Implantologie 10.04.2013
Sofort- & Frühbelastung: das Berner Konzept
share
Ziel: Attraktivität der Implantatbehandlung mit kürzeren Einheilzeiten.
Das Thema der Früh- und Sofortbelastung stand und steht immer wieder im Mittelpunkt von Konsensuskonferenzen von implantologischen Fachgesellschaften. Dies zeigt, dass die Frage nach der optimalen Einheilzeit immer wieder von großem Interesse ist. Aufgrund der technischen Entwicklungen und den biologischen Erkenntnissen der letzten Jahre unterlagen die Belastungsprotokolle neuen Anpassungen. Ziel ist es, die Attraktivität der Implantatbehandlung mit kürzeren Einheilzeiten zu verbessern, ohne aber die Frühmisserfolgsrate zu erhöhen. Sowohl die Implantateinheilung als auch die Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Implantatversorgung ist multifaktoriell (Abb. 1).
Der Patient steht im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt der Behandlung, da systemische und lokale Faktoren, wie auch die Qualität der verwendeten Biomaterialien, die Osseointegration beeinflussen. Andere wichtige Faktoren sind die Erfahrung und die Präzision des chirurgischen, gewebeschonenden Eingriffes durch den behandelnden Zahnarzt oder die Zahnärztin. Der Kliniker, der primär die verwendeten Biomaterialien auswählt, sollte über deren Eigenschaften und den richtigen Einsatz im Detail Bescheid wissen.
In folgendem Artikel beziehen sich die Definitionen der Einheilzeiten auf die aktuelle Nomenklatur der ITI-Konsensuskonferenz (2008) und wurden so übernommen.1
Die funktionelle Belastung innerhalb einer Woche wird als „Sofortbelastung“ definiert, als „Frühbelastung“ bezeichnet man die Versorgung zwischen einer Woche und zwei Monaten nach der Implantation. Alle Implantate, die zu einem späteren Zeitpunkt versorgt werden, fallen unter die Kategorie der konventionellen Belastung (Abb. 2).
Im Rahmen der ITI-Konsensuskonferenz (2008) haben Experten in systematischen Übersichtsarbeiten die vorhandene Literatur zu diesem Thema aufgearbeitet. Ziel von Konsensuskonferenzen ist es, anhand klinischer Studien Empfehlungen für die Einheilzeiten abzugeben. 2008 wurden dabei klinische Studien zu den Themen Sofort-, Früh- und konventionelle Belastung in Abhängigkeit von der anatomischen Region und der prothetischen Versorgung analysiert. Anhand einer systematischen Literaturauswertung wurden insgesamt 2.371 Abstrakts gelesen, 295 Volltextartikel untersucht und 60 Studien in den Übersichtsartikel eingeschlossen.1 Die Implantatüberlebensraten wurden sowohl für den Ober- und Unterkiefer als auch deren Unterteilung in anterior und posterior und der Art der prothetischen Versorgung erhoben (Abb. 3).
Die Ergebnisse zeigen, dass die konventionelle Belastung sowohl in allen anatomischen Regionen als auch festsitzende und abnehmbare Zahnversorgungen sehr gut klinisch untersucht und wissenschaftlich hervorragend dokumentiert sind. Die Arbeiten zur Frühbelastung verdeutlichen ebenfalls eine gute wissenschaftliche Dokumentation. Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse von frühbelasteten Implantaten wird klar, dass die Anzahl der Studien limitiert ist, welche die abnehmbare implantologische Versorgung im Oberkiefer und festsitzende Versorgungen im Unterkiefer untersuchten. Bei der systematischen Suche nach Artikeln zur Sofortbelastung von Implantaten kamen die Experten/-innen damals zu dem Schluss, dass es wenig Literatur zum Thema abnehmbare Versorgungen im Oberkiefer und Sofortimplantation mit Sofortbelastung im Unterkiefer gibt (Abb. 4).1–3
Seit dem Abschluss dieser Konsensuskonferenz erschienen einige neue Studien zum Thema Sofortbelastung von Implantaten im zahnlosen Unterkiefer. So zeigte eine prospektive Studie mit 124 zahnlosen Patienten, dass eine Sofortbelastung von zwei Implantaten mit Stegversorgung im Beobachtungszeitraum von 12 bis 40 Monaten Implantatüberlebensraten von 98,8 Prozent aufwiesen.4 Eine andere Studie im zahnlosen Unterkiefer versorgte und belastete ein oder zwei Implantate sofort mit Kugelkopfankern.5 Nach drei Jahren konnten von den ursprünglich 36 Patienten 19 untersucht werden und es zeigte sich, dass die Sofortbelastung keine negativen Auswirkungen auf die Implantatüberlebensrate hatte. In einer weiteren Untersuchung mit 36 Patienten, die ebenfalls das Thema Sofortbelastung im Unterkiefer bei zahnlosen Patienten aufgriff, kamen die Autoren zum Schluss, dass es zu erhöhten marginalen Knochenverlusten rund um die sofortbelasteten Implantate kam.6 Zusammenfassend zeigen diese Ergebnisse, dass die Sofortbelastung von Implantaten im zahnlosen Unterkiefer möglich ist, jedoch für ein höheres Evidenzniveau noch weitere Studien erforderlich sind.
