therapiemöglichkeiten der Periimplantitis ist die Etablierung eines effektiven Prophylaxekonzeptes unerlässlich für eine langfristig erfolgreiche implantatprothetische Versorgungsstrategie.