Das Berner Konzept
An der Berner Klinik für Oralchirurgie werden seit rund 30 Jahren Implantate gesetzt, und viele dieser Implantate sind im Rahmen von Langzeitstudien nachuntersucht worden. Die Implantatbelastung stand dabei schon früh im Mittelpunkt des Interesses. In einer Studie mit 100 Hohlschrauben- und Hohlzylinderimplantaten aus dem Jahr 1990, die alle mindestens drei Monate einheilten, konnten 98 Prozent nach einem Jahr als erfolgreich eingestuft werden.7 Diese Dauer richtete sich nach dem damaligen Wissensstand und den damals erhältlichen Implantatdesigns und -oberflächen, die heute nicht mehr am Markt verfügbar sind. In einer eben zur Publikation angenommenen Studie konnten 95 dieser Implantate nach 20 Jahren nachuntersucht werden. Die Ergebnisse zeigen eine Implantatverlustrate von 10,5 Prozent (zehn Implantate), von denen drei durch eine Fraktur verloren gingen.8 2002 wurden die Ergebnisse einer Muliticenterstudie veröffentlicht, bei der Implantate mit einer neu entwickelten sandgestrahlten und säuregeätzten Oberfläche (SLA®) bereits nach sechs Wochen belastet wurden. Nach einem Jahr lag die Implantaterfolgsrate bei 99,3 Prozent.9 Die eben erst publizierten Langzeitergebnisse von 511 Implantaten aus diesem Zeitraum zeigen nach zehn Jahren Implantatüberlebensraten von 98,8 Prozent.10 Nachdem präklinische Studien eine noch schnellere Knochenanlagerung mit der hydrophilen SLA-Oberfläche zeigten,11, 12 wurde die Einheilphase bei Standardimplantation im Unterkieferseitenzahnbereich weiter verkürzt und auf drei Wochen festgelegt. Bei einer so kurzen Einheilphase war es notwendig, die Implantatstabilität objektiv messen zu können, was mithilfe der Resonanzfrequenzanalyse (RFA) unter Messung der ISQ-Werte (Implantatstabilitätsquotient) erfolgte. Eine prospektive Fallstudie zeigte, dass die Frühbelastung bei dieser Indikation mit hoher Erfolgssicherheit möglich ist.13–15 Wenn eine Frühbelastung nach drei Wochen mit einer definitiven Rekonstruktion bereits möglich ist, dann ist eine Sofortversorgung aus Gründen der Kosteneffizienz keine Option, weshalb die Sofortversorgung beim teilbezahnten Patienten an der Universität Bern kaum zur Anwendung kommt.
Frühbelastung bei Implantation mit simultaner Augmentation
Im ästhetischen Bereich werden Implantate meist mit einer simultanen Konturaugmentation eingesetzt, damit zuverlässig eine ausreichend dicke faziale Knochenwand erzielt werden kann. Dabei wird die Frühimplantation vier bis acht Wochen nach Extraktion klar favorisiert. Die Konturaugmentation wird mit autologen Knochenchips und einem bovinen Knochenersatzmaterial (KEM) mit geringer Substitutionsrate durchgeführt, wobei heute eine resorbierbare Kollagenmembran als temporäre Barrierenmembran verwendet wird.16 Die Freilegung der Implantate erfolgt heute routinemässig bereits acht Wochen nach der Implantation. Eine entsprechende Fallstudie mit 20 konsekutiv operierten Implantaten zeigte ausgezeichnete ästhetische Ergebnisse.17, 18 In einer weiteren Untersuchung zur Konturaugmentation konnte nachgewiesen werden, dass die mit bovinem KEM und Eigenknochen augmentierte faziale Knochenwand auch nach fünf bzw. neun Jahren stabil ist.19 Im Oberkieferseitenzahnbereich muss die fehlende Knochenhöhe oft mit einer Sinusbodenelevation (SBE) kompensiert werden. Dabei kommt meist die laterale Fenstertechnik zur Anwendung – unter Verwendung eines „Composite Grafts“ mit einer Mischung von autologen Knochenchips und einem bovinen KEM. Die Kombination mit der hydrophilen SLA-Oberfläche erlaubt es, diese Implantate, die mit einer simultanen SBE eingesetzt werden, bereits nach acht Wochen mit der RFA-Methode nachzumessen. Ist der ISQ-Wert nach acht Wochen ≥70, werden die Implantate definitiv prothetisch versorgt. Diese acht Wochen Frühbelastung bei Implantaten mit simultaner SBE wird aktuell in einer prospektiven Fallstudie überprüft und zeigt bis dato eine erfreulich hohe Anzahl von Implantaten von rund 80 Prozent, die nach dieser kurzen Einheilphase einen ISQ-Wert von ≥70 erzielen.
Zusammenfassung
Die Sofort- und Frühbelastung ist heute sehr gut dokumentiert und kann aus gutem Grund empfohlen werden. Beim teilbezahnten Patienten steht jedoch die Frühbelastung nach drei oder acht Wochen im Vordergrund, wobei sich hier die Messung der Implantatstabilität mithilfe der RFA-Methode als sehr nützlich und zuverlässig erwiesen hat.
Die vollständige Literaturliste finden Sie hier.